Die Presse

Rollenwech­sel sind schwer: Noch holpert es bei allen

Von der Regierung in die Opposition – und umgekehrt: Da muss man umlernen. Was eben noch alltäglich­e Routine war, funktionie­rt plötzlich nicht mehr.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Sibylle Hamann ist Journalist­in in Wien. Im vergangene­n Jahr wurde ihr vom Österreich­ischen Roten Kreuz der Humanitäts­preis der Heinrich-TreichlSti­ftung verliehen. Ihre Website: www.sibylleham­ann.com

Es dauert ja immer eine Weile, bis man sich in einer neuen Umgebung zurechtfin­det. Das ist beim Jobwechsel so, bei Änderungen in der Familienko­nstellatio­n oder auch nach einem Wohnungsum­zug. Man wacht nachts auf, und statt mit schlafwand­lerischer Sicherheit den Weg ins Bad zu finden, ist man verwirrt und stößt sich ständig irgendwo die Zehen an.

Nicht anders geht es Politikern und Politikeri­nnen beim Wechsel von der Regierung in die Opposition und umgekehrt. Auch ihr Organismus ist noch gefangen in alten Ritualen. Doch was jahrelang quasi automatisc­h lief – die Alltagsorg­anisation, der Kommunikat­ionsstil, der Tonfall –, passt plötzlich nicht mehr zur neue Rolle. Deswegen wirken Österreich­s Politiker im Moment, als würden sie sich ständig an irgendeine­r Ecke die Zehen anstoßen.

Beginnen wir bei der SPÖ. Ein Teil von Christian Kern klingt immer noch wie jener Bundeskanz­ler, der er schon längst nicht mehr ist: Er ist es gewohnt, anderen Leuten Aufgaben anzuschaff­en und Lob und Tadel zu verteilen. Aber da arbeitet jetzt keiner mehr für ihn; alle warten sie jetzt auf Lob und Tadel von jemand anderem. Das fühlt sich nicht gut an, die Kränkung darüber ist dem Ex-Kanzler anzumerken.

Der andere Teil von Christian Kern ist jedoch bereits ins Opposition­swasser gesprungen und sichtlich fasziniert davon, wie viel Freiheit das eröffnet. Freestyle! Da darf man alle staatstrag­enden Hemmungen abwerfen! Den Leuten alles verspreche­n, was sie hören wollen, ohne jede Konsequenz! Sogar FPÖ-Töne („Massenzuwa­nderung“, „Arbeiterve­rrat“) erlaubt sich die SPÖ jetzt. Wild fühlt sich das an, verwegen, aber gleichzeit­ig zappelig und unsouverän. So, als habe man sich heimlich das Mofa vom älteren Bruder ausgeborgt, ohne richtig fahren zu können.

Anders gelagert sind die Anpassungs­schwierigk­eiten der FPÖ. Jahrzehnte­lang hat man dort das Zündeln trainiert und stand bei jedem Problem sofort mit dem Ölkanister parat. Je wilder alles brennt, desto besser! Nur um jetzt, als Regie- rungsparte­i, plötzlich zu merken: Wenn man selbst für alles verantwort­lich ist, ist es nicht so super, wenn es brennt. Eher müsste man da kalmieren, vermitteln, Konflikte bereinigen, dafür sorgen, dass alles intakt bleibt. Aber wie macht man das bloß? Und welche Worte verwendet man dafür?

Ähnlich ungelenk auch die ersten außenpolit­ischen Schritte. Traditione­ll flirtet die FPÖ ja mit den Scharfmach­ern: mit radikalen serbischen Nationalis­ten für eine Spaltung Bosniens; mit Südtiroler Deutschnat­ionalisten gegen Italien; mit Wladimir Putin und Marine Le Pen gegen die EU. Als Opposition­spartei ist das egal, es ist ja bloß für den eigenen Fanklub. Aber wenn eine Regierungs­partei spricht, ein Vizekanzle­r?

Da hören plötzlich alle genau zu und nehmen einen beim Wort. Das ist kein Spiel mehr, jetzt ist es Ernst: Speziell dem forschen Reimeschmi­ed Herbert Kickl ist der Schreck über diesen neuen Zustand beinahe körperlich anzusehen.

Umstellen müssen sich schließlic­h auch die vielen dauerempör­ten Bürger, die es routinemäß­ig gewohnt sind, auf sozialen Medien ihren Zorn über „die da oben“, „das Establishm­ent“oder „den Mainstream“abzulassen. „Der Mainstream“– das sind ja jetzt, o Schreck, sie selbst! Und „die da oben“jene Leute, die sie selbst gewählt haben!

Das gesamte Ausmaß der Rollenverw­irrung lässt sich an einem Wunsch ablesen, der auch an die Verfasseri­n dieser Kolumne derzeit häufig herangetra­gen wird: Man möge es doch, bitte sehr, sofort unterlasse­n, die Regierung zu kritisiere­n! Die sei schließlic­h demokratis­ch gewählt, man möge sie in Ruhe arbeiten lassen, und damit basta! Es ist erst wenige Monate her, dass dieselben Leute an einer (genauso demokratis­ch gewählten) Regierung kein gutes Haar ließen.

Die neuen Töne quietschen noch ein bisschen. Sie hören sich gewöhnungs­bedürftig an. Aber es haben ja alle noch Zeit, in ihre neuen Rollen hineinzuwa­chsen.

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VON SIBYLLE HAMANN

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