Rote Kammer im Visier der Regierung
Sozialpartner. Die Arbeiterkammer ist reformresistent, doch die Regierung baut vor: Wer aufgrund niedrigen Einkommens keine Steuern zahlt, soll auch von AK-Beiträgen befreit werden.
Wer aufgrund niedrigen Einkommens keine Steuern zahlt, soll auch von den ArbeiterkammerBeiträgen befreit werden.
Neues Jahr, neuer Elan. Auch im ÖGB. Diese Woche trafen jedenfalls die Granden der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG) zusammen, um zu sondieren. Es geht um die Nachfolge von Rudolf Kaske an der Spitze der Arbeiterkammer. Gleich vorweg: Eine Einigung gab es nicht, aber immerhin zeichnet sich ein Trend ab. Der da lautet: Bernhard Achitz, Leitender Sekretär im ÖGB, würde zwar sehr gerne Arbeiterkammer-Präsident werden, hat aber denkbar wenig Unterstützung. Auch der niederösterreichische AK-Chef Markus
Wieser ist ein Kandidat. Doch die besten Chancen hat eine Frau – nämlich ÖGB-Frauenchefin Re
nate Anderl. Man wird sehen. Außerdem ist ja noch Zeit, Kaske geht erst Ende April. Trotzdem ist der Druck groß. Denn eines ist allen Beteiligten klar: Auf die Arbeiterkammer kommen elementar harte Zeiten zu. Das neue Jahr hat ja auch eine türkis-blaue Regierung gebracht.
Dabei gibt die sich in ihrem 180 Seiten umfassenden Regierungspakt noch recht freundlich. So wird den Sozialpartnern „großer Anteil an der Entwicklung unseres Landes“zugeschrieben. Und auch von der FPÖ-Forderung nach einer Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft in Wirtschafts- und Arbeiterkammer ist nichts übrig geblieben. Aber: Es werden Reformen verlangt. Und zwar ultimativ bis Ende Juni 2018. Reformen, die finanzielle Entlastungen der (Pflicht-)Mitglieder ermöglichen. Sonst will die Regierung selbst Hand anlegen.
Man muss kein großer Politikversteher sein, um zu diagnostizieren: Die neue Regierung hat es vor allem auf die Arbeiterkammer abgesehen. Erstens, weil sie über die Jahre zum einflussreichen sozialdemokratischen Thinktank geworden ist, dessen Zusammenarbeit mit der SPÖ einwandfrei funktioniert. Und zweitens, weil die (schwarze) Wirtschaftskammer unter Christoph Leitl schon im vergangenen Jahr ein Reformkonzept vorgelegt hat. Intern zwar nicht ganz unumstritten – aber immerhin will Leitl ab 2019 jährlich 134 Millionen Euro sparen. Die Mitgliedsbeiträge sollen um durchschnittlich 15 Prozent sinken.
Und die Arbeiterkammer? Die hat keine Reformpläne. Dafür haben die nunmehrigen Regierungsparteien im Zuge ihrer Koalitionsverhandlungen eine Idee geboren, die es in sich hat: Sämtlichen Pflichtmitgliedern der Arbeiterkammer, die aufgrund ihres niedrigen Einkommens keine Steuern zahlen müssen, sollen auch die AK-Beiträge erlassen werden.
Ein raffinierter Schachzug, allemal. Denn die rote Arbeiterkammer, die sich tagein, tagaus für sozial Schwache ins Zeug legt, wird gegen die finanzielle Entlastung von Schlechtverdienern nur schwer argumentieren können. Eine echte Zwickmühle also.
Trotzdem schaffte es der klandestine Plan nicht ins Regierungsübereinkommen. Wohl, weil man angesichts der in den nächsten Monaten anstehenden Landtagswahlen kein Öl ins Feuer gießen – also keine weitere Unruhe verursachen wollte. Von einem ohrenbetäubenden Aufschrei der Arbeiterkammer musste jedenfalls ausgegangen werden.
Die Maßnahme würde nämlich deutliche Spuren in den Finanzen der Interessenvertretung hinterlassen. Steuerberater Gott
fried Schellmann, der sich schon lange mit den Kammerfinanzen beschäftigt und auch bei den Koalitionsverhandlungen in der Arbeitsgruppe „Staats- und Verwaltungsreform“saß, rechnet vor: „Es gibt in Österreich 800.000 bis 900.000 Arbeitnehmer, die keine Lohnsteuern zahlen müssen. Geht man bei ihnen von einem monatlichen Arbeiterkammerbeitrag von durchschnittlich 4,50 Euro aus, dann lukriert die Arbeiterkammer im Jahr durch diese Personengruppe rund 50 Millionen Euro.“
Das ist nicht die Welt. Aber angesichts der jährlich an die Arbeiterkammer überwiesenen Beiträge von insgesamt rund 440 Millionen Euro sind verlustig gehende 50 Millionen nicht nichts. Sie sind, auf gut österreichisch, schwer zu verkiefeln.
So wie es aussieht, wird die Regierung ihren Plan nach Ablauf ihres Ultimatums auch umsetzen. Denn die Arbeiterkammer macht eher keine Anstalten, Reformen und Einsparungen auf ihre Prioritätenliste zu setzen. Der Wiener AK-Direktor Christoph Klein lässt der „Presse“vielmehr ausrichten, dass die Interessenvertretung ohnehin „sehr sparsam im Umgang mit den Einnahmen“sei, „sparsame Strukturen“habe und überdies „ohne Steuergeld auskommt“. Und er legt Wert auf die Feststellung, dass „über 800.000 Mitglieder wie Arbeitslose, Karenzierte oder Lehrlinge keine AK-Beiträge zahlen“.
Wichtig ist Klein auch, dass die Arbeiterkammer „in den vergangenen Jahren konsequent den Ausbau ihrer Leistungen verfolgt hat“. Das wird auch auf der Homepage der Interessenvertretung ausgiebig dargelegt. 532 Millionen Euro habe sie für die rund 3,7 Millionen Arbeitnehmer erstritten, heißt es dort. Was Neos-Sozialsprecher Gerald
Loacker allerdings nicht so stehen lassen möchte.
Loacker hat die erkämpften Millionen unter die Lupe genommen und dabei Interessantes zutage gefördert: So wurden 220 Millionen Euro im Rahmen von Sozialgerichtsverfahren herausgeholt. Dabei geht es um Ansprüche gegen Sozialversicherungsträger. Was Loacker zur hämischen Bemerkung veranlasst: „Die Arbeiterkammer sitzt auch in den Versicherungsträgern. Sie streitet also quasi mit sich selbst.“
Weitere 189 Millionen will die AK bei Insolvenzverfahren für Arbeitnehmer erstritten haben. Loacker: „Offenbar wird ein Großteil des Insolvenzentgelts als ,erstritten‘ betrachtet. Die Antragsformulare gibt es aber beim Insolvenzentgeltfonds online. Niemand braucht die Arbeiterkammer, um an sein Geld zu kommen.“Das gelte auch für jene 40 Millionen, die die Arbeiterkammer aus dem Titel steuerliche Arbeitnehmerveranlagung für ihre Mitglieder zurückerstattet bekommen haben will.
Fazit des Neos-Sozialsprechers: Über 84 Prozent der „erstrittenen“Beträge seien von öffentlichen bzw AK-geführten Einrichtungen gekommen. Der magere Rest sei auf Konfrontationen mit Unternehmen bzw. Arbeitgebern zurückzuführen.
Womit klar sein dürfte: Sollte die Regierung nach dem 30. Juni der Arbeiterkammer den Kampf ansagen, wird sie mit tatkräftiger Unterstützung der Neos rechnen können.
Das wird kein Kindergeburtstag. AK-Direktor Christoph Klein sagt zwar, dass er für Gespräche mit der Regierung „immer zur Verfügung steht“. Aber: „Jede Einschränkung, die zu einer Kürzung der Leistungen, zu einem Ausdünnen unseres Beratungsnetzes in ganz Österreich führt, kommt nicht in Frage.“Die Arbeiterkammer ist also kampfbereit. Intern wird auch gerne die Devise verbreitet, dass die Kriegskasse schön gefüllt sei.
„Wer Wind sät, wird Sturm ernten“, warnte der scheidende Arbeiterkammerchef Kaske Ende November bei einer Pressekonferenz. Neben ihm saß damals übrigens seine wahrscheinliche Nachfolgerin, Renate Anderl.