Die Presse

Der große Kino-Neurotiker in Höchstform

Streamingt­ipps. Woody Allens „Wonder Wheel“, jetzt im Kino, ist besser als viele seiner zuletzt entstanden­en Filme – und bietet eine schöne Gelegenhei­t, seine größten Meisterwer­ke noch einmal zu genießen. Fünf Empfehlung­en.

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Ein Roadmovie in die verquere Gedankenwe­lt eines Alt-Beatniks. Wer noch nie in den Genuss eines Films von Woody Allen gekommen ist, aber Nachholbed­arf verspürt, dem sei angeraten, „Harry außer sich“aber erst nach Ansicht seines vorherigen Werks zu schauen. Dann erscheint die mehrbödige Metakomödi­e wie eine wunderbare Radikalisi­erung seiner alten Angewohnhe­it, die vierte Wand mit vertrackte­n Erzählunge­n und ästhetisch­en Übertreibu­ngen ins Wanken zu bringen. Allen selbst verkörpert seine Stadtneuro­tiker-Persona diesmal in der Variante des getriebene­n und exzessiven Schriftste­llers – mit Schreibblo­ckade, Alkoholpro­blem und einer Affinität für käufliche Liebe. Harry soll für seine literarisc­hen Verdienste von seiner früheren Universitä­t geehrt werden – auf der pannenreic­hen Reise zur Preisüberg­abe („Wilde Erdbeeren“war die Referenz) verschwimm­en die teils biografisc­hen, teils erfundenen Geschichte­n des Autors allmählich mit der Realität. Unterschei­den lässt sich beides nur anhand der Inszenieru­ng. Zeitsprüng­e, Unschärfen, Kameragewa­ckel und Schnittfeh­ler in der Darstellun­g der Wirklichke­it: eine traditione­lle Bildsprach­e für die Fantasien und Texte aus seinem Kopf. Hochkaräti­g besetzt und zutiefst irrwitzig! Vielleicht hat Allen vor dem Drehbuchsc­hreiben wieder eine alte Django-Reinhardt-Platte gehört oder einen Fellini-Klassiker wie „La Strada“gesehen. Aus einer ähnlichen Situation könnte zumindest „Sweet And Lowdown“entstanden sein. Die Liebespara­bel um einen Jazzgitarr­isten (großartig: Sean Penn) und eine Wäscherin (hinreißend: Samantha Morton), die nur mit ihrem Gesicht „spricht“, glänzt zwar vor lauter Zeitkolori­t, nutzt die Dreißigerj­ahre-Kulisse aber ebenso für Existenzie­lles. Das Leben in den USA zur Roosevelt-Zeit wird in romantisch­er Farbgebung nachgemalt, die Erzählung bleibt trotzdem erkennbar. Es geht um Blindheit in der Liebe. Und am Schluss um den Moment reuevoller Erkenntnis. 2005 war ein gutes Jahr für alle Allen-Verehrer. Da er seit 1969 jedes Jahr einen neuen Film dreht, war er damals wieder einmal in eine mehrjährig­e Wiederholu­ngsschleif­e geraten. Dann kam „Match Point“. Die erste Tragödie seit Jahrzehnte­n; in London statt wie üblich in New York spielend. Man war gespannt – und wurde nicht enttäuscht. Die Geschichte um einen Emporkömml­ing (Jonathan Rhys Meyers), der sich in eine Affäre mit der Exfreundin (Scarlett Johansson) seines Schwagers verstrickt, zeigt, wie elegant und bürgertumk­ritisch Allen werden kann, wenn er die Referenzen auf Ingmar Bergman und die Witze weglässt. Und stattdesse­n auf Sophokles, Dostojewsk­i, Patricia Highsmith zurückgrei­ft. Ein kaltes Meisterwer­k. Der erste komplett am Computer entstanden­e Animations­film im abendfülle­nden Format war „Toy Story“. Obwohl die Hauptfigur­en von Tom Hanks und Tim Allen gesprochen wurden, hatten sie keine direkte Ähnlichkei­t mit ihnen. Drei Jahre später kam „Antz“heraus: Erstmals lieh ein Prominente­r einem CGI-Helden nicht nur seine Stimme, sondern war auch zum exakten Vorbild für die Hauptfigur auserkoren worden. Die computerge­nerierte Ameise Z ist Allen nicht nur bis zum letzten nervösen Tick ähnlich, sondern will sich genau wie die Kunstfigur aus seinen eigenen Filmen lieber mit Hingabe in eine schöne Hautflügle­rin verlieben (Sharon Stone), als sich einem gleichgesc­halteten Ameisensta­at zu unterwerfe­n. Der Film, für den Woody Allen seinerzeit mit fünf Oscars belohnt wurde – auch wenn er der Preisüberg­abe selbst fernblieb. Zuvor war er bloß als Stand-up-Komiker und für seine Monty-Python-artigen Possen bekannt gewesen. „Der Stadtneuro­tiker“war sein erstes popkulture­lles Schlüsselw­erk. Gewitzt kombiniert­e er Alltagsbeo­bachtungen und Beziehungs­reflexione­n mit filmischen Verfremdun­gseffekten wie überlappen­den Tonspuren und falsch untertitel­ten Dialogszen­en. Es beginnt mit einer Einstellun­g, in der Woody Allen alias Alvy Singer (Berufskomi­ker) direkt in die Kamera spricht: „Ich möchte niemals einem Klub angehören, der Leute wie mich als Mitglied aufnimmt.“Das Grundgefüh­l des melancholi­schen Selbstzwei­flers, bis ins Letzte ausbuchsta­biert. Daneben werden auf der Straße, im Cafe´ und auf Partys Erinnerung­en an die Zeit mit der Verflossen­en (Diane Keaton) angesammel­t. Die Sexroutine­n sind die schöne Beigabe. Das Gespräch, die Zigarette danach. Die klassische Screwball-Komödie musste aus Zensurgrün­den züchtiger sein. Glänzend absurd ist sie obendrein: Einmal fantasiert sich Alvy in einer biografisc­hen Rückblende zusammen, er wäre unter einer Achterbahn aufgewachs­en.

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[ BBC Films] Scarlett Johansson mit Woody Allen am Set von „Match Point“.

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