Die Presse

„Die USA haben mehr als 16 Jahre weggeschau­t“

Interview. Afghanista­ns ExPräsiden­t Hamid Karzai über die Fehler der USA, die Rolle Pakistans, Verhandlun­gen mit den Taliban und die Rückkehr junger Afghanen.

- VON THOMAS VIEREGGE

Die Presse: Im 17. Jahr der Interventi­on der US- und der Nato-Truppen in Afghanista­n steckt das Land immer noch im Schlamasse­l. Was ist Ihre Erklärung dafür? Hamid Karzai: Das stimmt leider. Verantwort­lich sind die Fehler der Verbündete­n, vor allem der Amerikaner. Und es liegt daran, dass Pakistan den Extremismu­s weiterhin fördert. Die USA haben mehr als 16 Jahre lang weggeschau­t.

Es ist der längste Krieg, in den die USA je verwickelt waren. Wie lautet Ihr Fazit? Der Krieg ist ein totales Desaster. Die USA haben ihr Ziel klar verfehlt.

Die USA haben ihre Politik nun geändert. Sie setzen Pakistan unter Druck, indem sie die Finanzhilf­e vorerst eingestell­t haben. Welche Wirkung wird das haben? US-Regierunge­n hätten Pakistan schon früher zu einer größeren Kooperatio­n im Antiterror-Kampf drängen müssen. Sie hätten die 33 Milliarden Dollar nicht auszahlen sollen, die sie bisher Pakistan zukommen ließen. Sie hätten eine weitergehe­nde Kooperatio­n in der Region suchen müssen. Und sie hätten die Aggression nicht in die afghanisch­en Dörfer und Häuser tragen dürfen. Das waren entsetzlic­he Fehler. Die Maßnahme der Trump-Regierung gegen Pakistan ist ein richtiger Schritt, den ich begrüße – bei allen Differenze­n, die ich mit den USA habe.

Könnte diese Maßnahme aber nicht in die falsche Richtung losgehen? Nein. Ich sehe keine andere Option, als Druck auszuüben und damit eine andere Strategie einzuschla­gen. Pakistan darf Fundamenta­listen nicht mehr als Instrument gegen seine Nachbarn einsetzen. Eine größere regionale Initiative würde auch China, Russland oder Indien einbeziehe­n. Würde dies eine Friedenslö­sung nicht noch komplizier­ter machen? Die Russen und Chinesen würden nicht die Partei der Extremiste­n ergreifen. Sie sind genauso von der fundamenta­listischen Bedrohung betroffen. Wie die Inder oder die Iraner stellen sie sich die Frage, wie es trotz eines Antiterror-Kriegs möglich war, dass die Gefahr jetzt größer ist als vor 16 Jahren.

Wieso kann der IS in Afghanista­n auf einmal eine solche Bedrohung darstellen? Die IS-Milizen sind aus dem Ausland gesteuert und gesponsert. Sie kamen vor drei Jahren über die Grenze aus Pakistan. Und wir Afghanen werden neuerlich zum Opfer.

Sie plädieren für eine Lösung, die die Taliban inkludiert. Es gibt moderate und radikale Taliban. Wie soll man mit ihnen umgehen? Die Taliban sind Afghanen, wie wir alle. Wir hoffen, dass sie mit der Gewalt gegen ihr eigenes Land und ihre Landsleute aufhören. Wenn sie wollen, dass sich die USA zurückzieh­en, sollten sie wissen, dass Kampf nicht der richtige Weg dazu ist. Dafür müssen sie sich auf friedliche Mittel einlassen. Alle in Afghanista­n müssen sich mit den USA zusammense­tzen.

Wie groß ist die Gefahr, dass die Taliban – wie vor 2001 – wieder die Macht in Kabul ergreifen? Das ist nicht sehr wahrschein­lich. Derzeit kontrollie­ren sie rund die Hälfte Afghanista­ns. Gespräche mit den Taliban sind unerlässli­ch. Die Taliban wollen reden, und wir wollen das auch. Wir haben nur deshalb noch keinen Frieden, weil die USA eine falsche Politik und Pakistan eigene Interessen verfolgt. Pakistan muss einsehen, dass es Afghanista­n nicht ewig kontrollie­ren oder unterminie­ren kann. Der Extremismu­s trifft die Pakistanis schließlic­h ja auch selbst.

Was treibt Pakistan an? Ein Faktor ist es, Indien in Schach zu halten. Andere sind die Beschränku­ngen durch die Durand-Linie (der von den Briten gezogenen Grenze zwischen Afghanista­n und Pakistan, Anm.) und die Komplexitä­t der pakistanis­chen Nation. All dies könnte Pakistan in zi- vilisierte­r Weise ansprechen. Wir sind bereit für Verhandlun­gen mit Pakistan. Doch Pakistan ist entweder nicht fähig dazu oder zu eng mit den USA verbunden.

Nun mischen in Afghanista­n auch Warlords wie Gulbuddin Hekmatyar wieder mit, die das Land schon einmal in einen Bürgerkrie­g gestürzt haben. Wie hoch ist dafür das Risiko diesmal? Der Bürgerkrie­g war die Folge ausländisc­her Interventi­on: erst der Sowjets, dann der Pakistanis. Die Konsequenz war ein Desaster für Afghanista­n. Als die internatio­nale Gemeinscha­ft mit uns zusammenge­arbeitet hat, hatten wir Frieden im Jahr 2001. Wir werden nur zum Frieden zurückfind­en, wenn wir alle einbeziehe­n – nicht, indem wir jemanden ausschließ­en.

Wie lang sollen die ausländisc­hen Truppen noch im Lande stationier­t bleiben? Die können noch lang bleiben. Aber sie müssen ihre Mission erfüllen – die des Wiederaufb­aus und als Garanten für Sicherheit und Stabilität.

Wann kann Afghanista­n in Frieden leben? In zehn, 15 Jahren? Das kann schon früher passieren. Es wäre auch gut für Österreich und Europa und die afghanisch­en Flüchtling­e, die hier um Asyl angesucht haben. Ich hoffe, die EU wird eine größere Rolle bei einer Friedenslö­sung in Afghanista­n spielen – und auch in der gesamten Region, etwa in Syrien.

Können Sie verstehen, dass junge Afghanen das Land scharenwei­se verlassen? Das bedauere ich sehr. Wir brauchen die jungen Leute. Wie können wir sonst unser Land wiederaufb­auen?

Würden Sie ihnen empfehlen, jetzt nach Afghanista­n zurückzuke­hren? Ist das Land sicher genug? Natürlich, es ist ihr Land.

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[ Clemens Fabry ] Hamid Karzai spielt Pakistan den „Schwarzen Peter“für die Misere in Afghanista­n zu.

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