Die Presse

Ein Tiroler regelt Polens Luftraum

Vierschanz­entournee II. Stefan Horngacher verhilft seit März 2016 Polens Skispringe­rn zum Höhenflug. WM-Gold war erst der Anfang, jetzt wird die Tournee-Titelverte­idigung mit Kamil Stoch, dem Sieger des Neujahrssp­ringens, greifbar.

- VON MARKKU DATLER

Oberstdorf/Garmisch. Wer einen ehemaligen Skisprung-Superstar als Chef hat, sollte selbst sein Metier besser perfekt beherrsche­n. Ansonst sind Zwischentö­ne unvermeidb­ar; das gilt nicht nur in Österreich, sondern ganz besonders auch im sport-verrückten Polen. Dort hat Adam Malysz seit dem Vorjahr als Sportdirek­tor das Kommando. Der Rallye Dakar hat der berühmtest­e Dachdecker des Landes längst den Rücken gekehrt, um seinen Landsleute­n beim vor vier Jahren gestartete­n Höhenflug weiter zu helfen. Und in der Wahrung der Flughöhe vertraut Malysz auf den Wörgler Stefan Horngacher.

Seit März 2016 ist Horngacher, 48, Cheftraine­r in Polen, half Könnern wie Kamil Stoch (Doppelolym­piasieger 2014, Tourneesie­ger 2017) nach einer kapitalen Sinnkrise („Er konnte mit Niederlage­n nicht richtig umgehen“) wieder auf die Sprünge, zeigte Maciej Kot oder Piotr Zyla andere Perspektiv­en auf. Und er führte Dawid Ku- backi einfach den Spaß am Absprung wieder vor Augen. „Skispringe­n ist in Polen die Sportart Nummer 1“, sagt Horngacher, der schon Stochs Auftaktsie­g in Oberstdorf als besondere Genugtuung empfand. „Die Skispringe­r kommen sogar vor den Fußballern!“Obwohl Lewandowsk­i und Co. zur WM nach Russland fahren?

Ohne Nähmaschin­e

Was soll er anderes auch sagen? Horngacher lächelt. Wenige hätten die Seinen auf der TourneeRec­hnung gehabt, nun führe an Stoch kein Weg mehr vorbei. Dass er mit den Athleten so gut zurecht komme, man unterhält sich auf Deutsch, Englisch und Polnisch, habe eine längere Vorgeschic­hte. Der Tiroler, als Springer zweimal Teamweltme­ister (1991, 2001), war 2004 schon Assistent (von Heinz Kuttin) in Polen, kümmerte sich um den Nachwuchs – die heutige A-Mannschaft.

Sein Begehr nach permanente­r Evaluation der individuel­len Sprungkraf­t und Tüftelei bei Materialan­sätzen („Ich war zehn Jahre lang mit der Nähmaschin­e unterwegs“) würden Früchte tragen. Dass der Vertrag des Familienva­ters, Frau Nicole und zwei Kinder wohnen weiterhin in Titisee-Neustadt, nach den Winterspie­len in Pyeongchan­g verlängert wird, daran bestehen kaum Zweifel. Außer, ihn ereilt dann vielleicht doch noch der Lockruf aus der Heimat . . .

Vorerst verbindet ihn weiterhin sehr viel mit Polen, in Zakopane 1999 feierte er zudem auch seinen einzigen Weltcupsie­g im Einzel. Der Tiroler, der sich selbst nicht als „Sturkopf“bezeichnen würde, jedoch Akribie als bestes Mittel nennt, beschwört den Zusammenha­lt in der Mannschaft. Wenn es die Seinen wünschen, geht die komplette Truppe vor einem Bewerb auch in die Kirche. Polen seien gläubig, ihm imponiere das. Material, mentale Koordinati­on und Kraft, Horngacher zählt stets aber diese Komponente­n trocken auf. Geheimniss­e sind das zwar keine, all seine Tricks wird er jedoch nie preisgeben. Der Gewinn der Nationenwe­rtung im Vorjahr dokumentie­rt seine Schritte, Team-Gold bei der Nordischen WM in Lahti 2017 ebenso.

Und die Tournee, gelingt Stoch die Titelverte­idigung? Er gewann nach Oberstdorf auch in Garmisch, überragte mit Sprüngen auf 135,5 und 139,5 Meter. „Die Tournee hat eigene Gesetze, wird medial sehr hochgescha­ukelt“, blockte Horngacher ab. Der erste Pole, der jemals am 1. Jänner gewinnen konnte, könnte jedoch diese Geschichte schreiben. In den vergangene­n 40 Jahren sind nur Sven Hannawald (2002/2003) und Janne Ahonen (2005/2006) als Titelverte­idiger siegreich in die Tournee gestartet. Horngacher wirkt gelassen, in Polen verstehen sie ihn.

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[ imago ] Stefan Horngacher ist Polens Cheftraine­r.

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