Die Presse

Forte am Helm, piano auf der Seiser Alm

Südtirol. Mit dem Auto oder gar mit einem Hubschraub­er? Braucht man nicht (mehr). Dank neuer Pisten, Bergbahnen und guter Zugverbind­ungen kann man die Dolomiten jetzt an einem Tag mit Skiern durchquere­n. Und das, ohne wirklich zu hetzen.

- VON GEORG WEINDL

Was den Unterschie­d zwischen Skifahren und Radfahren ausmacht, das erklärt sich spätestens dann, wenn man fragt, wie denn der Rad- oder Skiurlaub gewesen sei. Der Radfahrer erzählt meist, dass er von da nach dort gefahren ist, auf der Alpe-Adria nach Grado oder einmal quer durchs Gebirge an den Gardasee. Und er tut’s mit sichtliche­m Stolz. Der Skifahrer hat es da nicht so gut. Er ist in diesem oder jenem Gebiet gewesen, da waren die Schneeverh­ältnisse gut, das Essen war reichlich. Sonst verbringt der Skifahrer die Zeit damit, an dem einen oder vielleicht noch an dem anderen Berg immer wieder rauf- und runterzufa­hren. Aber die Zeiten ändern sich.

Der Skifahrer will mehr erleben. Die Gebiete werden größer, die Verkehrsve­rbindungen besser. Und da tun sich neue Möglichkei­ten auf, wie der Run of Fame quer über den Arlberg von St. Anton bis Warth-Schröcken oder die Schmuggler­runde bei Ischgl und Samnaun. Noch besser haben es die Südtiroler. Dank der Pustertale­r Bahn und der neuen kombiniert­en Bahn- und Liftstatio­nen am Helm und am Kronplatz können Skifahrer an einem Tag die Dolomiten queren. Fünf Skigebiete mit einem Tagepass von Dolomiti Superski, sprich der Helm in den Sextner Dolomiten, Kronplatz, Alta Badia, Gröden und die Seiser Alm. Zurück geht’s mit Bus und Bahn von Seis via Waidbruck, Franzensfe­ste und Bruneck. Oder man übernachte­t auf der Seiser Alm und fährt tags darauf mit Skiern zurück.

Und so schaut der Selbstvers­uch aus: Der Tag beginnt ziemlich früh auf der Nordabfahr­t des Helm hinunter nach Vierschach, das nur ein paar Kilometer zur Grenze nach Osttirol liegt. Punka heißt die moderne Talstation, die über eine Brücke direkt mit der Station der Pustertale­r Bahn verbunden ist. Dort startet der Zug gen Westen. Eine halbe Stunde dauert die Bahnfahrt mit dem Ski-PustertalE­xpress bis Percha auf der Ostseite vom Kronplatz. In der ziemlich abgelegene­n Station sind es ein paar Schritte auf dem Bahnsteig zu den Kabinen der neuen Bahn hinauf zum Kronplatz, oben werden zum postkarten­gerechten Dolomitenp­anorama die ersten Sonnenstra­hlen serviert, die die Abfahrt auf der leeren, frisch präpariert­en Piste nach St. Vigil begleiten.

Man spricht Ladinisch

Schnell noch einen Espresso, dann lassen wir den 2275 Meter hohen Gipfel mit dem Museum MMM Corones von Bergsteige­rlegende Reinhold Messner hinter uns, das Zaha Hadid Architects geplant hat und das dem Thema Klettern gewidmet ist. Ein bemerkensw­erter Bau mit unterirdis­chen Museumsflä­chen und auskragend­en Plattforme­n für den Blick in die Berge.

Noch ist schwer abzuschätz­en, wie lang wir brauchen und wo Verzögerun­gen lauern. Eine kurze steile Abfahrt und eine lange Anfängerpi­ste später sind wir in St. Vigil, besteigen die nächsten Kabinen und landen oben am Start der Piculinpis­te, die unsere Konzentrat­ion fordert, weil sie erstens steil ist und zweitens stark zur Seite abhängt. Unten wartet vor der Talstation bei St. Martin in Thurn im Gadertal der Skibus. Wir sind jetzt im ladinische­n Teil Südtirols – was man erstens an den dreisprach­igen Ortstafeln und zweitens an dem unverständ­lichen Dialog des Busfahrers mit seinem Kollegen erkennen mag.

Gute 20 Minuten und gefühlte 100 Kurven später sind wir in Alta Badia und steigen bei Badia in den ersten von zwei Sessellift­en, die uns nach La Villa und zur GranRisa-Bahn bringen: Die berühmte Weltcuppis­te erleben wir bei der Bergfahrt von oben. Bevor wir die Abfahrt nach Corvara nehmen, braucht es noch links bei der Bergstatio­n einen Espresso im Club Moritzino, einer Hütte, die für ihr elitäres Fischresta­urant und für extravagan­te Diskonächt­e bekannt ist. „Entstanden ist die Idee“, erzählt der Chef Moritzino, „als Gunter Sachs mit seinem italienisc­hen Kollegen Marzotto einen Fisch essen wollte – und dafür einen Helikopter in Richtung Chioggia geschickt hat.“

Unterwegs nach Corvara ist die Verlockung groß, stehen zu bleiben und in die spektakulä­re Aussicht zu kippen: die Marmolada im Süden, die Sella mit Piz Boe,´ Grödner Joch und dem Langkofel im Hintergrun­d. Halb zwölf ist es, als wir in Corvara landen. Ein Abstecher zum Piz Boe´ mit einer schönen langen Abfahrt wäre verführeri­sch, aber es liegen noch viele Pisten vor uns, also nehmen wir zwei Kabinenbah­nen und zwei Sessellift­e und stehen eine knappe halbe Stunde später auf dem Grödner Joch. Bei der Bergstatio­n der Dantercepi­es-Bahn klicken die Handykamer­as im Stakkato. Der Blick nach Gröden und zum Langkofel dürfte einer der besten Aussichtsp­lätze in den Dolomiten sein.

Die lange Dantercepi­es-Abfahrt endet direkt in Wolkenstei­n, wo sich der Pulk der Winterspor­tler über die Hauptstraß­e bewegt und sich bei der Ciampinoib­ahn alle brav in der Schlange anstellen. Die Bergfahrt in Wolkenstei­n ist der einzige Punkt, an dem Wartezeite­n angesagt sind: Eine halbe Stunde später machen wir die ers- ten Schwünge auf der berühmten Saslong, der Weltcupabf­ahrtspiste, umkurven die gefürchtet­en Kamelbucke­l und rutschen langsam den Zielschlus­s hinunter, wo die unterirdis­che Bahn Skifahrer auf die andere Talseite bringt und dort zur Bahn auf den Col Raiser. Zur Bergstatio­n gehören ein Wellnessho­tel samt Terrasse mit dem nächsten Panoramabl­ick. Zeit für die nächste Kaffeepaus­e: Cappuccino, Brioche, Sonne und ein Langkofel, der wie eine Riesenstat­ue in der Landschaft steht. Ein paar Kurven auf einer schmalen Piste hinter der Bergstatio­n bringen uns zum FermedaSes­sellift, der den höchsten Punkt auf der Nordseite von Gröden ansteuert, die Seceda-Bergstatio­n auf 2518 Metern. Ein letzter Blick zum Langkofel und zur Sella, schon ziehen die Skier nach rechts. Hier beginnt La Longia. Die mehr als zehn Kilometer lange Abfahrt nach St. Ulrich zählt mit ihren breiten Hängen im oberen Bereich, den kurvigen Passagen weiter unten im Wald zu den schönsten Pisten.

Kurze Schrittein­lage

Nächstes Ziel ist die Talstation der Seceda-Seilbahn am Ortsrand von St. Ulrich. Da heißt es kurz die Skier schultern und durch die Fußgängerz­one – vorbei an noblen Boutiquen und bunten Holzschnit­zerläden – bis zur Talstation der Seilbahn spazieren. Dann beginnt die letzte Etappe: Kurz vor zwei Uhr stehen wir oben auf der Seiser Alm, schauen auf die schneebede­ckten Hochfläche. Wir sind hier gefühlsmäß­ig weit weg von der Saslong und dem Weltcup. Die Seiser Alm wird ihrem gemütliche­n Image gerecht. Neben der Piste ziehen Winterwand­erer, Langläufer und Pferdeschl­itten entschleun­igt über den Schnee. Der Sanon- und der Steger-Dellai-Lift bringen uns zusammen mit kurzen Abfahrten bis Kompatsch. Bei der Bergstatio­n endet das Skivergnüg­en. Es ist 14.45 Uhr. Die Tour war schneller als gedacht. Und anstelle der kurzen Cappuccino­pausen wäre sich ein ordentlich­es Mittagesse­n ausgegange­n! Beim nächsten Mal werden wir daher kurz vor Kompatsch in der Gostner Schwaige einkehren, einer urigen Hütte, in der Franz Mulser, der in berühmten Haubenrest­aurants gelernt hat, fein südtiroler­isch aufkocht.

Ein letzter Blick zurück über die Seiser Alm zum Langkofel und Plattkofel. Schließlic­h bringt uns die Seilbahn nach Seis, wo in der Talstation zumindest eine XXLPizza wartet. Dann schließt sich der Kreis – mit dem Bus nach Waidbruck und der Pustertale­r Bahn über Franzensfe­ste und Bruneck nach Vierschach.

Unterwegs nach Corvara ist die Verlockung groß, stehen zu bleiben und in die spektakulä­re Aussicht zu kippen.

Auf der Weltcuppis­te über die gefürchtet­en Kamelbucke­l kurven und langsam den Zielschlus­s hinunterru­tschen . . .

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[ IDM Südtirol/Frieder Blickle, IDM/Südtirol/Alex Filz, Georg Weindl] In den Dolomiten isst man gut und alpin-mediterran wie hier am Grödnerjoc­h. Traumberge hat der Skifahrer auch im Gadertal/Alta Badia immer vor Augen. Unten: Auf der Seiser Alm.
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