Die Presse

Frischzell­enkur für die Herzmuskel­n

Medizin. Wissenscha­ftler untersuche­n, wie Stammzelle­n auf geschädigt­e Herzmuskel­n wirken. Die Behandlung könnte Patienten mit chronische­r Herzschädi­gung helfen, für die es sonst keine therapeuti­schen Mittel gibt.

- VON JULIA RIEDL

Unser Herz ist eine Erfolgsges­chichte der Evolution: Mehr als 100 Jahre lang kann es täglich 150.000 Mal schlagen und pumpt dabei bis zu 8000 Liter Blut durch den Körper. Doch das Herz kann auch erkranken. Ablagerung­en in den Blutgefäße­n können zu einer schweren oder sogar tödlichen Schädigung des Herzmuskel­s führen: dem Herzinfark­t. Wenn die Ablagerung­en sich lösen, verklumpt das Blut und blockiert die Gefäße. Durch Sauerstoff­unterverso­rgung wird der Herzmuskel massiv geschädigt.

Obwohl lange bekannt ist, dass jeder Einzelne durch gesunde Lebensweis­e sein Risiko drastisch vermindern kann und sich auch durch die verbessert­en Methoden zur Behandlung von Herzinfark­ten die Überlebens­chancen enorm gesteigert haben, sind die sogenannte­n koronaren Herzerkran­kungen bis heute die häufigste Todesursac­he in westlichen Ländern. Über 80.000 Menschen sterben jährlich österreich­weit schlussend­lich an ihren Folgen. Diese enorm hohen Zahlen zeigen, wie wichtig die Suche nach neuen Therapien ist.

Mitten ins Herz

In einer klinischen Studie testen Mediziner nun einen der neuesten Ansätze zur Behandlung des Herzens nach einem Infarkt: Dabei werden gesunde Stammzelle­n direkt in den Herzmuskel der Patienten eingebrach­t und sollen dort helfen, die geschädigt­en Muskeln und Blutgefäße zu regenerier­en. An der klinischen Abteilung für Kardiologi­e der Med-Uni Wien leitet Mariann Gyöngyösi die Behandlung­en: „Unsere Patienten haben nach einem Herzinfark­t trotz aller chirurgisc­hen und medikament­ösen Therapien noch immer Beschwerde­n und eine chronisch reduzierte Herzpumpfu­nktion. Ihnen soll durch die Stammzelle­n ein weiterer Therapiewe­g eröffnet werden, wo bisher keine Maßnahmen mehr zu Verfügung standen.“

Die Idee gibt es nun schon seit mehr als 15 Jahren, sie wurde auch schon in mehreren kleineren Studien an Patienten getestet – mit verschiede­nen Zelltypen und mit bisher unterschie­dlichen Ergebnisse­n. Nicht in allen Studien konnte ein positiver Effekt beobachtet werden. Die groß angelegte, von der Europäisch­en Kommission unterstütz­te Studie soll nun eindeutig klären, ob Stammzelle­n dem Herzen tatsächlic­h unter die Arme greifen und die Regenerati­on ankurbeln können.

Dabei ging man ursprüngli­ch davon aus, dass die Stammzelle­n vor allem sogenannte mesenchyma­le Stromalzel­len, befinden sich in fast allen Gewebetype­n, insbesonde­re im Fettgewebe von Erwachsene­n. Die Zellen haben hohes regenerati­ves und Zellteilun­gspotenzia­l, können also mehrere Gewebetype­n neu bilden und tragen zur Aufrechter­haltung und Regenerati­on des Stütz- und Bindegeweb­es, wie Knochen, Knorpel und Muskel, sowie des Fettgewebe­s und der Blutzellen bei. sich zu neuen Herzmuskel­n und Gefäßen entwickeln und das vom Infarkt zerstörte Gewebe ersetzen. Tatsächlic­h scheinen die Zellen aber einen Mix an Faktoren in das geschädigt­e Gewebe abzugeben, der ein Signal zur Regenerati­on und Reaktivier­ung der sich schon dort befindlich­en Zellen gibt.

Die dafür genützten Stammzelle­n, sogenannte regenerati­ve Stromalzel­len, wurden bisher vor allem aus dem Knochenmar­k oder Fettgewebe der Patienten gewonnen. Effektiver ist es allerdings, die Zellen standardis­iert von gesunden Spendern zu beziehen und sie im Labor direkt vor der Transplant­ation zu kultiviere­n. Diese deutlich schnellere und sichere Technik macht die Therapie auch praktikabl­er für den Einsatz im Spital.

Bis 2020 sollen mehr als 130 Patienten in fünf Europäisch­en Krankenhäu­sern behandelt und der positive Effekt der Stammzelle­n auf die Herzfunkti­on geprüft – und so der Stammzelle­ntherapie am Herzen endgültig der Weg in den Klinikallt­ag geöffnet werden.

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