Das „nackte“Afrika im Alsergrund
Kulturen-Clash. Die Akademie der Künste fand in ihrem Ausweichquartier, der alten WU, „stereotype, rassistische, sexistische“Kunst vor. Zum Rundgang wird jetzt „kontextualisiert“.
Man kann sich in etwa den Schock vorstellen, den die Studierenden der „Postcolonial Studies“der Wiener Akademie der bildenden Künste erlitten, als sie erstmals das Gebäude der alten WU betraten. Es ging weniger um den Hauch des Kapitalismus, der hier vielleicht noch durch die Aula mit ihrer nach einem Brand freigelegten Decke wehte (was für eine Kunst-Uni eher den richtigen Industrial-shabby-Schick verströmt). Es ging eher um die Kunst am Bau, die man hier vorfand, meterhoch aufragend, derart dominant, dass wohl nur WUStudierende daran vorbeilaufen können, ohne die Augenbrauen zu heben (um bei den Klischees zu bleiben, die hier abgebildet sind). Thema sind die sechs acht mal acht Meter großen Keramikbilder (Fayencen) von Maitre Leherb (1933–1997), eines spät-surrealistischen Wiener Künstlers, von dem die meisten Akademie-Studierenden (etwa die Hälfte kommt aus dem Ausland) nie gehörten hätten – würde das Akademie-Gebäude am Schillerplatz nicht generalsaniert werden. Und diente die alte WU im Alsergrund nicht als Ausweichquartier bis 2020.
Es ist schon ein wenig absurd, dieser Umzug in diesen postmodernen Bau der späten 1970er-, frühen 1980er-Jahre. Für die meisten Malerei- und Bildhauerklassen waren die Räume zu niedrig, sie sind in einem Gebäude in der Engerthstraße untergebracht. Rektorin Eva Blimlinger aber sitzt jetzt stilgerecht auf Zentralsparkassen-orangen Flokati in ihrem Büro an der Spittelau. Die Architektur-Klasse hat sich die ehemaligen Räume der WU-Bibliothek gekrallt, was eine tatsächliche Verbesserung gegenüber der bisherigen Flucht an Kämmerchen am Schillerplatz bedeutet. Bei den alljährlichen Tagen der offenen Tür der Akademie von morgen, Donnerstag, bis Sonntag, kann man diesen neuen Sitz von Avantgarde („Stefan Riedl King of Art“steht an einer Türe) und Widerstand („|gegen schwarz-blau“hat jemand pink an eine Gangwand geschrieben) durchstreifen.
Ein Termin, den Christian Kravagna, Professor für Postcolonial Studies, zum Anlass nahm, die Großbilder Leherbs zu „kontextualisieren“, wie das im Kunstsprech heißt, also kritisch einzuordnen. Dargestellt sind nämlich „imaginäre Porträts der Kontinente“, so der Katalog, der zur Einweihung 1992 erschien. Afrika, Asien, Antarktis, Europa, USA, Australien folgen hier einer Ikonografie, die nicht nur heutzutage als problematisch eingestuft wird. Zu sehen ist der „westliche Blick“auf Fremdes, „Exotisches“, wie man ihn aus barocken Darstellungen kennt, die meist dazu dienten, die Kolonialmacht eines Herrscherhauses zu betonen. Vor allem Afrika mit der nackten Frauenfigur folgt solchen „Stereotypen“, so Krawagna (siehe Abbildung). Man konnte erst kaum glauben, dass die Bilder 1980 bis 1992 entstanden seien, sagt er. Um zu zeigen, dass schon damals in Wissenschaft, Kunst, Literatur ein anderes Weltbild vorherrschte, wählte man Zitate aus solchen Texten aus und veröffentlicht sie jetzt an den Wänden neben und über den Fayencen. So wolle man „der Kritik an stereotypisierenden und kolonialen und sexistischen Inhalten Raum geben“. Mehr „Raum“war wegen des Werkschutzes nicht möglich. Begonnen wird also gleich beim Haupteingang mit einem Spruch der feministischen „Guerilla Girls“von 1989: „When racism and sexism are no longer fashionable, what will your art collection be worth?“Es geht weiter mit Texten u. a. von Edward W. Said aus „Kultur und Imperialismus“oder Chinua Achebe aus „Ein Bild von Afrika: Rassismus in Conrads ,Herz der Finsternis‘“.
Wie es damals überhaupt zum Thema der „Sechs Kontinente“kam und wer genau Leherb beauftragte – das scheint in den Annalen ähnlich versunken wie Leben und Werk dieses sich exzentrisch inszenierenden Mannes, der vom Staatsfeind zum Staatskünstler wurde: 1964 hätte er den österreichischen Pavillon in Venedig bespielen sollen – alles blau ausgemalt, mit Schaufensterpuppen und toten Tauben bestückt. Der damalige Unterrichtsminister Theodor PifflPerceviˇc´ (VP) verhinderte das im letzten Moment und ließ Herbert Boeckl und Alfred Hrdlicka nominieren. Dieser Skandal machte den zur Schule des Phantastischen Realismus zählenden Leherb, geboren als Helmut Leherbauer in Wien, zumindest kurzfristig international bekannt. Der Künstler, der sich als Neo-Dal´ı-Verschnitt inszenierte, zog nach mehreren Enttäuschungen nach Paris. Dann kamen staatliche Aufträge wie Briefmarken und Skulpturen in Parks. 1980 bis 1992 arbeitete er im italienischen Faenza dann an seinem „Hauptwerk“, den WU-Bildern. Er starb fünf Jahre nach Fertigstellung an den Folgen dieser hochgiftigen Arbeit.