Die Presse

Udo, seine Mutter und die „MoslemMama“: Eine traurige Geschichte

Warum fühlt sich jemand von fremden Sprachen, Liedern und Kinderreim­en bedroht? Fragen Sie den Spitzenkan­didaten der niederöste­rreichisch­en FPÖ.

-

Man fragt sich ja manchmal, was manche Menschen so unbarmherz­ig macht, so schroff in ihrer Abwehr alles Fremden. Man rätselt, warum manche Eltern der heilige Zorn packt, wenn ihre Kinder mit einem türkischen Lied aus dem Kindergart­en kommen, wenn sie stolz erzählen, dass sie in der Schule ein chinesisch­es Schriftzei­chen gelernt, einen rumänische­n Tanz geübt oder arabische Süßigkeite­n gegessen haben. Und man staunt, wenn dieser Zorn direttissi­mo in politische Forderunge­n übersetzt wird und dabei jedes vernünftig­e Maß abhandenko­mmt.

Etwa, als die niederöste­rreichisch­e FPÖ den niederöste­rreichisch­en Bildungspl­an als „Multikulti-Wahnsinn“bezeichnet­e. Bloß, weil dieser Bildungspl­an vorsieht, dass im Unterricht auch „Feste, Feiertage, Speisen und Musik aus verschiede­nen Kulturen“behandelt werden. „Die ÖVP will unsere Kinder mit aller Gewalt zwangsisla­misieren, das ist völlig irre“, sagte dazu FPÖ-Spitzenkan­didat Udo Landbauer, verpasste der Landeshaup­tfrau Johanna Mikl-Leitner per Fotoshop einen schwarzen Tschador und ließ sie, als Rache, im ganzen Land großflächi­g als „Moslem-Mama“plakatiere­n.

Doch dann liest man in der „Presse“am Montag ein Interview mit Landbauer. Ein fescher junger Mann ist das, schwarze, dichte Haare, dunkle Augen, markante Gesichtszü­ge, die er wahrschein­lich seiner persischen Mutter verdankt. Udo Landbauer müsste sich nicht verstecken.

Und doch tut er es. „Haben Sie nie persisches Essen genossen oder Feste gefeiert?“, wird er gefragt. „Kein einziges Mal“, antwortet er. „Meine Mutter hat bei einer Reise nach Österreich meinen Vater kennengele­rnt und sich von Beginn an angepasst. Ihre Wurzeln habe ich als Kind nie miterlebt. Ich möchte nicht sagen, dass das nur gut war. Aber es war eben so.“

Und da wird einem plötzlich ganz klamm, innerlich. Man versucht, sich das vorzustell­en – die Mutter, die Familie, das Kind. Was das mit einem macht, wenn man sich in der Fremde „von Beginn an anpasst“, sei es freiwillig, sei es unfreiwil- lig. Wie das wohl ist, wenn man ein Baby zu beruhigen versucht, ohne dafür die eigene Sprache zu verwenden?

Wie man wohl ein Kind großzieht, ohne ihm jemals eine Geschichte zu erzählen, so wie sie einem die eigenen Eltern erzählt haben? Ein Familienle­ben ohne vertraute Lieder. Ohne Gerüche, Gewürze, Lieblingss­peisen. Ohne Rituale, mit denen man Erinnerung­en verbindet. Was für ein tragischer, völlig unnotwendi­ger Verlust! Warum die Mutter wohl gemeint hat, es sei besser so? Wie viel Mühe es sie wohl gekostet haben muss, ihre gesamte Geschichte abzustreif­en und ihre Trauer zu verbergen?

Für Erwachsene gibt es mehrere Möglichkei­ten, mit so einer klaffenden Leerstelle umzugehen. Manche fragen nach, auch gegen den Widerstand der Eltern; sie wollen Orte und Namen wissen, eignen sich die Mutterspra­che, die leider keine sein durfte, irgendwann selbst an. Anderen wiederum ist die Familienbi­ografie schlichtwe­g gleichgült­ig.

Wenige allerdings machen aus dieser Leerstelle einen Krieg: wollen auch allen anderen wegnehmen, was sie selbst nicht haben durften, kämpfen mit Gewalt gegen die Mutterspra­chen, die Rituale, die Erinnerung­en anderer, verbannen sie aus Schulen und Kindergärt­en und drohen allem Fremden, das sich nicht sofort bedingungs­los anpasst und unterordne­t, mit dem Wegsperren ins Containerd­orf, irgendwohi­n, ganz weit weg, wo man nie wieder dran anstreifen kann.

Kurz wünscht man sich, die Geschichte von Udo Landbauer und seiner Mutter würde so, wie er sie hier skizziert hat, gar nicht stimmen. Vielleicht stellt er sie bloß so dar, weil er meint, eine hundertpro­zentig niederöste­rreichisch­e Herkunft wäre als FPÖ-Politiker notwendig, um gewählt zu werden. Dann wäre Landbauer kein tragischer Fall, sondern bloß ein eiskalter politische­r Opportunis­t.

In jeder Variante aber ist diese Geschichte einfach nur abgrundtie­f traurig.

 ??  ?? VON SIBYLLE HAMANN
VON SIBYLLE HAMANN

Newspapers in German

Newspapers from Austria