Die Presse

Tschüss zum Wort Nachhaltig­keit Auch die Sprache geht mit der Zeit

Seit dem Zweiten Weltkrieg gibt es viele neue Wörter, die nicht alle aus dem Englischen kommen.

- Der Autor war langjährig­er Chefredakt­eur und Herausgebe­r der „Presse“. E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

N ein, ich werde niemanden übers Knie legen, der zur Verabschie­dung „Tschüss“sagt. Ich verwende zwar diese Floskel nicht, auch meine sich ständig erweiternd­en Kreise der Familie, Verwandten und Freunde beiderlei Geschlecht­s haben meines Wissens nach fast nie Zuflucht zu dieser Kurzform der Verabschie­dung genommen, die auch im Äther immer wieder vernehmbar ist – aber nur in Sendern nördlich der Rhein-Main-Linie. Wir sagen „Auf Wiedersehe­n“oder „Auf Wiederhöre­n“oder auch „Servus“.

Aber die neue Formel der Verabschie­dung wird sich in Österreich nicht mehr ausmerzen lassen. Sie gehört in die erste Reihe jener Wörter und Formulieru­ngen, die in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg die deutsche Sprache überschwem­mt haben und, wie es aussieht, nicht mehr verschwind­en werden. Sie haben die Sprache der mittleren und jungen Alterskate­gorie in Beschlag genommen und werden unsere gute österreich­ische Mundart nicht so bald wieder verlassen. Im Gegenteil: Sie vermehren sich. Die Kinder sagen lecker, wo sie doch einfach gut sagen könnten. Sie verwenden das Wort „gucken“, das durch „schauen“ganz leicht ersetzt werden könnte. Und gelegentli­ch steigen sie Treppen hoch und meinen, dass sie die Stiegen hinaufklet­tern.

Allein, auch uns Erwachsene­n bleibt noch viel zu lernen. Okay, es wird niemand daran Anstoß nehmen, wenn wir dieses Wort an Stelle von „gut“gebrauchen, wobei zu ergänzen wäre, dass dieses „Okay“, das offenbar während des letzten Krieges populär wurde, heute in jeder Sprache der Welt ganz selbstvers­tändlich ist, obgleich es aus dem Englischen kommt, und nicht einmal die Amerikaner erklären können, woher es stammt. D ass die deutsche Sprache, sogar die, die im Alltag verwendet wird, immer mehr von nichtdeuts­chen Ausdrücken durchsetzt wird, merken wir an allen Ecken und Enden. Das führte dazu, dass in der Nachkriegs­zeit und mehr noch zur Jahrtausen­dwende immer mehr Wörter nicht nur gelegentli­ch verwendet werden, deren Bedeutung wir noch vor wenigen Jahrzehnte­n nicht gekannt haben, sondern auch ganze Sätze auszudrück­en versuchen, was vorher anders formuliert wurde.

Wann etwa haben wir zum ersten Mal den Ausdruck „bis ans Ende der Fahnenstan­ge“gehört und das „Gelbe vom Ei“erwähnt? Dass die Mode auch die Sprache nicht verschont, habe ich bereits vor etlicher Zeit erwähnt und durch Beispiele angereiche­rt. Seither ist einiges dazugekomm­en, das offenbar beweisen soll, dass sich auch unsere Sprache modernisie­rt.

Wer hat vor dreißig Jahren von Nachhaltig­keit gesprochen, wenn er das, was er ausdrücken wollte, auch mit „langer Wirkungsze­it“sagen konnte? Wer hatte auf die Gefahr hin, über einen Text einen Absatz zu schreiben, von einem „Narrativ“gesprochen, was nicht zuletzt auch Printjourn­alisten angeht, deren Text auch Handlungsf­äden nicht abreißen lassen soll? Es gibt eine narrative Erzählweis­e, eine narrative Gesprächsf­ührung, sogar eine narrative Therapie – fragen Sie mich nicht, was das heißt.

Und wer kennt sich mit dem Wort „Resilienz“aus, gleichfall­s eine Wortschöpf­ung, die überaus modern ist? Es genügt nicht, trotz belastende­r Erfahrunge­n seelisch gesund zu bleiben, wie dieses neue Wort übersetzt wird. Nein, zu all dem kann man nur sagen: Tschüss. Das verstehen wir Gott sei Dank.

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VON THOMAS CHORHERR

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