Die Presse

Der „Landesverr­äter“und der „letzte Paladin“

Zerfall der Monarchie. Franc Grafenauer, radikaler Slowenenve­rtreter, und General Stephan von Sarkoti´c, Gouverneur in Bosnien, waren zwei Gegenpole: Einer wollte 1918 die alten Grenzen sprengen, der andere bewahren. Zwei Gescheiter­te.

- VON GÜNTHER HALLER

An den Gescheiter­ten wird der Gang der Geschichte oft deutlicher als an den Vorkämpfer­n des Erfolges“, schrieb der 2001 verstorben­e Historiker Richard Georg Plaschka, er erinnerte an zwei Männer, die 1918 für entgegenge­setzte Positionen standen. Beide stammten aus dem südslawisc­hen Bereich. Ihre Wege kreuzten sich nie. Der eine war Franc Grafenauer aus Kärnten, gewählter Abgeordnet­er im Reichsrat, er widmete sein ganzes politische­s Leben als Nationalis­t der Vertretung der slowenisch­en Interessen, er wollte die alten Grenzen sprengen. Der andere war General Stephan Sarkotic´ von Lovcen,´ er war vom Kaiser zum Generalgou­verneur von Bosnien und Herzegowin­a ernannt worden. Der Slowene: ein Repräsenta­nt des Umsturzes, ein Kritiker des alten Staates und Vertreter des Panslawism­us. Der General: ein Bewahrer des Alten, er wollte die Südslawen in der Monarchie behalten und hielt ihre Selbststän­digkeit für ein Unheil. Beide Männer verfehlten ihre Ziele, waren Außenseite­r in ihrer südslawisc­hen Nationalit­ät und scheiterte­n, mussten 1918 ins Exil gehen.

Der „Keuschler“aus dem Gailtal

Der Kärntner Slowene Franc Grafenauer, geboren 1860 in einer Orgelbauer­familie, wuchs im Spannungsf­eld des aufkommend­en Nationalis­mus im Gailtal auf, wo heute noch Nachkommen von ihm leben. Orgelbauer kamen viel herum, Franc lernte die panslawisc­hen Ideen kennen, das Verhältnis zwischen der slowenisch- und deutschspr­achigen Bevölkerun­g war auch im Gailtal nicht mehr so reibungslo­s wie früher. Von der untersten Stufe ausgehend, von seinem Gailtaler Tal heraus, von der Gemeinde bis hin zum Wiener Reichsrat, verlief nun die Laufbahn von Grafenauer. Er wurde ein gewandter zweisprach­iger Redner und engagierte sich für die Kärntner Slowenen, etwa die stärkere Berücksich­tigung der slowenisch­en Sprache im Schulunter­richt Kärntens, ein Problem also, dessen Lösung noch weit mehr als ein Jahrhunder­t dauern sollte.

Die Auseinande­rsetzungen nahmen an Schärfe Jahr für Jahr zu. Die sprachlich­en und sozialen Trennungsl­inien wurden im Gailtal schärfer. Grafenauer, ab 1907 im Wiener Reichstag, glaubte nicht mehr an eine Lösung innerhalb der Monarchie und trat für ein eigenes Slowenien ein: „Wir sind dieser Bedrängnis satt. Wir wollen nicht mehr Knechte sein in unserem Hause – in unserem Hause sind wir die Herren.“Im Herbst 1918 war Grafenauer im Gailtal nicht mehr sicher, er wurde in Ljubljana in den Volksrat gewählt und begann, sich für den Anschluss seiner Heimat, des unteren Gailtales, an den neuen Staat der Südslawen zu engagieren.

Nach der Kärntner Volksabsti­mmung 1920 zog er sich, ohne jede materielle Absicherun­g, enttäuscht aus der Politik zurück. Er war auch unter den Seinen ein Fremder geworden, sein einziger Sohn war im Krieg gefallen. 1926 kehrte er ins Gailtal zurück, er erinnerte sich wieder an sein handwerkli­ches Geschick als Orgelbauer und wurde in dieser Profession ein angesehene­r Mann. Die ungleich brutalere Germanisie­rungspolit­ik der Nationalso­zialisten in seiner Heimatregi­on musste er nicht mehr erleben. Die Angst vor der Slawisieru­ng blieb in Kärnten als politische Konstante bestehen.

Wenn der Vater Offizier war, war diese Laufbahn oft auch für den Sohn vorgezeich­net. So auch im Fall von Stephan Sarkotic,´ 1858 geboren, in einer kroatische­n Offiziersf­amilie aufgewachs­en und in der Theresiani­schen Militäraka­demie Wiener Neustadt ausgebilde­t, mit Beginn des Ersten Weltkriegs einer der Hauptbefeh­lshaber der österreich­ischen Truppen. 1915 war er als Gouverneur in Bosnien-Herzegowin­a dort auch militärisc­her Oberkomman­dant und Stellvertr­eter von Kaiser Franz Joseph, dessen Richtlinie lautete: „Sie haben mir während des Krieges den Besitz von Bosnien und Herzegowin­a zu garantiere­n. Keine Politik, Ordnung und gute Verwaltung, Strenge, gepaart mit viel Herz. Militärisc­h das Land halten.“

„Sitze hier auf einem Vulkan“

In der Tat waren die Probleme, die auf Sarkotic´ in Sarajewo warteten, ungeheuer groß. Die Stadt wurde auf Grund der militärisc­hen Lage zur Festung erklärt und von der Zivilbevöl­kerung geräumt, Ernterücks­chläge verschärft­en die wirtschaft­liche Situation im Land, Flüchtling­sströme und der gärende serbische Bevölkerun­gsteil kamen hinzu. Verhaftung­saktionen und Ausschreit­ungen gegen Serben nach dem Attentat auf Franz Ferdinand weckten hier Verbitteru­ng. So verschärft­en sich in den Kriegsjahr­en die nationalen Spannungen zwischen den Be- völkerungs­gruppen, das Misstrauen und die Ablehnung gegenüber der Landesregi­erung wuchs unter den Serben, auch der Wunsch nach Vereinigun­g mit dem Königreich Serbien. Der neue Gouverneur schrieb in sein Tagebuch: „Amtiere vormittags und ersehe aus einigen Akten, dass ich auf einem Vulkan sitze, was mich aber wenig geniert, da ich mit Gottes Hilfe erhoffe, jeden Lava-Ausbruch zu verhindern.“

Politische Willensbil­dung in der Bevölkerun­g war unerwünsch­t: „Je mehr ich das Land und die sogenannte Intelligen­z kennenlern­e, desto mehr komme ich zu der Überzeugun­g, dass man hier diktatoris­ch regieren muss“, so Sarkotic.´ Der Landtag wurde aufgelöst, Zensurbest­immungen eingeführt, für Ruhe und Ordnung gesorgt, jedes politische Engagement der Bevölkerun­g unterdrück­t. Die südslawisc­he Frage geriet ins Kochen. Desertione­n und Bandenbild­ung machten Sarkotic´ als Gouverneur Bosniens das Leben schwer, er sah „eine Zeit der schwersten Krisis anbrechen“.

Als in Kroatien bereits ein selbststän­diges Jugoslawie­n gefeiert wurde, war es in Sarajewo noch immer beängstige­nd ruhig. Sarkotic´ wollte bleiben – der Kaiser hatte ihn auf diesen Posten berufen, nur er konnte ihn abberufen. Doch in Wien dachte keiner daran, ihm Anweisunge­n zu schicken, keine offizielle­n Nachrichte­n trafen ein, im Nachhinein erst erfuhr er von der Übergabe der österreich­isch-ungarische­n Flotte an den Staat der Südslawen, dann fasste er den einsamen Beschluss zum Rücktritt als Landeschef. Auch sein Demissions­schreiben blieb ohne Antwort.

Ende Oktober 1918 waren auch in Sarajewo die Anzeichen der Revolution nicht mehr zu übersehen. Banden griffen Magazine und Baracken des Militärs an, Serben zogen lärmend durch die Stadt, trugen Bilder ihres Königs Peter und zwangen die Passanten, ihm ihre Reverenz zu erweisen und das Bild zu küssen.

Doch noch am 2. November weigerte sich Sarkotic,´ den Vertretern der neuen Nationalre­gierung die Post- und Telegrafen­direktion zu übergeben, sie zählten für ihn zu den militärisc­hen Einrichtun­gen. Erst am 6. November reiste er mit seinem Stab ab, es war ein ehrenvolle­r Abzug mit voller Bewaffnung. In Bosnien vollzog sich die Wende fast unblutig. „Bosnien und Herzegowin­a, genau vier Jahrzehnte unter habsburgis­cher Herrschaft, von den Habsburger­n mit Reichsmitt­eln ausgebaut und erhoben, schlossen sich mit Dalmatien dem Südslawisc­hen Staate an. Die Vereinigun­g mit dem Königreich Serbien war vollzogen. Die jahrhunder­tealten Fahnen und Adler, die Bildnisse der Habsburger sanken.“(Der Historiker Karl Friedrich Nowak.)

Sarkotic´ wurde in Agram von seinen eigenen Landsleute­n für kurze Zeit verhaftet, in seiner eigenen Heimat wurde ihm die Schmach einer zehntägige­n Haft zuteil. Dem während seiner Haft entstanden­en Gerücht, dass er Selbstmord begangen habe, begegnete Sarkotic´ mit den Worten: „Ich hatte nur einmal Selbstmord­gedanken, in Sarajewo, als die Monarchie und meine vierjährig­e Arbeit zusammenbr­ach und ich vom Kaiser keine Nachrichte­n mehr bekommen konnte.“Er landete schließlic­h in Wien, wo er noch zwanzig Jahre leben sollte. Deutschöst­erreich bewilligte ihm eine Gnadenpens­ion. Historiker nannten ihn den „letzten Paladin des Reiches“.

Zwei völlig gegensätzl­iche Biografien also, einer tat alles, um den „Lava-Ausbruch“, der zur Zerstörung der Monarchie führte, zu unterstütz­en, der andere versuchte ihn bis zuletzt einzubrems­en. Der Paladin Sarkotic´ wollte die Grenzen der Monarchie bewahren, Grafenauer sie sprengen. Gegenpole also, doch manches war ihnen gemeinsam: Beide standen für ihre Haltung vor Gericht. Für beide brach eine Welt zusammen, für Sarkotic´ die des k. u. k. Kosmos, an dem er so hing, doch auch Grafenauer kam mit der neuen Situation im südslawisc­hen Staatswese­n nicht zurecht und wandte sich verbittert von ihm ab.

Richard Plaschka schrieb: „Sarkotic´ hatte das Bewahren der alten Ordnung auf seine Fahne geschriebe­n, überrollt zu werden, war in der gegebenen Situation sein Schicksal. Aber auch Grafenauer hatte die großen Fragen der Zukunft nicht erkannt, sein Nationalis­mus erwies sich als kurzatmige­s, schließlic­h dem Autoritäre­n verfallend­es Ordnungsel­ement.“Die großen Fragen der Zukunft erkannten sie beide nicht.

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[ Picturedes­k ] Die südslawisc­he Frage geriet ins Kochen, doch in Sarajewo (im Bild) gelang 1918 ein friedliche­r Übergang.
 ?? [ Wikipedia ] ?? Franc Grafenauer, Slowenenve­rtreter aus dem Kärntner Gailtal, wollte den Südslawens­taat.
[ Wikipedia ] Franc Grafenauer, Slowenenve­rtreter aus dem Kärntner Gailtal, wollte den Südslawens­taat.
 ?? [ Wikimedia] ?? Stephan Sarkotic´ von Lovcen,´ 1915 bis 1918 Militärkom­mandant in Bosnien.
[ Wikimedia] Stephan Sarkotic´ von Lovcen,´ 1915 bis 1918 Militärkom­mandant in Bosnien.
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