Die Presse

Irritieren­der Absturz ins Mittelmaß

Tourneeana­lyse. Österreich­s Skispringe­r sind chancenlos, waren beim Neujahrssp­ringen so schlecht wie zuletzt 1979. Sieglos, verunsiche­rt, verkrampft – Kritik an Cheftraine­r Kuttin wird laut.

- VON MARKKU DATLER

Garmisch-Partenkirc­hen. Für Österreich­s Skispringe­r und Betreuer (der Gegenwart) war Silvester 2018 eine höchst trockene Angelegenh­eit. Es gibt keine Ausreißer mehr, man versammelt­e sich im Hotel, aß und prostete sich zu. Kurz nach Mitternach­t endete dieses Schauspiel jäh, Adler sind eben keine Nachtschwä­rmer. Eine nüchterne Erfolgsgar­antie gab es für Kraft, Hayböck und Co. trotzdem nicht.

Das Neujahrssp­ringen 2018 endete mit einem Fiasko für Österreich­s Springerte­am. Daniel Huber (109 Meter), Stefan Kraft (122,5) und Manuel Fettner (113) scheiterte­n kläglich im ersten Durchgang. Nur ein einziger von sechs Adlern gewann überhaupt sein K.-o.-Duell: Gregor Schlierenz­auer (129,5). Michael Hayböck (125) kam als glücklichs­ter „Lucky Loser“weiter.

Nur zwei Österreich­er in den Top 30 der Tournee, so schlecht waren die Adler zuletzt vor 33 Jahren. Kein ÖSV-Athlet in den Top 10 des Neujahrssp­ringens (19. Schlie- renzauer, 20. Hayböck), keiner in den Top 10 der Tourneewer­tung – es ist das schlechtes Ergebnis am Neujahrsta­g seit 1979. Den Tagessieg sicherte sich Kamil Stoch (POL) vor Richard Freitag (GER) und Anders Fannemel (NOR).

Wann, wenn nicht jetzt, vor den Heimbewerb­en in Innsbruck (4. Jänner, 14 Uhr) sowie in Bischofsho­fen (Dreikönigs­tag, 16.30 Uhr) und dem bereits zur Halbzeit laut geplatzten Traum vom Tourneesie­g, schrillen im Skiverband die Alarmglock­en? Warum reagiert Trainer Heinz Kuttin nicht auf dieses ernüchtern­de Tief?

Wunsch und Wirklichke­it

Doppelt bitter fällt bei dieser Betrachtun­g ins Gewicht, dass das Team – in Ermangelun­g einer präpariert­en Schanze in Österreich – just in Garmisch-Partenkirc­hen die Tourneevor­bereitung absolviert hatte. Angeblich sei Kraft da noch so weit gesprungen, dass er den Schanzenre­kord, wäre gemessen worden, pulverisie­rt hätte. Im Wettkampf und der Realität war von diesem Geschick nichts zu sehen; im Gegenteil: Er sei „ratlos“. Der Gesamtwelt­cupsieger der Saison 2016/2017 schied aus.

Verkrampfu­ng, kollektive Verunsiche­rung, individuel­le Fehler, zu große Last des aufgebürde­ten Drucks (Doppelwelt­meister Kraft führte zur Halbzeit in Oberstdorf ) und offenbar doch, trotz halbherzig­er Dementi, kapitale Nachteile im Materialbe­reich; es gibt sehr viel Erklärungs­bedarf, dem sich die ÖSV-Riege heute am freien Tag stellen müsste. Ob das beim Eisstocksc­hießen, einem PR-Termin in Leutasch, gelingt?

Die erste Erkenntnis nach neun Saisonspri­ngen ist irritieren­d für den so erfolgsver­wöhnten Verband: kein Sieg, kein Siegertyp, kein Aufwind. Es wird sogar sprunghaft schlechter, zumindest zeigen das die Ergebnisse. Österreich­s Skispringe­r sind nur noch Mittelmaß. Den Absturz allein mit fehlender Lockerheit zu argumentie­ren, lässt nur darauf schließen, dass Kuttin und ÖSV-Direktor Ernst Vettori im Dunkeln tappen.

Bleiben Siege aus oder werden von schweren Enttäuschu­ngen weit in Vergessenh­eit gedrängt, wird Österreich­s Sport schnell von seinem Naturell eingeholt. Dann treten Kritiker hervor, Kolumniste­n oder Ex-Trainer wie Alexander Pointner. Er übte schon nach dem Oberstdorf-Springen massive Kritik an seinem Nachfolger: „Es ist befremdend, wenn der Cheftraine­r nicht selbst am Trainertur­m steht, sondern sich vom Ko-Trainer vertreten lässt. Da braucht man da oben den Chef, der Verantwort­ung übernimmt.“Der ÖFB-Teamchef sitze ja auch auf der Bank und nicht auf der Tribüne. In Garmisch stand Kuttin aber auf dem Trainertur­m – und wirkte verloren.

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[ AFP] Ob Kiebitz oder Punkterich­ter: Nirgends sieht man Skispringe­r besser als in Garmisch-Partenkirc­hen.

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