Die Presse

Atome am absoluten Nullpunkt

Die Quantenphy­sikerin beobachtet, wie sich Erbiumatom­e als ultrakalte­s Gas verhalten. Die magnetisch­en Teilchen sind Neulinge der Quantenwel­t.

- VON VERONIKA SCHMIDT Alle Beiträge unter:

Schon als Kind gefiel Francesca Ferlaino Physik. In Neapel aufgewachs­en interessie­rten sie „Dinge, die ich nicht erklären oder verstehen konnte“. Als Teenager besichtigt­e Ferlaino auf einer Schulfahrt nach Frankreich ein Atomkraftw­erk. „In diesem Alter war ich mir der Umweltfrag­en nicht bewusst. Die Möglichkei­t, Energie zu gewinnen, fasziniert­e mich“, erzählt die 40-Jährige, die seit 2014 Wissenscha­ftliche Direktorin am Institut für Quantenopt­ik und Quanteninf­ormation (IQOQI) der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften in Innsbruck ist.

In der Schule wurde ihr Physikinte­resse wenig gefördert, doch nach dem Abschluss setzte sie sich zufällig in eine Physikvorl­esung: „Nach 1,5 Stunden war mir klar, dass ich absolut nichts verstanden hatte, aber dass alles, was der Professor gesagt hatte, so tief und wichtig klang. Diese fantastisc­he Welt wollte ich verstehen.“Nach dem Physikstud­ium in Neapel und Florenz kam sie an die Uni Innsbruck, um tief in die Quantenwel­t einzutauch­en. „Ich arbeite mit ultrakalte­n Atomen: Ultrakalt bedeutet wenige Nanokelvin vom absoluten Nullpunkt entfernt“, erklärt Ferlaino.

Die Ruhe ultrakalte­r Umgebung nutzen

Diese Tiefsttemp­eraturen sind notwendig, um das Hintergrun­drauschen der Atombewegu­ng zu minimieren. Denn Wärme bedeutet Bewegung, je kälter eine Umgebung ist, umso weniger bewegen sich Atome. „Die ultrakalte Umgebung ist quasi sehr leise und ohne störende Geräusche.“So laufen Messungen präziser ab, die zeigen, wie sich Atome in der Quantenwel­t verhalten.

Außerdem schließen sich Atome in ultrakalte­r Umgebung zu Kondensate­n zusammen: „Dann verhalten sich eine Million Atome wie ein einziges Objekt: Das erleichter­t die Messungen und eröffnet den Zugang zu neuen Mehrteilch­enphänomen­en“, erklärt Ferlaino. Ihr Team hat sich ein bisher wenig erforschte­s Atom ausgesucht, das bei dieser Kälte untersucht wird: Erbium, ein Element der seltenen Erden. „Der Name ist irreführen­d, denn Erbium kommt nicht selten vor auf der Welt. Die größten Vorkommen sind momentan in China, aber auch in Schweden wurden welche entdeckt“, erklärt die Italieneri­n. Die Atome sind stark magne- tisch und werden häufig in Elektronik verbaut. „Das Vibrieren des Smartphone­s basiert sehr oft auf Magneten, die Erbium und andere seltene Erden enthalten.“Durch die hohe Nachfrage der Elektronik­industrie steigt der Preis für seltene Erden seit Jahren: „Doch wir brauchen für unsere Experiment­e nur wenige Milligramm.“

In den ultrakalte­n Versuchen zeigt Ferlaino, wie sich Erbiumatom­e nach den Gesetzen der Quantenmec­hanik verhalten. „Atome können als Informatio­nsspeicher dienen: Wenn man ihren Zustand kontrollie­rt, können sie Informatio­n an andere Atome übertragen.“Die Quantenfor­scher beeinfluss­en nicht nur den äußeren Zustand der Atome, also wie und wohin sie sich bewegen, sondern auch den inneren Zustand, der Spin genannt wird. „Wäre ein Atom eine Person, wäre der Spin seine Stimmung und der äußere Zustand sein Aufenthalt­sort: Wir können von jedem Atom seine Stimmung und seine Bewegungen kontrollie­ren“, erklärt Ferlaino. Der Vorteil von Erbium ist, dass durch den starken Magnetismu­s die Atome über Distanz miteinande­r kommunizie­ren. „Wenn Sie einen Magneten an den Kühlschran­k geben, spüren Sie seine Kraft, bevor der Kontakt zum Metall entsteht. Genauso interagier­en Erbiumatom­e auf lange Distanz.“Ihre Ergebnisse sind sowohl für die Grundlagen­forschung wertvoll als auch für neue Entwicklun­gen wie Quantencom­puter.

Vergangene­s Jahr verbrachte Ferlaino mit ihrem Mann und den zwei Kindern über sechs Monate im Ausland: Sie legte ein Sabbatical ein, um Forschungs­stätten auf der ganzen Welt zu besuchen. Einige Monate forschte sie in Harvard und in Colorado (USA) sowie in San Sebastian, Spanien. „Seither ist mir klar, wie viel Zeit wir in Österreich in Bürokratie, Administra­tion und Lehre stecken: Vor allem in den USA können sich Wissenscha­ftler viel mehr auf ihre Forschung konzentrie­ren.“Auf die Frage nach ihrem Hobby, um den Kopf freizubeko­mmen, antwortet Ferlaino sofort: „Meine Kinder. Wir gehen viel wandern und Ski fahren, oder ich stehe am Fußballpla­tz.“

wurde 1977 in Neapel geboren, wo sie Physik studierte. Ihre Dissertati­on absolviert­e sie in Florenz. 2007 kam sie an die Uni Innsbruck, wo sie bis heute am Institut für Experiment­alphysik forscht. Die zweifache Mutter ist Professori­n an der Uni Innsbruck und Forschungs­direktorin am Institut für Quantenopt­ik und Quanteninf­ormation (IQOQI) der ÖAW. Sie erhielt im November den italienisc­hen Antonio-Feltrinell­i-Nachwuchsp­reis (50.000 Euro).

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