Alle Jahre wieder zünden die Symphoniker den „Götterfunken“
Konzerthaus. Philippe Jordan machte die traditionelle Neunte zum Auftakt einer mehrteiligen Demonstration der orchestralen Meisterschaft, die er als Chefdirigent mit seinem Orchester bei der Erarbeitung des gesamten Zyklus aller neun Beethoven-Symphonien
Die traditionelle „Neunte“zum Jahreswechsel bietet notgedrungen ein Spektrum dessen, was unsere Symphoniker zu leisten imstande sind. Die Skala reicht vom Blindflug bis zur wohl vorbereiteten Leistungsschau. Letztere ist nur möglich, wenn das Orchester unter der Leitung seiner jeweiligen Chefdirigenten antritt, denn zur Erarbeitung einer wirklich tiefgreifenden Interpretation des Monsterwerks reichen die notorisch zu wenigen nachweihnachtlichen Proben mit einem Gastdirigenten naturgemäß nie aus.
Mit den „Chefs“aber gelangen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer wieder aufregende Wiedergaben – und am Jahreswechsel 2017/18 konnte man sogar Bilanz ziehen: Philippe Jordan, Symphoniker-Chefdirigent seit 2015, hat in der vergangenen Saison einen ganzen Beethoven-Zyklus dirigiert und präsentiert alle Neune noch einmal rund um den 1. Jänner, wobei in der Voraufführung der Silvestergala vor der d-Moll-Symphonie auch noch die Zweite auf dem Programm stand; eine interessante Kombination, gerade in Jordans Deutung, die in dem frühen Werk erstaunliche Vorausnahmen deutlich werden lässt: Das mächtige Hauptthema der Neunten klingt in der Einleitung der Zweiten ebenso an wie im Larghetto die melodischen Linien, die später im Adagio zu jenen „himmlischen Längen“gesponnen werden, die Musikologen eigentlich erst Schubert zugeschrieben haben.
Klassizistisch klare Riesen-Architektur
Doch lässt Jordan die Neunte keineswegs musizieren, als ob Schuberts große C-DurSymphonie oder gar Bruckner schon ante portas stünden. Die Klang- und Spielkultur, die man für die klassischen Formen des Opus 36 aufbringt, dominiert auch die Deutung von Opus 125: schlank, transparent mit kluger Dosierung von Streichervibrato und dynamischer Staffelung. Selbst die wütendsten Entladungen im d-Moll-Stirnsatz bleiben klar strukturiert – angesichts von Beethovens Klangmassierungen und der Tatsache, dass man die Bläser nicht (wie es zu des Komponisten Zeiten selbstverständlich gewesen wäre) verdoppelt hatte, eine Meisterleistung orchestraler Klangbalance.
Das Tempo, das die Symphoniker im langsamen Satz der Neunten anschlugen, wird freilich manchen im Publikum vor den Kopf gestoßen haben. Ein wenig mehr an Ruhe fordert die Spieltradition hier ein; und doch, erlebt man den Ablauf des gesamten Werks in Jordans architektonisch umsichtiger Gestaltung, geht die Rechnung auf. Zumal auch die auswendig singende Singakademie ihren Anteil an der auch dramatisch wirkungsvollen Laut-und-leise-Regie hat. Wie ein Gegenpol zum klassizistisch schlan- ken Klangideal der Aufführung nahm sich die Besetzung der vier Solostimmen mit vergleichsweise schweren Kalibern aus dem Opernbereich aus. Doch auch das hatte Methode, denn die beiden Damen, Emily Magee und Anke Vondung blieben hörbar selbst dort, wo sie ganz leicht bewegt – und im Falle des Soprans unerschütterlich bis in die höchsten H-Dur-Höhen – vokalisieren.
Und sogar der Tenor hielt diesmal sämtlichen Angriffen von kämpferischer orchestraler Battaglia und Männerchor-Siegesgewissheit stand. Kunststück! Ist doch Andreas Schager der neue Wagner-Held unserer Tage und macht in Beethovens opernhaftem Symphonienfinale glänzende Figur. Nur Dmitry Ivaschenko wirkte nach den rigiden Rezitativ-Vorgaben der Symphoniker-Kontrabässe ein wenig irritiert, als würde seine schöne Bass-Stimme von ihrem Solo vorangetrieben und nicht umgekehrt. (sin)