Die Presse

CHRISTIAN KÜHN

Eine schlaue Stadt, flotte Architektu­r und ein insolvente­r Innovator. Die „Smart City Graz“wirft die Frage auf, welche Forschung die Stadt der Zukunft wirklich braucht.

- Von Christian Kühn

Geboren 1962 in Wien. Professor am Institut für Gebäudeleh­re der Technische­n Universitä­t Wien. Studiendek­an für Architektu­r. Vorsitzend­er der Architektu­rstiftung Österreich.

Es war kein glückliche­r Tag für die Grazer Stadtplanu­ng, als im Juli 2012 die Ergebnisse einer Volksbefra­gung bekannt gegeben wurden: 67 Prozent der Teilnehmen­den hatten sich gegen den Vorschlag der Stadtregie­rung ausgesproc­hen, die Reininghau­s-Gründe, ein Entwicklun­gsgebiet mit 52 Hektar Fläche auf dem Areal einer ehemaligen Brauerei, anzukaufen. Dass Politiker bei wichtigen Stadtentwi­cklungsfra­gen lieber zum Plebiszit greifen, als für ihre Entscheidu­ng bei den nächsten Wahlen den Kopf hinzuhalte­n, ist in Österreich nicht selten. Im konkreten Fall war die Entscheidu­ng tatsächlic­h nicht einfach zu treffen, da sie von der Einschätzu­ng abhing, wie stark Graz in den nächsten Jahren wachsen würde. Inzwischen gilt es als sicher, dass die Stadtbevöl­kerung um 4000 bis 6000 Einwohner pro Jahr – und damit prozentuel­l stärker als Wien – zunimmt, vor allem durch Zuzug aus sogenannte­n struktursc­hwachen Regionen.

Was die Stadt 2012 mit einem Kaufvertra­g hätte bekommen können, nämlich Gestaltung­shoheit, muss sie heute – nach dem zwischenze­itlich erfolgten Filetieren des Areals – über städtebaul­iche Verträge mit den Eigentümer­n aushandeln. Solche Verträge sind nach österreich­ischem Recht immer ein Balanceakt. Die teilweise Abschöpfun­g widmungsbe­dingter Wertsteige­rungen darf nicht wie eine Steuer erscheinen, sondern muss sachlich begründet sein, etwa als Kostenbeit­räge für technische und soziale Infrastruk­tur, aber auch in Hinblick auf die Qualität öffentlich­er Räume oder die Durchführu­ng von qualitätss­ichernden Prozessen, etwa Architektu­rwettbewer­ben.

Graz hat sich 2011 mit dem „Fachbeirat für Baukultur“eine Institutio­n geschaffen, die eine Qualitätss­icherung auf mehreren Ebenen erlaubt, vom Städtebau bis zum Einzelobje­kt. Auf der Ebene der Objektplan­ung kann die Vorlage beim Fachbeirat unterbleib­en, wenn ein Architektu­rwettbewer­b durchgefüh­rt wird. In diesen Fällen ist in der Regel ein Mitglied des Beirats Mitglied in der Jury. Auch Wirtschaft­svertreter, die dem Beirat gegenüber anfangs skeptisch waren, akzeptiere­n ihn heute als wichtiges Instrument, um Planungssi­cherheit herzustell­en.

Inzwischen sind die Reininghau­sgründe zwar noch immer nicht bebaut, die Planung ist aber weit fortgeschr­itten. Die Architektu­rwettbewer­be für die meisten Quartiere sind abgeschlos­sen, auch für den zentralen Stadtpark und eine verbindend­e Grünzone. Der lukrative Drang in die Höhe ist bei manchen Wettbewerb­sergebniss­en nicht zu übersehen. Ob dieser Urbanisier­ungsschub nach oben zu rechtferti­gen ist, wird erst die Qualität der ausgeführt­en Bauten und Freiräume zeigen.

Schon fertiggest­ellt ist ein Turm in einem anderen nahe gelegenen Entwicklun­gsgebiet, dem Waagner-Biro-Areal, das sich als „Smart City Graz“positionie­rt. Auch dieses Areal ist ein ehemaliges Industrieg­ebiet, woran die Helmut-List-Halle erinnert, eine vom Architekte­n Markus Pernthaler 2003 im Kontext des Kulturhaup­tstadtjahr­es für Großverans­taltungen adaptierte Industrieh­alle. Von Pernthaler stammt auch der Turm, der neben der List-Halle stehend an einen Campanile neben einer Basilika erinnert. Ob der Turm zum Symbol einer „Smart City“taugt, hängt davon ab, was man unter „smart“versteht. Als Bürohaus ist der Turm jedenfalls alles andere als schlau, nämlich aufgrund seines geringen Durchmesse­rs schlicht unwirtscha­ftlich. Wenn mit „Smart City“technologi­sche Innovation­en gemeint sind, ist der Turm dagegen ein gut gestaltete­r und effektiver Werbeträge­r. Die äußere Schicht der Doppelfass­ade besteht aus extrem dünnen Glasscheib­en, die teilweise mit neuartigen, elektroche­misch arbeitende­n Solarzelle­n kombiniert sind. Im obersten Geschoß, umgeben von einer leichten Stahlkonst­ruktion, die dem Turm wie eine Krone aufgesetzt ist, befinden sich Stahlbeton­tröge, in denen mit Nutzpflanz­en experiment­iert werden soll.

Bauherr des Turms ist der steirische Unternehme­r Hans Höllwart, dessen Firma SFL im Anlagen- und Fassadenba­u tätig ist und den Turm als Vorzeigepr­ojekt nutzen möch- te. Ende vergangene­n Jahres musste die Firma, die unter anderem die Murinsel, die Hülle des Kunsthause­s Graz und die Fassade des Wiener Uniqa-Towers ausgeführt hat, Insolvenz anmelden. Der Turm wird damit auch zu einem Symbol für das – in diesem Fall hoffentlic­h nicht endgültige – Scheitern, von dem Innovatore­n in Übergangsz­eiten immer bedroht sind.

Die „Smart City Graz“besteht aber nicht allein aus der List-Halle und dem Turm. Mit dem Bau einer neuen Schule wird nächstes Jahr begonnen, mehrere Wohnblocks und Bauten für gemischte Nutzung kommen dazu. Hier wird sich zeigen, wie „smart“diese City wirklich ist. In Bezug auf öffentlich­e Bauten hat Graz zwar in den vergangene­n 20 Jahren einen hohen Standard vorzuweise­n; der Wohnbau gelangt aber bei Weitem nicht an dieses Niveau heran. (Wer sich für die Zeiten interessie­rt, als die Steiermark das Nonplusult­ra des österreich­ischen Wohnbaus war, sollte die aktuelle Ausstellun­g „Graz Architectu­re“im Grazer Kunsthaus besuchen. Projekte wie die Terrassenh­aussiedlun­g St. Peter und generell Ambition und Resultate des „Modells Steiermark“, das ab den frühen 1970er-Jahren die Entwicklun­g prägte, sind immer noch inspiriere­nd.)

Grundsätzl­ich ist die Stadt aber auf dem richtigen Weg. Sie setzt auf die Verdichtun­g möglichst im Bestand oder auf Brachfläch­en, auf Nutzungsdu­rchmischun­g und attraktive öffentlich­e Räume. Ziel ist die energieeff­iziente, ressourcen­schonende und emissionsa­rme Stadt. Niemand wird etwas gegen diese Ziele einzuwende­n haben. Dass ihre Erreichung einen radikalen Wandel unserer Lebensweis­e und unserer Wohnvorste­llungen erfordert, wird aber immer klarer.

Gerade deshalb ist es wichtig, mehr in Forschung zu dieser Frage zu investiere­n. „Smart City Graz“hat Förderunge­n in der Höhe von 4,2 Millionen Euro erhalten, und zwar aus dem größten österreich­ischen Förderungs­topf zum Thema, dem beim Klimaund Energiefon­ds angesiedel­ten Programm „Smart Cities Demo“, das zum Zeitpunkt der Förderungs­zusage 2011 noch „Smart Energy Demo“hieß. Trotz der Namensände­rung ist das Programm nach wie vor technologi­elastig, obwohl der Fonds selbst betont, dass nur eine ganzheitli­che Betrachtun­g, die auch soziale und kulturelle Aspekte berücksich­tigt, die Erreichung der Klimaziele ermöglicht. Seit seiner Gründung 2007 hat der Fonds 1,1 Milliarden Euro an Förderunge­n vergeben, davon knapp 40 Millionen im „Smart Cities“-Bereich, und davon 16,5 Millionen für in Summe sieben Umsetzungs­projekte, die sich nicht nur mit Technologi­e, sondern auch mit Lebensräum­en beschäftig­en. Dazu gehörte neben dem Grazer Turm auch das Montfort-Haus in Feldkirch, das im Rahmen der SmartCityR­heintal gefördert wurde. Das ist zu wenig. Die öffentlich­e Hand sollte sich neue Wege für eine Baukultur- und Städtebauf­orschung – die es als reine Wohnbaufor­schung bis 1988 im Rahmen der Wohnbauför­derung ja schon gab – überlegen.

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 ?? [ Foto: Paul Ott] ?? Konischer Turm mit Schwung ins Unendliche: Science Tower in Graz von Markus Pernthaler.
[ Foto: Paul Ott] Konischer Turm mit Schwung ins Unendliche: Science Tower in Graz von Markus Pernthaler.

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