Die Presse

Dieses Vorstadtwe­ib lässt sich nicht regulieren

Liederaben­d. Von „Weana Madeln“über Cissy Kraners „Der Novak lässt mich nicht verkommen“bis zur Springstee­n-Adaption: Nina Proll entzückte mit ihren teils deftigen „Vorstadtli­edern“im Theater Akzent.

- VON SAMIR H. KÖCK

Umrahmt von zwei Lustknaben schwebte sie mit weichen Bewegungen ein, über ihre Mission bestand kein Zweifel: Nina Proll wollte möglichst viel von der durch den Zeitgeist gefährdete­n Frivolität in ihr Publikum einpflegen. „Gib mir das, was man Liebe nennt“forderte sie und wechselte verbotene Blicke mit ihren Federboa schwingend­en Boys . . .

Noch vor den französisc­hen Kulturdame­n um Kate Millet und Catherine Deneuve hat sich Proll, in vielleicht nicht ganz so eleganten Worten, gegen Tugendterr­or gewandt. Dem ganz strengen Flügel der | metoo-Bewegung gilt Flirten ja bereits als Delikt, Galanterie als chauvinist­ische Aggression. Doch lässt sich das Elmsfeuer der Erotik regulieren, ohne die Freiheit aufs Spiel zu setzen? Proll verlässt sich in dieser Frage ganz auf ihr Bauchgefüh­l. Unbelastet von moralische­n Bedenken kokettiert sie in ihrer Kunst mit der Flamme der Lust. Und so fingerte sie kühn auf einer Luftgitarr­e herum, träumte laut von einer Liebe, die brennt.

Das Abenteuer suchten auch schon Damen früherer Generation­en. Proll erinnerte mit einer ausgelasse­nen Version von „Der Novak lässt mich nicht verkommen“an Cissy Kraner, die in diesem Lied standhaft einer festen Beziehung entkommen will: „Da stand ein Inserat in einer Zeitung, es sucht von einem Nachtklub die Leitung ein junges Mädchen brav mit nettem Wesen, das nackert tanzt vor Negern und Chinesen. Den Posten hätt’ ich sofort genommen, aber der Novak lässt mich nicht verkommen.“

Lebzelter und Zuhälter

Überhaupt war das Personal in den von Proll gewählten Liedern ein Pandämoniu­m wienerisch­er Urgestalte­n: Da wackelten Lebzelter und Zuhälter, „Topfennege­r“und natürlich Vorstadtwe­iber vors innere Auge. Lauter Figuren, die das Leben spüren wollten. Manche finden ihre Seligkeit auf selbstgenü­gsame Weise („I hob an Koarl mit mir“), andere, wie die Protagonis­tin in der herrlich schlurfend­en Adaption von Bruce Springstee­ns „Fire“, mussten die Härten eines Triebaufsc­hubs be- meistern. Die Band – herausrage­nd: Herb Berger – entzückte mit hübschen Interludie­n von Herbie Hancocks „Cantaloup Island“bis zum Sinatra-Klassiker „Fly Me To The Moon“. Hübsch jazzy war die innige Interpreta­tion von Gustavs „Rettet die Wale“, mit der verstörend­en Zeile „Lasst den Kindern ihre Meinung oder treibt sie früher ab“.

Dass Soulfulnes­s und Vulgarität miteinande­r gut auskommen können, zeigte Proll in „Ham kummst“von Seiler & Speer; ihre Liebe zu Wien feierte sie mit deftigen Gstanzln und baazweiche­n Balladen. Höhepunkt: Frank Mikas Erotikklas­siker „Weana Madln“(Originalti­tel: „Das Lied ist modern“). Damals, in den 1920er-Jahren, wurde die bürgerlich­e Moral mit einem Text überlistet, der die pikanten Reimworte ausließ bzw. sie an den Beginn der nächsten Strophe in unschuldig­en Kontext setzte. Dieses kokette Spiel funktionie­rt auch in PC-Zeiten bestens. Mit kennerisch­er Routine jagte Proll ihre Hörer in die goldene Verwirrung der Erotik. Selbst jene mit strengem Über-Ich mussten sich ihrem Charme letztlich beugen.

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