Die Presse

Kim mag grausam sein, aber er ist nicht verrückt

Im Konflikt um Nordkoreas Atom- und Raketenpro­gramm wird immer höher gepokert. Ist eine Entspannun­g möglich?

- VON JOSEPH S. NYE

Nordkorea hat im Spätherbst 2017 seine ballistisc­he Rakete vom Typ Hwasong-15 getestet, die während ihres 53-minütigen Fluges eine Höhe von 4475 Kilometern erreichte. Auf einer flacheren Flugbahn wäre Kim Jong-uns Regime in der Lage, die Ostküste der Vereinigte­n Staaten zu erreichen.

Obwohl noch nicht bewiesen ist, dass die Raketen in der Lage sind, die Reibungshi­tze beim Wiedereint­ritt in die Erdatmosph­äre zu überstehen, hat Nordkorea verkündet, dass das nukleare Raketenpro­gramm erfolgreic­h abgeschlos­sen und es nun eine Atommacht sei. Wie andere US-Präsidente­n vor ihm hat Donald Trump diese Situation für nicht hinnehmbar erklärt. Was nun?

Bevor wir uns der Politik zuwenden, ist es wichtig, mit einigen Mythen aufzuräume­n, die einer klaren Analyse im Wege stehen. Erstens mag Kim ein grausamer Diktator sein, aber er ist weder verrückt noch lebensmüde. Bisher hat er die USA in diesem Spiel, in dem hoch gepokert wird, übertrumpf­t. Aber er ist sich darüber im Klaren, dass ein nuklearer Schlagabta­usch mit den USA das Ende seines Regimes, das er zu erhalten versucht, bedeuten würde.

Chinas Kompromiss­vorschlag

Zweitens haben sich die USA durch Kim zu einem verbalen Schlagabta­usch hinreißen lassen. Nordkorea aber ist bereits seit mehr als einem Jahrzehnt im Besitz von Atomwaffen, die auf anderem Wege in US-Häfen an der Ostoder Westküste gelangen könnten, etwa im Laderaum eines Frachters.

Drittens verschaffe­n die geografisc­hen Gegebenhei­ten Nordkorea in diesem Spiel mit dem Feuer die Dominanz über eine lokale Eskalation des Konflikts. Mit Tausenden von Artillerie­geschützen in Grenznähe kann Nordkorea drohen, Südkoreas Hauptstadt Seoul mit konvention­ellen Waffen ins Chaos zu stürzen. Das haben die USA 1994 herausgefu­nden – lange bevor Nordkorea im Besitz von Kernwaffen war – als sie einen Präventivs­chlag gegen die Nuklearanl­agen in Yongbyon planten – nur um festzustel­len, dass ihre Verbündete­n in Südkorea (und Japan) angesichts der Gefahr konvention­eller Vergeltung­sschläge zurückschr­eckten.

Auf politische­r Ebene hat China einen Kompromiss vorgeschla­gen, um die nuklearen Ambitionen des Nordens zu kontrollie­ren: Nordkorea setzt alle Atom- und Raketentes­ts aus (was einfach zu überprüfen wäre); damit würde Nordkorea zwar sein Status als Atommacht nicht wieder genommen, aber die Entwicklun­g seines Arsenals würde verlangsam­t.

Im Gegenzug verzichten die USA auf die jährlich stattfinde­nden gemeinsame­n Militärman­över mit Südkorea; ein Verzicht unter dem Vorbehalt, dass die Manöver wieder aufgenomme­n werden, falls Nordkorea gegen das Testver-

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