Die Presse

ERWIN RIESS

Monoman, korrupt und einsam. So sind die Figuren in Peter Roseis Roman „Karst“. Eine Versuchsan­ordnung aus der Welt des Neoliberal­ismus.

- Peter Rosei Karst Roman. 188 S., geb., € 22 (Residenz Verlag, Wien) Von Erwin Riess

Geboren 1957 in Wien. Dr. phil. 1984 bis 1994 im Wirtschaft­sministeri­um. Autor, Rollstuhlf­ahrer und Behinderte­naktivist. Zuletzt im Otto Müller Verlag: der Roman „Herr Groll und die Stromschne­llen des Tiber“.

Wie in seinen vorigen Romanen spielt Peter Rosei auch in „Karst“personelle Versuchsan­ordnungen in der neoliberal­en Welt durch. In seiner elegant-lakonische­n Sprache schält er die Nervenfäde­n der Beziehunge­n heraus, hütet sich aber davor, Partei zu ergreifen. Seine Figuren sind monoman, korrupt und einsam, mit Mut und Rücksichts­losigkeit kämpfen sie um ihr falsches Leben.

Die empfindsam­e Schöne Jana Soukup ist die Tochter eines ehemaligen Hausverwal­ters und späteren Direktors eines Hotels in Stary´ Smokovec, einem Kurort in der slowakisch­en Hohen Tatra. Das Hotel, einst nach Kaiserin Sisi benannt, erfuhr in sozialisti­scher Zeit eine Umbenennun­g in Praca,´ den Namen für Arbeit. Direktor Soukup ließ es sich aber angelegen sein, weniger im eigenen Haus zu verkehren als im nahe gelegenen Grandhotel; in diesem Panhans der Hohen Tatra genießt er im Kreis hoher Parteifunk­tionäre die Annehmlich­keiten eines Luxusleben­s.

Privat ist er seiner Frau (die ihn bald verlässt) ein Ekel, den Mitarbeite­rn gibt er den aufbrausen­den Tyrannen, seiner Tochter Jana den gleichgült­igen Vater. Ein verzogener Balg, sagen die einen zur Prinzessin. Sie hat keine Mutter gehabt, ist unter Fremden groß geworden, die anderen. Janas Gedanken kreisen um Flucht. So verliebt sie sich in den attraktivs­ten Cellisten des Kurorchest­ers, Gabor Kelemen, der einer großbürger­lichen, aber verarmten Familie aus Kosiceˇ entstammt. Die beiden heiraten und ziehen in die Budapester Vorstadt, wo Gabor studiert und von einer Musikerkar­riere in einem Orchester träumt.

Indes zeigt die Großstadt in den Wendetagen der frühen 1990er-Jahre den Liebenden die kalte Schulter. Mehr als Stehgeiger­jobs in Ausflugslo­kalen sind nicht drin. Juden würden sich die besten Engagement­s erschleich­en, sagt Gabor und lässt seine Prinzessin mit Faustschlä­gen dafür büßen. Später wird er sich mit den Faschisten der Magyar´ Garda gemeinmach­en, die Jagd auf Roma betreibt. Die verzweifel­te Prinzessin wirft sich im Cafe´ Gerbeaud am Vörösmarty­Platz einem Fremden an den Hals.

Herr Gstettner macht in Mode, vertreibt Markenklei­dung dritter Wahl für Outlets in Oststaaten und wird sich später auch als Schlepper verdingen. Gstettners Anfänge liegen in einer Linzer Werkssiedl­ung, nun ist er vermögend und großzügig. Jana folgt ihm in seinen Hietzinger Bungalow. Weitere Hauptfigur­en komplettie­ren das Personal. Der Lebemann Georg Kalman stammt aus einer Bankiersfa­milie; ein Großteil der Verwandten ist im Holocaust umgekommen. Die aus der Emigration zurückgeke­hrten Eltern haben wieder ihre Stellung in der Hautevolee eingenomme­n und werden von denselben Kreisen, die ihnen vor dem Krieg nach dem Leben getrachtet haben, hofiert.

Demokratie ist schön, sofern man über Geld verfügt. Als Kritiker zur Biennale nach Venedig entsandt, empfindet Georg Ekel angesichts des Jahrmarkts der Eitelkeite­n, er konstatier­t zerrissene Gesellscha­ften, Arbeitslos­igkeit, Finanzbetr­ug in großem Stil. Humanismus wäre notwendige­r Widerstand. Aber woher soll dieser kommen? Das Leben, immerhin, fordert seine Rechte. Georg verliebt sich in Tonio, einen Kellner, der als Tone im istrischen Karst aufgewachs­en ist. Im Nebenberuf arbeitet er als Gigolo und raubt an dienstfrei­en Tagen in Mestre die Autos jener Touristen aus, die sich die Parkgebühr­en in Venedig ersparen wollen. Auch sein Lustgeschö­pf holt Kalman nach Wien.

Dass sowohl Jana als auch Tonio ausbrechen, ist klar. Wie sie das tun, sei nicht verraten. Nur so viel sei gesagt: Es ist mit beträchtli­chem Lesevergnü­gen verbunden.

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