ANTON HOLZER
Nicht die Regierung, nicht der Kaiser retteten im Jänner 1918 das alte Regime. Nein, es war sonderbarerweise die Sozialdemokratie. 14. Jänner 1918: Im Wiener Neustädter Daimler-Werk streiken die Arbeiter. Hunderttausende schließen sich in den Folgetagen a
Geboren 1964 in Innichen in Südtirol. Dr. phil. Lebt als Fotohistoriker, Publizist und Ausstellungskurator in Wien. Herausgeber der Zeitschrift „Fotogeschichte“. Soeben ist im Theiss Verlag erschienen: „Krieg nach dem Krieg. Revolution und Umbruch 1918/19“.
Am Morgen des 14. Jänner 1918, also vor hundert Jahren, tat sich Ungeheuerliches in den Fabrikräumen der Daimler-Motorenwerke in Wiener Neustadt. Ein ganz normaler Montag, auf den ersten Blick. Und doch war an diesem Tag alles anders. Um 7.30 Uhr, als üblicherweise die Arbeit begann, blieben die Werkshallen leer. Die Arbeiter waren in den Streik getreten. Ein Affront gegen die Unternehmer und die Werksleitung, noch dazu mitten im Krieg, als Arbeitskräfte im Hinterland rar waren. Der unmittelbare Anlass für den Streik war eine Kürzung der Mehlrationen auf die Hälfte, die die Regierung gerade erlassen hatte. Die Arbeiter schäumten, denn trotz harter Arbeit mussten viele von ihnen hungern.
Der Unmut und die Verbitterung innerhalb der Bevölkerung hatten sich seit Monaten aufgestaut. Fast vier Jahre war der Krieg nun schon im Gange. Die anfängliche Begeisterung war längst verflogen. Praktisch jede Familie hatte Kriegsopfer zu beklagen. Verwundete und Invalide tauchten immer öfter auf den Straßen der Städte auf. Ab 1916 nahmen Hungersnöte zu, besonders in den Städten. Immer wieder kam es zu Protesten und gar zu „Hungerkrawallen“, die von der Polizei niedergeschlagen wurden.
An diesem 14. Jänner 1918 beginnt das Ende der k. u. k. Monarchie. Was in den folgenden zehn Tagen passierte, ist bis heute wenig bekannt. Und dies, obwohl die österreichische Monarchie damals ganz nahe am Abgrund stand. Nur ein zusätzlicher Funke, und das Habsburgerreich wäre zusammengebrochen. Gut möglich, dass in diesem Fall auch in Österreich, so wie kurz zuvor in Russland, das alte und verhasste Regime durch eine wirkliche Revolution hinweggefegt worden wäre und nicht erst Monate später nur durch ein „Revolutiönchen“, wie der Schriftsteller Franz Blei Ende 1918 formulierte. Die zahlreichen Gedenkveranstaltungen zu 100 Jahre Kriegsende und Republikgründung würden dann Anfang 2018 über die Bühne gehen. Lassen wir also diese dramatischen Ereignisse noch einmal Revue passieren. Was folgte denn auf diese FastRevolution im Jänner 1918, in Österreich, aber auch im benachbarten Deutschland, wo die Arbeiter ebenfalls streikten und wo Monate später das Kriegsende in eine weit blutigere Revolution mündete als in Österreich? Wie vollzog sich der Untergang der Monarchie? Wie die Abdankung des Kaisers, die Gründung der Republik, wie kam es zu den ersten allgemeinen und freien Wahlen? Werfen wir einen Blick auf die Epochenwende 1918/19, auf jene entscheidenden Jahre, in denen die verkrusteten Gesellschaften der Jahrhundertwende mit einem heftigen Schlag ins 20. Jahrhundert katapultiert wurden.
Bereits um die Mittagszeit des 14. Jänner 1918 folgten Tausende von Arbeitern der anderen großen Wiener Neustädter Industriebetriebe dem Streikaufruf. Darunter waren die Belegschaften der Sieglschen Lokomotivfabrik, der Flugzeugfabrik, der Radiatorenwerke, der Munitionsfabrik G. Rath und andere. Der Streik weitete sich rasend schnell aus. Am 15. Jänner erfasste er weitere große Betriebe im südlichen Niederösterreich: in Hirtenberg, Leobersdorf, Wöllersdorf, Ternitz, Wimpassing und in Neunkirchen. Einen Tag später wurde auch in den Wiener Industriebetrieben gestreikt. Und bald darauf traten die Arbeiter in der Steiermark, in Oberösterreich, Böhmen und Ungarn in den Ausstand. Am 20. Jänner erreichten die Proteste ihren Höhepunkt. Knapp 750.000 Arbeiter waren zu diesem Zeitpunkt in der k. u. k. Monarchie im Ausstand. Ein gewaltiger Proteststurm, der die Macht hatte, die riesige Kriegsmaschinerie des Landes gänzlich stillzulegen. Eine Hungerrevolte, die sich anschickte, zu einer politischen Revolution zu werden.
Und in der Tat: Die russische Oktoberrevolution, die wenige Wochen vorher stattgefunden hatte, verlieh den österreichischen Protesten erheblichen Schwung. Bald schon wurden Forderungen nach Brot durch politische Parolen ergänzt: den Ruf nach sofortigem Frieden, nach Zulassung von Arbeiterräten, nach allgemeinen und freien Wahlen. In einem linken Flugblatt, das in Niederösterreich zirkulierte, heißt es: „Habt Ihr und Eure Arbeiterbrüder im Schützengraben Euer Leben für Eure Unterdrücker gewagt, dann fürchtet auch jetzt nicht die Säbel der Polizei und ihre Maschinengewehre! Wählt Arbeiterräte wie in Russland.“Die Regierung in Wien und der Kaiser wussten, wie dramatisch die Situation war. Am 17. Jänner 1918 telegrafierte Kaiser Karl an seinen Außenminister nach Brest-Litowsk, wo die Friedensverhandlungen mit Russland stattfanden: „Kommt der Friede nicht zustande, so ist hier die Revolution.“
Nicht die Regierung, nicht der Kaiser retteten das alte Regime. Nein, es war sonderbarerweise die Sozialdemokratie, also die Opposition, die während des Krieges und während der Militärdiktatur um fast all ihre Rechte gebracht worden war. Sie unterstützte die Streiks zwar zunächst, fürchtete aber nichts so sehr wie russische Verhältnisse: also die kommunistische, die gewaltsame Revolution. Durch geschicktes Taktieren gelang es ihr, die Proteste einzudämmen und zu kanalisieren. Die sozialdemokratischen Verhandler rangen der Regierung im Jänner 1918 ein paar Zusagen ab, unter anderem eine Verbesserung der Verpflegung, die Einführung des allgemeinen, freien und direkten Wahlrechts auf Gemeindeebene und die Einschränkung der Militärbefugnisse in den Industriebetrieben. Überaus moderate Zugeständnisse, verglichen mit den dramatischen Umbrüchen, die im Herbst 1918 folgen sollten. Aber diese Reförmchen reichten, um den Zorn der Arbeitermassen zu bändigen. Vorerst. Die eben gegründeten Arbeiterräte wurden umgehend in die Sozialdemokratische Partei integriert.
Am 21. Jänner kehrten die ersten Arbeiter wieder in die Betriebe zurück. Drei Tage später, am 24. Jänner 1918, war der Streik zu Ende. An diesem Tag begannen auch die Arbeiter in den Wiener Neustädter DaimlerWerken wieder zu arbeiten. Zwar flammten die Streiks im Februar und März 1918 vereinzelt immer wieder auf. Aber der Krieg
ging weiter. Und die angeschlagene Monarchie schien wieder Tritt zu fassen. Einen Effekt aber hatten die österreichisch-ungarischen Massenstreiks. Sie wurden im Ausland wahrgenommen, und sie dienten als Katalysator für eine fast ebenso große Streikbewegung, die Ende Jänner 1918 Berlin und andere große deutsche Städte erfasste, München, Hamburg und die Städte des Ruhrgebiets. Am 28. Jänner 1918 folgten die Arbeiter dem Streikaufruf linker Sozialdemokraten aus dem Umfeld der Unabhängigen Sozialdemokraten und der linken „Spartakusgruppe“. „Frieden und Brot“war ihr Motto.
Ende Jänner 1918 hatte sich der Streik bereits zu einer großen Massenbewegung ausgeweitet. Allein in Berlin kam es zu Demonstrationen von mehr als 400.000 Arbeitern. Regierung und Militär antworteten mit drakonischen Maßnahmen. Die Polizei löste die Demonstrationen gewaltsam auf. Am 31. Jänner 1918 wurde der Belagerungszustand über Berlin verhängt. Bestreikte Industriebetriebe wurden der militärischen Verwaltung unterstellt. Und schließlich wurde den Streikenden ein Ultimatum gestellt. Sollten die Arbeiter nicht bis zum 4. Februar wieder zur Arbeit erscheinen, drohte ihnen die Einberufung zum Kriegsdienst oder die Verhaftung. Am 3. Februar gaben die Streikenden nach und kehrten zur Arbeit zurück. Zwar hatten die Streiks auch in Deutschland den Arbeitern wenig gebracht. Sie waren dennoch die „Generalprobe für die Novemberrevolution“, so der Historiker Arthur Rosenberg nach dem Krieg. Die Massenbewegung hatte nämlich gezeigt, wie brüchig die Kriegsfront bereits geworden war.
„Nach meiner Überzeugung treiben wir dem Bürgerkrieg, der Militärrevolte, dem Ernährungsstreik entgegen, besiegelt durch die regellose Auflösung der Front“, schrieb am 8. November 1918 der deutsche Schriftsteller und Politiker Walther Rathenau. Zu diesem Zeitpunkt war der Krieg offiziell noch im Gange, aber die Verantwortlichen hatten ihn schon längst verloren gegeben. Nachdem Deutschland am 3. März 1918 in Brest-Litowsk Frieden mit Russland geschlossen hatte, suchte das Militär die Entscheidung an der Westfront, allerdings ohne größeren Erfolg. Die Frühjahrsoffensiven des Jahres 1918 setzten dem bereits ausgelaugten deutschen Heer weiter zu. Im Spätsommer 1918 hatte auch die deutsche Militärführung jegliche Hoffnung auf eine Wende aufgegeben. Ende September willigte die Oberste Heeresleitung in die Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen ein. Diese begannen aber erst einen Monat später, am 8. November 1918.
Auch Österreich-Ungarn setzte im Frühsommer 1918 noch auf eine militärische Entscheidung. Aber die letzte große Schlacht an der italienischen Piave-Front ging im Juni 1918 spektakulär verloren. Nach vier Jahre Krieg waren die Kräfte der Armee aufgezehrt. Anfang November 1918 war auch der österreichische Krieg zu Ende. Am 3. November 1918 wurde der Waffenstillstand mit Italien geschlossen. Die Niederlage war besiegelt. Verwirrt, ungläubig und erleichtert schrieb an diesem Tag der Schuhmachergehilfe Josef Hufnagl von der italienischen Frontlinie an seine Frau in Wien: „Ich höre die gebrochene Stimme des Kommandanten, ein Zittern geht durch Offiziere und Mannschaft.“Hufnagl konnte die Ereignisse kaum fassen: „Kameraden, wir gehen in den Frieden!“
Am 29. und 30. Oktober 1918 war es in Wilhelmshaven zu Meutereien gekommen. Noch ahnte niemand, dass dieser revolutionäre Funke schon Tage später in landesweite Aufstände münden und eine revolutionäre Phase in ganz Deutschland einleiten sollte. Am 9. November erreichte die Revolte auch die Hauptstadt Berlin. Nun überschlugen sich die Ereignisse. An diesem Tag kam es zur Ausrufung der Republik. Am Morgen des 10. November ging Kaiser Wilhelm II. ins niederländische Exil. Am 11. November wurde im französischen Compi`egne der Waffenstillstand unterzeichnet. „So ist es nun wirklich. Man erlebt es und fasst es gar nicht recht“, schrieb die Künstlerin Käthe Kollwitz am 9. November 1918 in ihr Tagebuch. Gewaltige Demonstrationen zogen an diesem Tag durch das Berliner Stadtzentrum. Während der deutsche Kaiser einsah, dass das Ende seiner Herrschaft gekommen war, wollte der österreichische Kaiser nicht freiwillig weichen. Am 11. November 1918 musste er dennoch einer Verzichtserklärung zustimmen. Erst Monate später, am 24. März 1919, sollte er das Land endgültig verlassen.
Der 12. November 1918 war ein kalter, unfreundlicher Tag. Und doch war es ein Freudentag, in Wien und in ganz Österreich. Denn das Regime der Habsburger, das den Krieg angezettelt und viel Unglück über das Land gebracht hatte, gehörte nun der Geschichte an. An diesem 12. November 1918 riefen die deutschsprachigen Delegierten des Wiener Abgeordnetenhauses die Republik aus. Das Zeremoniell der Republikgründung elektrisierte die Massen. Zehntausende strömten auf die Ringstraße und vor das Parlamentsgebäude, um das Ende des Krieges und den Übergang zur demokratischen Republik zu feiern. Dicht gedrängt umlagerten die Menschenmassen das Abgeordnetenhaus.
Anders als in Deutschland ging die Ausrufung der Republik in Österreich nicht mit Gewalt einher. Warum verlief die politische Entwicklung in Wien so anders als in Berlin? Die Antwort ist vielschichtig. Weil das kleine Restösterreich, abgesehen von Wien, mehr ländlich als städtisch geprägt war. Weil viele große Industriebetriebe, die Brutstätten einer revolutionären Arbeiterschaft, nun im Ausland, etwa in Böhmen, lagen. Weil die politische Linke in Österreich mit großer Mehrheit hinter der Sozialdemokratie stand und die Kommunisten schwach blieben. Weil die österreichischen Sozialdemokraten den Anschluss an Deutschland erhofften und dort den Ort für den Aufstand sahen.
Auch wenn der Umbruch in Österreich 1918/19 ohne große Gewaltausbrüche stattfand, änderte sich innerhalb weniger Monate fast alles. Republik statt Monarchie, freie Wahlen, die Durchlüftung der Gesellschaft statt Obrigkeitsstaat. Und dennoch, trotz des Gefühls der Erleichterung, die durch das Land ging, bliebt die Stimmung 1918/19 gedämpft.
Obwohl der Krieg aus war, lebten große Teile der Bevölkerung, vor allem in den Städten, noch in Not. Der Hunger war im ersten Friedenswinter teilweise noch schlimmer als im Jahr zuvor. Nicht nur Lebensmittel, auch Holz und Kohle waren Mangelware, vor allem in Wien. Immer wieder wurden Bäume in Parks und im Wienerwald illegal gefällt, um das Holz weiterverkaufen zu können. Arbeits- und Obdachlose, die sich die Mieten nicht mehr leisten konnten, griffen zur Selbsthilfe. Sie errichteten wilde Barackensiedlungen. Obwohl der Staat Wucher und Schleichhandel mit drakonischen Strafen belegte, blühte der Schwarzmarkt.
Erst allmählich besserte sich die Lage im Frühjahr und Sommer 1919. Am 1. April 1919 wurde Schloss Schönbrunn für das gemeine Volk geöffnet. Und im Sommer 1919 beschloss die neue Regierung, der nun auch die Sozialdemokraten angehören, in Schönbrunn „erholungsbedürftige Proletarierkinder“unterzubringen. Ein Bild aus diesen Tagen zeigt eine lachende Kinderschar, die nun in den habsburgischen Räumen wohnt, zusammen mit ihren Betreuerinnen und Betreuern. Den Kindern, die sich auf der Treppe vor dem ehemaligen Kammergarten versammelt haben, sind Not und Entbehrungen deutlich anzusehen. Viele der kleinen Körper sind dünn und abgemagert. Aber alle lachen in die Kamera.
Ein Jahr nach der versäumten Revolution zog der Schriftsteller und Journalist Joseph Roth Bilanz über die Entwicklung in Österreich: „Die Revolution“, schrieb er am 12. November 1919, „musste geboren werden.“Aber, so schränkt er sogleich ein, sie war eine „Frühgeburt“. „Die Revolution stirbt zwar nicht, aber sie lebt auch nicht, sie ist ein gutes österreichisches Kind und ,wurschtelt sich fort‘.“
In Deutschland war der Umsturz 1918/19 von großen Gewaltausbrüchen begleitet. Und er ging in Raten vor sich. Monatelang wogten die Kräfteverhältnisse hin und her, die politi- schen Verhältnisse waren unklar, Chaos war die Folge. Nicht nur in Berlin, Hamburg und München, auch in zahlreichen weiteren deutschen Städten kam es zu Streiks und bewaffneten Scharmützeln. Begleitet wurde dieser einsetzende Bürgerkrieg von Streiks, Massendemonstrationen und Straßenkämpfen. Am 15. Jänner 1919 wurden die Kommunistenführer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in Berlin ermordet. Vier Tage später setzte sich die SPD bei den Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung als stärkste Kraft durch. Kurz schien es so, als wäre die spartakistische Linke endgültig besiegt. Doch im März und April 1919 flammten die Zusammenstöße wieder auf. Es kam in vielen deutschen Industriegebieten zu großen Generalstreiks und schließlich Anfang April 1919 zur Ausrufung der Münchner Räterepublik. All diese Aufstände wurden mit aller Härte niedergeschlagen. Am 9. März 1919 gab der sozialdemokratische Reichswehrminister Gustav Noske die martialische Losung aus: „Jede Person, die mit der Waffe in der Hand, gegen Regierungstruppen kämpfend, angetroffen wird, ist sofort zu erschießen.“
All diese dramatischen Ereignisse in Deutschland fanden in Österreich wenig Echo. Die neue Republik schien sich rasch zu konsolidieren. Am 16. Februar 1919 fand in Österreich die Wahl der konstituierenden Nationalversammlung – so wurde das Parlament vorerst genannt – statt. Zum ersten Mal in der österreichischen Geschichte waren auch Frauen wahlberechtigt. Der Wahlkampf wurde heftig und mit ganz neuen Mitteln geführt. „An allen Häusermauern, an Hütte, Pissoir, Palast entfaltet sich das Bilderbuch der Wahlplakate“, erinnerte sich Alfred Polgar an diese Zeit. Es zeichnete sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden großen Parteien ab, der Sozialdemokraten und der Christlichsozialen. Erstere errangen 72 Mandate, Letztere 69. Diese beiden Parteien waren es auch, die das politische Leben in den nächsten Jahren beherrschten. Die revolutionäre Linke hingegen, etwa die Anfang November 1918 gegründete KPÖ, lag, anders als ihre Schwesterpartei in Deutschland, bei den Nationalratswahlen in den 1920er-Jahren stets weit unter einem Prozent der Stimmen.
Der Sozialdemokratie war es gelungen, die kommunistische Konkurrenz von Anfang an in Schach zu halten, wenn nötig mit Gewalt. Etwa im Frühjahr 1919, als sich die politische Lage noch einmal dramatisch zuspitzte. Mitte April ging die unter sozialdemokratischer Führung stehende „Volkswehr“in Wien mit Gewalt gegen demonstrierende Kommunisten vor. Bilanz der Kämpfe: sechs Tote (fünf Polizisten, eine Zivilistin), Dutzende Verwundete. Bei weiteren Zusammenstößen zwischen der Polizei und kommunistischen Demonstranten gab es Mitte Juni 1919 wiederum Tote und Verletzte. Erst im Sommer 1919 begann sich auch in Österreich die Situation zu beruhigen. Am 1. August 1919 brach im benachbarten Ungarn die im März ausgerufene Räterepublik zusammen. Damit war die letzte aus der Revolution hervorgegangene linke Regierung in Mitteleuropa besiegt.
Die „Goldenen Zwanziger“, die auf den langen Weltkrieg, die turbulenten Jahren 1918/19, die auf Wirtschaftskrise und Inflation folgten, waren nur von kurzer Dauer. Zu viel Sprengstoff war in den turbulenten Nachkriegsjahren angehäuft worden. Dazu gehörten die gescheiterten Revolutionen, die fragilen politischen Verhältnisse der 1920er, vor allem aber: die desaströsen Nachwirkungen der Pariser Friedenskonferenzen. Die überaus harten Vertragsbedingungen der Alliierten erzeugten bei den Verliererstaaten einen lang anhaltenden Aufschrei, eine Opferhaltung, die zum Nährboden für den Extremismus werden sollte. Am 28. Juni 1919 musste die deutsche Delegation in Versailles dem Friedensdiktat der Alliierten zustimmen. Am 10. September desselben Jahres folgten Österreich, am 4. Juni 1920 Ungarn. Als am 10. Jänner 1920 der Versailler Vertrag in Kraft trat, notierte der deutsche Schriftsteller und Politiker Harry Graf Kessler hellsichtig in sein Tagebuch: „Eine furchtbare Zeit beginnt für Europa, eine Vorgewitterschwüle, die in einer wahrscheinlich noch furchtbareren Explosion als der Weltkrieg enden wird.“Er sollte recht behalten.
„Die Revolution“, schreibt Joseph Roth 1919, „stirbt zwar nicht, aber sie lebt auch nicht, sie ist ein gutes österreichisches Kind und ,wurschtelt sich fort‘.“ Der Hunger war im ersten Friedenswinter teils noch schlimmer als im Jahr zuvor. Holz und Kohle waren Mangelware, vor allem in Wien.