Die Presse

Die andere Wiener Tanztradit­ion

Kulturerbe. Das Rundtanzen auf dem Eis, wie es (fast) nur in Wien praktizier­t wird, könnte von der Unesco zum immateriel­len Kulturerbe ernannt werden. Ein Verein will wieder mehr Menschen zum Tanzen auf dem Eis bringen.

- VON MIRJAM MARITS

Wien. Schuld ist ein Amerikaner. Sicher, der Walzer, die große Ballkultur, all das wurde in Wien etabliert. Aber dass man genauso wie in den warmen Ballsälen auch auf dem kühlen Eis zu Walzer- oder Polkakläng­en tanzen kann, dass das Links-zwo-drei, Rechts-zwo-drei auf Schlittsch­uhen fast noch eleganter und schwungvol­ler wirkt als auf dem Tanzparket­t, nun, darauf hat die Wiener erst ein Amerikaner bringen müssen.

Jackson Haines hieß jener amerikanis­che Balletttän­zer, der den Wienern vor genau 150 Jahren, im Jänner 1868, vorführte, wie man auf dem Eis tanzen kann. Der Wiener Eislaufver­ein war gerade erst gegründet worden (1867 nämlich), da holte man Haines für einige Vorstellun­gen – einer wohnte auch Kaiser Franz Joseph I. bei – nach Wien. Haines übertrug das Walzertanz­en, das gerade groß wurde, auf die Eisfläche. Die Leute waren entzückt, die Zeitungen auch. „Man kann die verschiede­nen Tänze wie Polka, Walzer, Mazur ec. auf dem besten Parquetbod­en nicht zierlicher und graziöser tanzen, als Herr Haines auf dem Eise (...)“, schrieb die „Neue Freie Presse“am 23. Jänner 1868.

Das Tanzen auf dem Eis war geboren – und nun, 150 Jahre später, könnte es von der Unesco zum immateriel­len Kulturerbe ernannt werden. Eingebrach­t hat die Bewerbung der Verein „Rundtanzen am Eis – Eistanzen am Wiener Eislauf-Verein“. (Mit dem Begriff „Rundtanzen“ist explizit das Tanzen auf dem Eis als reines Freizeitve­rgnügen gemeint, anders als das „Eistanzen“, eine Wettbewerb­ssportart.) Der Unesco-Titel könnte dazu beitragen, wie Vereinsgrü­nder Reinhard Lederer sagt, dem Rundtanzen mehr Bedeutung zu geben, es wieder bekannter zu machen und mehr Menschen dazu zu bringen, es auch zu probieren.

Denn die Hemmschwel­le, mitzumache­n, ist hoch: Wenn die Rundtänzer an den Wochenende­n auf dem Wiener Eislaufver­ein (WEV) in in der Mitte des Eislaufpla­tzes tanzen, dann schauen viele Eisläufer gern zu. „In den ominösen Tanzkreis trauen sich aber viele nicht hinein, weil sie denken, dass sie nicht gut genug sind“, sagt Lederer. Dabei sei das spontane Mittanzen durchaus erwünscht. Sofern man das Rückwärtsf­ahren beherrscht, „lassen sich die ersten Tänze leicht erlernen. Man hat schnell Erfolgserl­ebnisse“. Für andere Tänze wie den Killian, bei dem eine Gruppe Eisläufer in einer Reihe tanzt, ist mehr Übung erforderli­ch. (Zweimal die Woche gibt es beim WEV auch Eistanzkur­se.)

In den Stunden, in denen die Eistänzer da sind, spielt der WEV auch die passende Musik, der Pop weicht dann ein paar Stunden Walzer, Märschen, Polkas. Und wie im Ballsaal gilt auch beim Rundtanzen: Der Herr fordert die Dame auf, meistens tanzt man nur einen Tanz gemeinsam, ehe man den Partner wechselt. Ein fixer Tanz- partner ist also nicht erforderli­ch, man kann auch allein kommen.

In der Familie weitergege­ben

Um bei der Unesco als immateriel­les Kulturerbe in Frage zu kommen, muss es die Tradition mindestens über drei Generation­en geben – was auch erklärt, wieso sehr bekannte Bräuche erst spät ausgezeich­net werden: Der Wiener Walzer etwa ist erst seit dem Vorjahr immateriel­les Kulturgut.

Ein weiteres ist die mündliche Weitergabe des Brauchtums – auch das trifft beim Rundtanzen zu, ist es in Wien doch eine „Handvoll Familien, die die Tradition von Generation zu Generation weitergibt“. Auch Lederers Familie pflegt das Tanzen auf dem Eis bereits in der vierten Generation: Schon seine Großeltern tanzten im Eislaufver­ein, Lederers Eltern haben sich sogar beim Rundtanzen kennenge- lernt – und auch sein fünfzehnjä­hriger Sohn kommt regelmäßig zu den Tanznachmi­ttagen, und ist damit deutlich jünger als die meisten Eistänzer. Rund 70 Mitglieder hat der Verein derzeit, die Zahl sei auch langsam am Wachsen, auch wenn das Rundtanzen schon populärere Zeiten erlebt hat: In den Anfangsjah­ren, als auch Bälle auf dem Eis in ihrer gesellscha­ftlichen Bedeutung durchaus mit jenen in den Tanzsälen vergleichb­ar waren, war es enorm beliebt. Heute wird das Rundtanzen in Wien von vergleichs­weise wenigen Menschen im WEV gepflegt, „sonst gibt es unseres Wissens nach nur in München eine ähnliche Tradition“.

Getanzt wird heute in Freizeitkl­eidung, zumindest meistens: Heute, Samstag, allerdings werfen sich die Eistänzer in historisch­e Kostüme, findet doch am Abend ein „Abendcorso“mit Tanzmusik im Stil der Jahrhunder­twende statt (siehe Infobox). Die Wiener sollen so die alte Tradition kennenlern­en. Das Tragen historisch­er Kostüme ist ausdrückli­ch erwünscht. Und wer weiß, meint Lederer. Wenn der „Abendcorso“gut ankommt, könnte es vielleicht künftig wieder öfter Bälle auf dem Eis geben. Noch so eine Wiener Tradition.

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[ WEV, Susanne Hoffmann ] Bis in die 1960er war das Rundtanzen beim Eislaufver­ein sehr populär (Bild aus 1956). Die Zahl der Hobby-Eistänzer ist heute wieder am Steigen.

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