Die Konten des roten Direktors
Russland. Der neue Präsidentschaftskandidat der Kommunisten, Pawel Grudinin, wird von KremlMedien massiv angegriffen. Ist das Teil der Wahlinszenierung oder war er womöglich zu beliebt?
Alles war perfekt vorbereitet, bei der Pressekonferenz in Moskau vor einigen Tagen: die Slideshow, die Pawel Grudinin als Zupacker beim Obstpflücken und als stets erreichbaren Chef für die Arbeiter der Lenin-Sowchose zeigte. Der kurze Clip, der die Sowchose als „Insel des Sozialismus“in einem kapitalistischen Meer porträtierte. Und schließlich das Wahlprogramm der Kommunisten mit dem Titel „20 Schritte“. Ein „Programm für alle“, wie der 57-jährige Grudinin vor den zahlreichen Journalisten erklärte: Ausbau der Sozialleistungen, höhere Pensionen, Förderung der Industrie und Agrarwirtschaft, Nationalisierung von Schlüsselunternehmen, Rückführung von Fluchtgeld aus dem Ausland. Das war das Stichwort.
Denn Grudinin, erstmals Kandidat der Kommunisten (KPRF) für das Präsidentenamt, steht derzeit selbst im Mittelpunkt einer Affäre um Auslandskonten. Dass er mehrere Millionen Rubel auf Konten der Österreich-Filiale der Liechtensteinischen Landesbank liegen hat, wurde erst nach der Erstregistrierung bei der Wahlkommission bekannt. Russische Politiker dürfen keine Konten im Ausland haben. Grudinin gibt an, das Geld für Operationen von Verwandten benötigt zu haben. Die Konten sollen mittlerweile geschlossen sein. Auf der Pressekonferenz war das dennoch Thema Nummer eins – und nicht die „20 Schritte“. Als „Antikapitalist“könne Grudinin wohl kaum bezeichnet werden, stellte ein Journalist fest. „Und wo ist das Geld jetzt?“, fragte eine andere Kollegin. Er habe es einem Vertrauensmann übergeben, antwortete Grudinin.
Zweifellos, das Image des „roten Direktors“ist angepatzt. Insbesondere Kreml-nahe Medien haben sich auf die Angelegenheit gestürzt. Beinahe täglich bringt der TV-Sender Life, der für seine diffamierenden und oft unwahren Berichte bekannt ist, neue Details. Auch die populäre Nachrichtensendung „Westi Nedeli“des Staatsfernsehens berichtet über die Ungereimtheiten. Es sind ausgerechnet jene Sender, die Korruptionsvorwürfen gegen die Kreml-Elite so gut wie nie nachgehen.
Das staatliche Umfrageinstitut Wziom veröffentlichte Anfang Jänner Daten, wonach Grudinin der KPRF ein Hoch von elf Prozent Zustimmung bescherte, im Vergleich zu früheren 7,6 Prozent. Für Grudinin würden demnach bei der Wahl im März 7,2 Prozent stimmen – das wäre nach Amtsinhaber Wladimir Putin (73,8 Prozent) immerhin der zweite Platz. Der Kandidat selbst behauptet, seine Zustimmungsraten seien weit höher. Putin jedoch greift er nicht direkt an. „Es geht nicht um den Kampf von Personen, sondern um den Kampf von Ideen“, wiederholt er gerne. Doch seit kurzem fallen Grudinins Werte.
Dabei sollte der KPRF–Kandidat neue Wählergruppen erobern. Er hat – anders als der 73-jährige Parteichef, Kaderkommunist und viermalige Präsidentschaftskandidat Gennadij Sjuganow – außerhalb der Partei Karriere gemacht. Der Mann mit dem buschigen Schnauzer ist Direktor der LeninSowchose am Rande Moskaus, die für ihre Erdbeeren berühmt ist. Er hält 42,87 Prozent am Unternehmen, sein durchschnittliches Jahresgehalt der vergangenen sechs Jahre war mit umgerechnet 375.000 Euro recht stattlich. „Ja, ich verdiene nicht schlecht“, sagt Grudinin. „Aber das wichtigste ist, dass meine Mitarbeiter auch gut verdienen.“
Grudinin inszeniert sich als Unternehmer mit sozialer Verant- wortung. Die Sowchose dient dabei als Vorzeigebetrieb: mit kostenlosen Wohnungen, einem Kindergarten in Form eines Schlosses, sozial sicheren Arbeitsplätzen, und gutem Verdienst. „So könnte ganz Russland aussehen“, sagt der Unternehmer, der früher bei der Kreml-Partei Einiges Russland war.
Am Beispiel der Kampagne gegen den Sowchosen-Direktor lässt sich sehen, wie der Kreml politische Konkurrenz managt. Die Personalie gilt als abgesprochen und soll der wenig aufregenden Wahl mehr Kick verleihen. Die KPRF war bis 2003 die größte Duma-Partei und stellt sogar ein paar Gouverneure im Land. Sie ist Teil der vom Kreml akzeptierten Opposition. Die Schmuddel-Kampagne diene gleichzeitig dazu, die Partei in die Schranken zu weisen, sagt Ex-Duma-Abgeordneter Gennadij Gudkow: Der Kreml halte die Kommunisten für „ungefährlich, aber gleichzeitig sollen sie nicht glauben, sie seien eine wirkliche Partei oder politische Kraft“. Denn die KPRF ist das Auffanglager für wirtschaftlich enttäuschte Wähler. Und die gibt es heute reichlich.