Was ich lese
Lesen ist bei mir fast schon eine polyfone Angelegenheit. Es liegen mehrere Bücherstapel auf mehreren Tischen (Schreib-, Nacht-, Büro-) bereit. Große Teile der Bestände wechseln im Rhythmus der Zeit und je nach thematischer Ausrichtung. Andere bleiben als Grundton liegen.
Letztere sind die referenziellen Lektüren, die man immer in seiner Nähe haben möchte, wie etwa Michel Butor, Die
Stadt als Text (Droschl Verlag), oder Hans Blumenberg, Die Lesbarkeit der
Welt (Suhrkamp Verlag). Momentan bin ich aber mit Beethovens Rezeption in der Ersten Republik befasst. 2020 findet Beethovens Jubiläums-Magnum, also das Gedenken an seinen 250. Geburtstag, statt. Viele Publikationen erschienen 1927 im Rahmen der Beethoven-Zentenarfeier. Unter anderem drei, die ich gerade lese.
Kurios ist der Festbericht. Vorgelegt vom Exekutivkomitee der Feier mit hochtrabenden Festansprachen vom Bundespräsidenten Michael Hainisch und Bundeskanzler Ignaz Seipel sowie von Regierungsvertretern der Welt samt Apostolischem Nuntius. Die zwei weiteren: Beet
hoven der Kämpfer, Gedenk- und Mahnrede bei der Beethoven-Feier der Breslauer Sängerschaft „Leopoldina“(Autor: Max Koch); und Beethoven der Deut
sche (von Arthur Moeller van den Bruck). Beide 1927 in Deutschland veröffentlicht. Die Titel sind programmatisch.
Was bleibt nach der Lektüre, ist der bittere Geschmack der Demagogie, die Verzerrung der Kunst zugunsten übergeordneter Parteiprogramme sowie starrer Nationskonstrukte. Ein brisantes Thema, das nicht zuletzt Teilaspekte der gescheiterten Ersten Republik erkennen lässt.