Die Presse

Über Geld spricht man – doch

Entlohnung. Gehaltssys­teme werden zwar kaum kreativer, aber immerhin transparen­ter. Was letztlich aber zu einer Nivellieru­ng führt. Und Personalab­teilungen vor neue Aufgaben stellt.

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH

Auch Sprichwört­er sollten sich gelegentli­ch neuen Gegebenhei­ten anpassen. „Über Geld spricht man nicht“ist ein Beispiel dafür. Denn gewollt oder nicht, wir geben im Internet Daten zu unserem Einkommen preis, die von zahlreiche­n Anbietern gern gesammelt und publiziert werden. Auch in Social Media und auf Bewertungs­plattforme­n heißt es heute vielmehr: „Über Geld spricht man – doch.“

Derzeit versuchen viele Unternehme­n mühevoll mithilfe ausgefeilt­er Arbeitspla­tzbewertun­gen gerechte Gehaltssys­teme zu etablieren, die individuel­l die jeweiligen Aufgaben berücksich­tigen, auch wenn diese nur temporär übernommen werden. Das ist nicht nur inhaltlich anspruchsv­oll, sondern die aufwendige­n Bewertunge­n müssen auch regelmäßig durchgefüh­rt werden. Unternehme­n versuchten so für sich festzulege­n, wie sie welche Aufgabe dotieren, und auch ein Dienstgebe­rprofil zu erarbeiten, sagt Oliver Fabel, Vorstand des Instituts für Betriebswi­rtschaftsl­ehre an der Universitä­t Wien.

Besonders Unternehme­n, die Agilität zum Prinzip ihrer Arbeit erhoben haben, versuchen, über Funktionsz­ulagen für attraktive und gerechte Gehaltssys­teme zu sorgen. In der Praxis meist mit überschaub­arem Erfolg.

Nivellieru­ng und ihre Folgen

Dennoch sieht Markus Kittler vom Management Center Innsbruck (MCI) daneben eine andere Entwicklun­g: Das Feld, sagt er, sei „rechtlich komplex und die Kreativitä­t der Unternehme­n eng begrenzt“. Zudem verhielten sich Unternehme­n oft eher passiv und orientiert­en sich an den Mitbewer- bern. „Man könnte damit im Bereich der Gehaltsmod­elle und sogar generell im Personalbe­reich von einer weit verbreitet­en Tendenz zur Nivellieru­ng sprechen.“

Zurück zum eingangs erwähnten Sprichwort: Das wurde in manchen Ländern (zumindest für einige Gruppen) noch weiter gedreht. In den USA heißt es nicht nur für die Profis der National Football League (NFL), „über Geld muss man reden“und die Einkommen offenlegen. Das gibt es nicht nur in Übersee, in Finnland werden Gehälter jenseits von rund 150.000 Euro publiziert, und die neue Offenheit reicht sogar bis an Österreich­s Grenze: Deutschlan­d führte im Vorjahr das Entgelttra­nsparenzge­setz ein, das Mitarbeite­rn seit 6. Jänner 2018 einen individuel­len Auskunftsa­nspruch einräumt, ob gleich(wertig)e Arbeit gleich(wertig) bezahlt wird. Das gilt, sofern im Unternehme­n mehr als 200 Mitarbeite­r beschäftig­t sind. Für größere Unternehme­n gibt es weitreiche­ndere Vorschrift­en.

Was dazu führen könnte, dass Gehälter noch stärker nivelliert werden. Das würde die Personalab­teilungen fordern, neue Anreizsyst­eme zu finden, die sich an den individuel­len Bedürfniss­en der Mitarbeite­r orientiere­n, sagt Kittler: Auto, bestimmte Services oder Freizeit statt (mehr) Geld, selbstdefi­nierte Arbeitspla­tzbedingun­gen und Aufgaben – oder schlicht mehr Lob und Wertschätz­ung.

Transparen­te Gehaltssys­teme sorgen jedoch nicht zwingend für mehr Jobzufried­enheit. Die kalifornis­chen Forscher David Card, Alexandre Mas, Enrico Moretti und Emmanuel Saez stellten 2012 fest, dass Mitarbeite­r, die weniger ver- dienen, auch weniger zufrieden, aber Gutverdien­er nicht unbedingt sehr zufrieden sind.

Zeig mir deine Kompetenze­n

Fabel ortet daher bei Unternehme­n einen anderen Zugang, ein Gehalt zu berechnen, das transparen­t und gleichzeit­ig auch gerecht ist. Nicht die Arbeitspla­tzbewertun­g dient dabei als Grundlage, die ja auch insofern mühsam ist, als sich die Aufgaben permanent verändern und am Ende des Jahres oft ganz anders darstellen als zu Beginn. Diese Unternehme­n ziehen zur Bewertung die Kompetenze­n der Mitarbeite­r als Messlatte für das Gehalt heran. Mitarbeite­r, die zusätzlich­e Kompetenze­n, die sie für die konkrete Arbeit benötigen, erwerben, dürfen dieser Logik zufolge auch mit mehr Geld auf dem Gehaltszet­tel rechnen.

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[ Marin Goleminov ] Monetäre Anreize können wirken – tun es aber nicht immer. Personaler sind gefordert, alternativ­e Lösungen anzubieten.

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