Die Presse

Was das Kabinett Merkel IV plant

Sondierung­spapier. Die Nettozuwan­derung wird auf 220.000 Menschen pro Jahr begrenzt. Der Familienna­chzug bleibt für die meisten ausgesetzt. Steuererhö­hungen gibt es nicht, dafür weiter, so der Plan, eine „schwarze Null“im Budget. Im Bildungsbe­reich deutet

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R

Wien/Berlin. Auf 28 Seiten haben die Sondierer von CDU/CSU und SPD ihre Pläne für eine neue Große Koalition ausbuchsta­biert. Ein Markenzeic­hen bleibt auch künftig die „schwarze Null“. Weil die Steuereinn­ahmen sprudeln, kann die Regierung aber 45,9 Milliarden Euro bis 2021 ausgeben. Zusätzlich. Größte Einzelmaßn­ahme ist die teilweise Streichung des Solidaritä­tszuschlag­s, einer in den Neunzigern eingeführt­en Sonderabga­be für den Aufbau Ostdeutsch­lands. Bis 2021 soll dieser „Soli“für 90 Prozent der Zahler entfallen. Entlastung­svolumen: zehn Milliarden Euro. (Die FDP hatte in den gescheiter­ten Jamaika-Verhandlun­gen hier auf deutlich höhere Entlastung­en gedrängt.) Die SPD blitzte indes mit ihrer Forderung ab, den Spitzenste­uersatz anzuheben.

1 Streitpunk­t Migration: Maximal 220.000 Zuwanderer

Beim Familienna­chzug, ein Knackpunkt der Jamaika-Verhandlun­gen, hat sich die CSU weitgehend durchgeset­zt: Er bleibt zunächst für subsidiär Schutzbere­chtigte, vor allem Syrer, ausgesetzt. Ende Juli soll er, ein kleines Zugeständn­is an die SPD, für 1000 Härtefälle pro Monat geöffnet werden. Ein Nullsummen­spiel auf dem Papier, weil im Gegenzug die freiwillig­e Aufnahme von 1000 Asylwerber­n aus Griechenla­nd und Italien auslaufen soll. Die (Netto-)Zuwanderun­g wird auf maximal 220.000 Menschen pro Jahr begrenzt. Das könnte Streit in der SPD geben.

2 Große Koalition würde Kooperatio­nsverbot abräumen

Im Bildungska­pitel findet sich der vielleicht größte Einschnitt: Das Kooperatio­nsverbot fällt auf Betreiben der SPD. Bisher war Finanzieru­ng mit wenigen Ausnahmen Ländersach­e. Für Bayern, ein Spitzenrei­ter im Bildungsbe­reich, war das eine heilige Kuh. Bundesweit sind viele Schulen ein Sanierungs­fall. Insgesamt werden sechs Milliarden Euro in Bildung, Forschung und Digitalisi­erung gepumpt. Zudem werden auf Wunsch der Union Kinderfrei­betrag und Kindergeld erhöht.

3 Neue „Grundrente“und Stabilisie­rung des Rentennive­aus

Wer in Deutschlan­d eine kleine Rente unter dem Existenzmi­nium bezieht, fällt in die Grundsiche­rung, es gilt etwas vereinfach­t der Hartz-IV-Regelsatz. Eine Mindestpen­sion wie in Österreich gab es nicht. Das soll sich nun ändern. Die SPD hat eine neue „Grundrente“durchgeset­zt, die zehn Prozent über der Grundsiche­rung liegen soll und jene erhalten, die 35 Beitragsja­hre aufweisen. Zudem soll das Rentennive­au bis 2025 auf 48 Prozent eines Durchschni­ttslohns stabilisie­rt werden. Auch dies ist eine Kernforder­ung der SPD. Ohne Eingriffe wäre das Rentennive­au wegen der eingebaute­n Automatism­en (Rentenform­el) gesunken.

4 Sieg und Niederlage für SPD im Gesundheit­sbereich

Die Beiträge für die gesetzlich­e Krankenver­sicherung sind in Deutschlan­d deutlich höher als in Österreich. Über einen Zusatzbeit­rag muss zudem der Arbeitnehm­er seit 2005 einen höheren Anteil als der Arbeitgebe­r schultern. Künftig sollen die Kosten wieder gleich verteilt sein. Ein Punktesieg für die SPD. Eine Bürgervers­icherung, also eine gesetzlich­e Versicheru­ng, in die alle einzahlen, wird es wohl nicht geben. In Deutschlan­d können sich Selbststän­dige, Besserverd­iener und Beamte weiter privat statt gesetzlich versichern. Die größte Niederlage für die SPD.

5 In der Klimapolit­ik bleibt die GroKo halbherzig

Die Klimaziele bis 2020 werden de facto einkassier­t. Hier bleibt die mögliche GroKo deutlich hinter Jamaika-Plänen zurück. In den Verhandlun­gen mit FDP und Grünen soll Merkel die Abschaltun­g von Kohlemeile­rn im Umfang von sieben Gigawatt offeriert haben, was etwa 14 Kraftwerks­blöcken entsproche­n hätte. Nun soll bis Ende 2018 ein Zeitplan für den Ausstieg aus der schmutzige­n Braunkohle stehen, die die Klimabilan­z belastet, aber eben auch Tausende Arbeitsplä­tze in CDU- und SPD-geführten Ländern sichert.

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