ERWIN RIESS
Monoman, korrupt und einsam. So sind die Figuren in Peter Roseis Roman „Karst“. Eine Versuchsanordnung aus der Welt des Neoliberalismus.
Geboren 1957 in Wien. Dr. phil. 1984 bis 1994 im Wirtschaftsministerium. Autor, Rollstuhlfahrer und Behindertenaktivist. Zuletzt im Otto Müller Verlag: der Roman „Herr Groll und die Stromschnellen des Tiber“.
Wie in seinen vorigen Romanen spielt Peter Rosei auch in „Karst“personelle Versuchsanordnungen in der neoliberalen Welt durch. In seiner elegant-lakonischen Sprache schält er die Nervenfäden der Beziehungen heraus, hütet sich aber davor, Partei zu ergreifen. Seine Figuren sind monoman, korrupt und einsam, mit Mut und Rücksichtslosigkeit kämpfen sie um ihr falsches Leben.
Die empfindsame Schöne Jana Soukup ist die Tochter eines ehemaligen Hausverwalters und späteren Direktors eines Hotels in Stary´ Smokovec, einem Kurort in der slowakischen Hohen Tatra. Das Hotel, einst nach Kaiserin Sisi benannt, erfuhr in sozialistischer Zeit eine Umbenennung in Praca,´ den Namen für Arbeit. Direktor Soukup ließ es sich aber angelegen sein, weniger im eigenen Haus zu verkehren als im nahe gelegenen Grandhotel; in diesem Panhans der Hohen Tatra genießt er im Kreis hoher Parteifunktionäre die Annehmlichkeiten eines Luxuslebens.
Privat ist er seiner Frau (die ihn bald verlässt) ein Ekel, den Mitarbeitern gibt er den aufbrausenden Tyrannen, seiner Tochter Jana den gleichgültigen Vater. Ein verzogener Balg, sagen die einen zur Prinzessin. Sie hat keine Mutter gehabt, ist unter Fremden groß geworden, die anderen. Janas Gedanken kreisen um Flucht. So verliebt sie sich in den attraktivsten Cellisten des Kurorchesters, Gabor Kelemen, der einer großbürgerlichen, aber verarmten Familie aus Kosiceˇ entstammt. Die beiden heiraten und ziehen in die Budapester Vorstadt, wo Gabor studiert und von einer Musikerkarriere in einem Orchester träumt.
Indes zeigt die Großstadt in den Wendetagen der frühen 1990er-Jahre den Liebenden die kalte Schulter. Mehr als Stehgeigerjobs in Ausflugslokalen sind nicht drin. Juden würden sich die besten Engagements erschleichen, sagt Gabor und lässt seine Prinzessin mit Faustschlägen dafür büßen. Später wird er sich mit den Faschisten der Magyar´ Garda gemeinmachen, die Jagd auf Roma betreibt. Die verzweifelte Prinzessin wirft sich im Cafe´ Gerbeaud am VörösmartyPlatz einem Fremden an den Hals.
Herr Gstettner macht in Mode, vertreibt Markenkleidung dritter Wahl für Outlets in Oststaaten und wird sich später auch als Schlepper verdingen. Gstettners Anfänge liegen in einer Linzer Werkssiedlung, nun ist er vermögend und großzügig. Jana folgt ihm in seinen Hietzinger Bungalow. Weitere Hauptfiguren komplettieren das Personal. Der Lebemann Georg Kalman stammt aus einer Bankiersfamilie; ein Großteil der Verwandten ist im Holocaust umgekommen. Die aus der Emigration zurückgekehrten Eltern haben wieder ihre Stellung in der Hautevolee eingenommen und werden von denselben Kreisen, die ihnen vor dem Krieg nach dem Leben getrachtet haben, hofiert.
Demokratie ist schön, sofern man über Geld verfügt. Als Kritiker zur Biennale nach Venedig entsandt, empfindet Georg Ekel angesichts des Jahrmarkts der Eitelkeiten, er konstatiert zerrissene Gesellschaften, Arbeitslosigkeit, Finanzbetrug in großem Stil. Humanismus wäre notwendiger Widerstand. Aber woher soll dieser kommen? Das Leben, immerhin, fordert seine Rechte. Georg verliebt sich in Tonio, einen Kellner, der als Tone im istrischen Karst aufgewachsen ist. Im Nebenberuf arbeitet er als Gigolo und raubt an dienstfreien Tagen in Mestre die Autos jener Touristen aus, die sich die Parkgebühren in Venedig ersparen wollen. Auch sein Lustgeschöpf holt Kalman nach Wien.
Dass sowohl Jana als auch Tonio ausbrechen, ist klar. Wie sie das tun, sei nicht verraten. Nur so viel sei gesagt: Es ist mit beträchtlichem Lesevergnügen verbunden.