Die Saga vom fehlenden Grundbuch
Analyse. Die seit 1994 dahindümpelnde Schaffung eines modernen Grundbuchwesens wurde zum Symbol griechischen Reformversagens. Nun sieht es nach einem glücklichen Ende aus.
Die seit 1994 dahindümpelnde Schaffung eines modernen Grundbuchwesens wurde zum Symbol des Reformversagens. Nun könnte es ein Happy End geben.
Brüssel. Mario´ Centenos erste Sitzung als Chef der Euro-Gruppe ging in der Nacht auf Dienstag reibungslos über die Bühne. Dem vormaligen Finanzminister Portugals blieben jene finanzpolitischen Schreckensritte erspart, welche seit dem Ausbruch der Eurokrise im Herbst 2009 immer wieder Debatten über das Ende der Währungsunion entfacht hatten. Griechenland, von wo aus die Unbilden damals ihren Ausgang genommen hatten, erhielt von den Ministern der Euroländer gute Zensuren für die Umsetzung der verordneten Reformvorhaben. 6,7 Milliarden Euro an Hilfskrediten wird der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) nun in zwei Tranchen nach Athen überweisen. Sollte sich nichts dramatisch ändern, wird das europäische Rettungsprogramm im August enden: nach mehr als acht Jahren.
Ein osmanisches Erbe
Doch ein Punkt scheint unverändert: Noch immer gibt es in Griechenland kein landesweites, einheitliches Grundbuch, wie man es im Rest Europas kennt. Seit Ausbruch der Krise veranschaulicht dieser Mangel die Unfähigkeit des griechischen Staatswesens, sich im Interesse seiner Bürger zu modernisieren. Ein EU-Mitglied ohne Grundbuch: Kann es das geben?
Befasst man sich genauer mit diesem Problem und befragt man die zuständigen Fachleute in den europäischen Institutionen, ergibt sich ein differenziertes Bild. Denn ganz ohne Kataster ist Griechenland nicht. Auf dem Dodekanes, den südägäischen Inseln, wurde in der Zwischenkriegszeit unter italienischer Herrschaft ein Grundbuch nach deutschem Vorbild angelegt. Im Rest des Landes jedoch gilt seit den 1850er-Jahren eine Landregistrierung nach französischem Vorbild, welches auf dem osmanischen System beruht, in dem man seine Eigentumsrechte an Grund und Boden eigenmächtig beschrieb („Mein Grund reicht bis zu diesem und diesem Baum“).
Dieses altertümliche System ist problematisch, weil keine objektive, unbestechliche Instanz (und das eben ist ein öffentliches Grundbuch) in Streitfällen rasch für Klarheit sorgt. Die daraus resultierende Rechtsunsicherheit hat auch den Wildwuchs an illegalen Siedlungen befeuert, der Griechenlands Staatswesen plagt. Und sie erschwert es dem Staat, zwecks Haushaltssanierung öffentliche Liegenschaften und Gebäude zu privatisieren, wie die Kommission in ihrem November vorigen Jahres veröffentlichten Bericht über die Umsetzung der Reformen warnte.
Ende 2020 soll alles fertig sein
Seit dem Jahr 1994 nimmt sich einer Athener Regierung nach der anderen vor, diesen Fleckerlteppich in einen zeitgemäßen Kataster zusammenzuführen. Paradoxerweise könnte ausgerechnet die Finanzkrise dazu führen, dass dies gelingt. Athens Geldgeber drängen auf die Reform, sie ist eine der Auf- lagen für die Auszahlung der Hilfskredite. Wie sieht es damit aus?
39 Millionen verschiedener Eigentumsrechte an Liegenschaften gibt es laut Statistik der griechischen Behörden. Rund 28 Prozent davon sind bereits im neuen System erfasst. Doch sie machen nur acht Prozent der Landfläche aus, Es handelt sich um die Städte, wo es eine klarere Aktenlage gibt als auf dem Land. Weitere 29 Prozent der Rechtstitel werden derzeit erfasst, sie entsprechen 27 Prozent der Fläche Griechenlandes. Der Rest des Landes wird im Rahmen von 31 Projektaufträgen erfasst, deren Verträge nun unterzeichnet sind. Bis Ende 2020 soll ganz Griechenland im Grundbuch stehen.
Dieser letzte Aufwand soll 712 Millionen Euro kosten. Ein knappes Fünftel kommt von der EU, der Rest soll durch Gebühren gedeckt werden, welche Grundeigentümer für die Erfassung ihrer Liegenschaften zahlen müssen. Binnen sieben Jahren muss man das tun, wer dann noch säumig ist, dessen Grundstück fällt an den Staat. Flankiert wird die Schaffung des Grundbuchs mit einer Reform der Raumordnung und vor allem einer genauen Vermessung der Wälder und ihrer digitalen Erfassung.
Mehr Steuergerechtigkeit
All das soll nicht bloß die Rechtssicherheit stärken und somit das Investieren erleichtern. Es hat auch zum Zweck, mehr Steuergerechtigkeit zu schaffen, indem sich Grundeigentümer nicht mehr auf inkorrekte Grundstücksgrößen berufen können, um ihre Steuerpflicht zu mindern. Langsam, aber stetig verbessert sich schon jetzt die Besteuerung des griechischen Grundeigentums: Im schwärzesten Krisenjahr, 2010, flossen nicht einmal 500 Millionen Euro aus dieser Quelle ins hellenische Budget. 2016 waren es, nach einigen Umstellungen in der Art der Grundbesteuerung, bereits mehr als 3,5 Milliarden Euro.