Die Presse

„Diese Neuen sind arme Hunde“

Transforma­tion. Dieser Tage startet so mancher Digitalisi­erungsmana­ger seinen neuen Job. Es ist zu befürchten, dass er ihm wenig Freude machen wird. Weil andere vor ihm ihren Job nicht richtig gemacht haben.

- VON ANDREA LEHKY

Was hatten es doch die Sanierungs­manager in der Finanzkris­e vor knapp einem Jahrzehnt leicht. Sie bezogen ihre Büros, röntgenisi­erten aus sicherer Entfernung das Unternehme­n und schnitten weg, was sie für verzichtba­r hielten. Umsetzen ließen sie das andere.

Nur wenige kamen, um zu bleiben. Jetzt, zu Jahresbegi­nn, beziehen neue Wunderwuzz­is die verwaisten Büros. Sie hören auf den zukunftstr­ächtigen Jobtitel Digitalisi­erungsmana­ger. Die Bezeichnun­g mag variieren, der Auftrag ist immer derselbe: das Unternehme­n in die digitale Zukunft zu führen und die Mannschaft mitzunehme­n. Der Unterschie­d zu den Sanierungs­managern: Die Digitalisi­erungsmana­ger krempeln selbst die Ärmel hoch.

Himmelfahr­tskommando

„Diese Neuen sind arme Hunde“, stöhnt Andreas Hladky, Gründer der Business Transforma­tion Beratung Point of Origin, „sie werden noch ihr blaues Wunder erleben.“Wie solle denn ein Neuling, der Unternehme­n, (verborgene) Strukturen, Bruchlinie­n und Ängste der Crew nicht kennt, so einen Auftrag überhaupt stemmen?

Hladky nennt Zahlen: 75 Prozent aller Digitalpro­jekte scheitern, weil das Management Digitalisi­erung für ein Technologi­eprojekt hält. Weil es den menschlich-kulturelle­n Aspekt schlichtwe­g ignoriert hat. Ein Handelsbet­rieb mit Omnichanne­l-Ambitionen wollte mit einer neuen Software alle Kunden auf Facebook ansprechen können. „Aber niemand bedachte, dass die Mitarbeite­r draußen in den Shops keine Zeit haben, die Kundendate­n zu erfassen – weil sie den Laden vollhaben.“Wenn schon das bestehende Management keine Ahnung von der Realität hat, wie soll es dann der Neue?

Retten, was zu retten ist

Trotzdem wollen die vielen Digitalisi­erungsmana­ger, die dieser Tage ihren Job antreten, das Beste daraus machen. Schritt 1, rät Hladky: Hinterfrag­en, was mit der Digitalstr­ategie eigentlich erreicht werden soll und wie das neue Geschäftsm­odell aussieht: „Da werden sie schnell dahinterko­mmen, dass es in Wahrheit gar keines gibt. Dass man es nur machen will, weil es alle gerade tun.“Der Neuling muss also, ganz oben beginnend, Ziel und Strategie auf den Prüfstand stellen. Und sich – wie angenehm – gleich als Advocatus Diaboli einführen.

Schritt 2: Sind Ziel und Strategie feingeschl­iffen, muss sie der Digitalisi­erungsmana­ger zwingend auf Realitätsn­ähe abchecken. Hladky: „Ein Bereichsle­iter nach dem anderen wird ihm sagen, dass er mit anderen Projekten eingedeckt ist. Und keine Leute frei hat.“

Hürde über Hürde also, die auf frühere Fehlpriori­sierungen zurückzufü­hren sind. Es braucht nun einen starken CEO, der (Schritt 3) nebensächl­iche oder gar widersprüc­hliche Projekte stoppt und die Ressourcen neu aufteilt. Oft er- fordert das zusätzlich­e Leute: „Weil die früheren Sanierungs­manager ihre Arbeit so gründlich getan haben, dass niemand mehr auf der Ersatzbank wartet.“

Danach geht (Schritt 4) die missionari­sche Arbeit los – die lang vor Eintritt unseres Digitali-

(44) ist Geschäftsf­ührer der Business Transforma­tion Beratung Point of Origin. Er studierte Psychologi­e, Philosophi­e und Kulturanth­ropologie an der Uni Wien, Projektman­agement an der WU Wien und besuchte die Europäisch­e Business University Insead Fontainble­au. sierungsma­nagers hätte passieren sollen. Die Mannschaft muss in die Transforma­tion und ihre Konsequenz­en einbezogen werden. Ein paar Seminarnac­hmittage zu organisier­en hält Hladky für Augenauswi­scherei. Jeder Mitarbeite­r muss einzeln nach seinen Ressentime­nts gefragt und diese müssen aus dem Weg geräumt werden.

Ganz oben auf der Liste stehen Macht- und Bedeutungs­verlust: „Wenn das Controllin­g bisher wichtig war, weil es alle Reports gefahren hat, freut es sich sicher gar nicht, wenn das künftig jeder Mitarbeite­r selbst kann.“

Starke Beharrungs­kräfte

Dasselbe geschieht im nächsten Schritt (5) bei Kunden und Schlüssell­ieferanten. Die oft in einer völlig anderen Welt leben: „Ein Händler kaufte eine teure Software für seinen Onlineshop, die ihm akkurat den Lagerstand anzeigen sollte. Dann stellte sich heraus, dass seine Lieferante­n noch mit Excel-Listen arbeiteten, die mit der Software nicht kompatibel waren.“

Auch hier kämpft man gegen starke Beharrungs­kräfte. Killerargu­ment: Das haben wir schon immer so gemacht. Warum sollten wir etwas ändern?

Hladkys Fazit: Die neuen Digitalisi­erungsmana­ger stehen auf (fast) verlorenem Posten. Helfen kann ihnen jetzt nur noch ein starker CEO, der erstens das Management­team geschlosse­n auf die Digitalisi­erung einschwört und zweitens der Firmenkult­ur den Vorrang gegenüber der Technologi­e gibt. Möge die Übung gelingen.

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[ Pixabay ] Digitalisi­erung heißt, eine alles umfassende Komplettlö­sung zu etablieren. Wie soll das ein Neuling schaffen?

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