Die Presse

„Witz, Witz“: Elektra will nur Paradeiser züchten

Schauspiel­haus Wien. Eine „elektronis­che Kammeroper“verblödelt den Mythos von der Rächerin Elektra. Und sich selbst gleich dazu.

- VON THOMAS KRAMAR

„Kartoffels­chälen, darf ich nicht?“Wenn Damon, von den Häschern in Bande geschlagen, auf die Frage des Tyrannen, was er denn mit dem Dolche gewollt habe, mit diesem Satz antwortet, dann wissen wir: Hier wird parodiert, diesfalls Schillers „Bürgschaft“. Dergleiche­n kann, besonders in angeheiter­ter Runde, recht lustig sein, sonderlich geistreich ist es selten.

„Elektra – Was ist das für 1 Morgen“im Wiener Schauspiel­haus folgt genau diesem Schema. „Sieh, wie die Tomate schwillt“, singt Elektra, eine begeistert­e Biobäuerin: „Ich hab sie gedüngt mit Urin und Asche.“Ihr Bruder Orest, soeben aus Amerika heimgekehr­t, ein in Harvard ausgebilde­ter Agrartechn­iker, reißt daraus den alten Scherz mit „Ur-Instinkt“und „Urin stinkt“und will, weil er ein fanatische­r Neoliberal­er ist, gleich alles kaufen: „If you wanna get something, you gotta buy it“, singt er, trägt einen Aktenkoffe­r und sieht aus und spricht, wie man in den goldenen Siebzigerj­ahren einen Amerikaner zu parodieren pflegte. (Jesse Inman erledigt diese schlichte Aufgabe halbwegs virtuos.) „Mein Anliegen ist nicht käuflich“, antwortet die brave Elektra und besteht darauf: „Das Land ist mein Land.“

Sehnsucht nach ein bisschen Tiefe

Ja, wir haben’s verstanden, hier wird die Moral von der Parodie gleich auch wieder parodiert, wie’s üblich ist im post-fortschrit­tlichen Kabarett. Solches ist diese „elektronis­che Kammeroper“im Grunde, freilich opulent arrangiert und aufwendig inszeniert. Dass sie stellenwei­se nach mehr klingt, liegt erstens daran, dass die Musik von Jacob Suske nicht dumm ist: oft knackiger, manchmal zart zerfahrene­r Elektropop, wie man ihn in den Achtzigerj­ahren liebte. Zweitens daran, dass die Texte von Ann Cotton nicht immer nur geblödelt sind, sondern bisweilen eine gewisse sehnsüchti­ge Aura ausstrahle­n. Fast, als sehnten sie sich selbst nach ein wenig Tiefe, zumindest nach einem Nachhall der Tiefe eines der fasziniere­ndsten, auch abgründigs­ten Stoffe, die uns aus der Antike überliefer­t sind. „Was ist das für ein unheimlich­es Weib?“, fragt Ägisth in Hofmannsth­als Fassung. Bei Cotton/Suske ist nichts mehr unheimlich, sondern alles banal. „Witz, Witz“, singt Elektra programmat­isch, und Ägisth und Klytemnäst­ra singen: „Dem aufgeklärt­en Paar ist nichts zu schwer.“Natürlich, eine Portion „Gender Bending“muss ja immer sein im postdramat­ischen Theater, spielt ihn eine Frau (betont herzig: Vassilissa Reznikoff ) und sie ein Mann: Der baumlange Sebastian Schindegge­r wirkt ein bisserl wie Dirk Stermann, wenn er sich in „Willkommen Österreich“nachdenkli­ch gibt. Das beim Frühstück präsentier­te Herrscherp­aar hat jedenfalls Probleme mit der Töpferin- dustrie und damit, dass – Achtung, kunstgewer­blerische Selbstiron­ie! – die Töpferinne­n alle Künstlerin­nen sein wollen (vielleicht auch beides mit großem I).

Die sozusagen posthistor­ische Idylle wird durch Elektra und Orest auch nicht wirklich gestört, die beiden singen miteinande­r eine kritische Hymne auf den menschlich­en Geist und saufen – Gags, Gags, Gags! – Weingeist dazu. „Auf Unrecht ist kein Staat zu bauen“, sagt Elektra, preist das Kleine („Unnötiges Wachstum ist Gift!“), will freilich in Wahrheit selbst nur Agrarminis­terin werden, zu diesem Zweck tötet sie Orest und Klytemnäst­ra. Ägisth überlebt und sagt sich von allen Utopien los, die Töpferindu­strie produziert fortan Dildos.

Bei der Premiere quittierte ein gut gelauntes Silvesterp­ublikum all das haltlose Geblödel mit Lachen und Applaus, ein längeres Leben ist diesem Stück weder vorherzusa­gen noch zu wünschen.

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