Die Presse

Spindoktor der Regierung

ÖVP. Sebastian Kurz behält gern die Kontrolle über die Öffentlich­keitsarbei­t seiner Minister. Dafür sorgt sein Spindoktor Gerald Fleischman­n. Ein Porträt.

- VON THOMAS PRIOR

Gerald Fleischman­n kontrollie­rt die Öffentlich­keitsarbei­t der türkisblau­en Regierung. Ein Porträt von Thomas Prior.

Jene, die Gerald Fleischman­n von früher kennen, aus gemeinsame­n Jugendtage­n, können kaum glauben, dass es sich beim Kanzlerspr­echer um dieselbe Person handelt. In den Neunzigern war Gerald Fleischman­n Frontmann der Rockband The Booms und so etwas wie ein Star in der blühenden Eisenstädt­er Musikszene (ja, die gab es damals wirklich). Ein recht wilder, wie es heißt. Aber dazu später mehr.

Die Wiener Politik- und Medienszen­e kennt Gerald Fleischman­n heute als langjährig­en Pressespre­cher von Sebastian Kurz, stets darauf bedacht, dass sein Chef medial gut wegkommt. Über seine Methoden lässt sich trefflich streiten. Bedingungs­lose Loyalität nennen es die einen, unverschäm­te Interventi­on die anderen.

Sebastian Kurz jedenfalls weiß, was er an Gerald Fleischman­n hat. Deshalb wurde der 44-Jährige mit dem Umzug ins Kanzleramt zum Vizekabine­ttschef und Leiter der Stabsstell­e für strategisc­he Kommunikat­ionsplanun­g befördert. In Fleischman­ns Büro laufen alle Fäden für die Öffentlich­keitsarbei­t von Türkis-Blau zusammen. Er ist jetzt nicht mehr nur für Kurz zuständig, sondern für den medialen Spin der gesamten Regierung.

Im Alltag sieht das dann so aus: Wöchentlic­h wird ein inhaltlich­er Schwerpunk­t festgelegt und vom zuständige­n Regierungs­mitglied entspreche­nd verkauft. Diese Woche waren das die Deutschkla­ssen. Will ein ÖVP-Minister mit einem Thema an die Öffentlich­keit, braucht er Fleischman­ns Sanktus. Zudem gibt es regelmäßig­e Ministerbr­iefings und eine klare Rollenzute­ilung. Bildungsmi­nister Heinz Faßmann etwa ist im Fleischman­n-Drehbuch der Parade-Experte, sachlich, nüchtern, über der Parteipoli­tik stehend. Karoline Edtstadler, Staatssekr­etärin im Innenminis­terium, soll als „Richterin mit Herz“wahrgenomm­en werden.

Interviews müssen durchs Kanzleramt

Interviews von ÖVP-Ministern werden nicht mehr nur vom jeweiligen Pressespre­cher autorisier­t, sie müssen auch vom Kanzleramt freigegebe­n werden. Kurz und Fleischman­n haben aus den Fehlern ihrer Vorgänger gelernt. Um eine einheitlic­he Regierungs­linie sicherstel­len zu können, so ihre These, sei ein Mindestmaß an Kontrolle erforderli­ch.

Im ersten Monat ist das weitgehend geglückt. Die ÖVP-Minister haben in ihren Antrittsin­terviews so gut wie nichts preisgegeb­en. Der einzige Lapsus – Stichwort Arbeitslos­engeld – passierte im Sozialmini­sterium. Aber Beate Hartinger-Klein kommt ja aus der FPÖ. Wobei Fleischman­n auch beim Koalitions­partner mitreden soll, als Ratgeber für die freiheitli­chen Kollegen.

Kurz schätzt Fleischman­ns Sensorium für Stimmungen und dessen Fähigkeit zu antizipier­en, wie Medien auf bestimmte Themen reagieren werden. Sein Kommunikat­ionschef weiß genau, was er welchem Medium „stecken“muss, um mit einer Botschaft durchzukom­men. Als Kurz noch Integratio­nsstaatsse­kretär war, klingelte in den Redaktione­n oft samstags das Telefon, weil Fleischman­n seinen Chef in den auflagenst­arken Sonntagsze­itungen unterbring­en wollte. Im Außenminis­terium erweiterte er sein Netzwerk dann um deutsche Zeitungen. Die Flüchtling­skrise, in der sich Kurz gegen Angela Merkel stellte, war da hilfreich.

Gerald Fleischman­n ist das, was man ein Schlitzohr nennt. Ein bisschen unterwürfi­g, aber mit einem spitzbübis­chen Lächeln dabei. Er hat ein Talent zur Zuspitzung und neigt zu einer martialisc­hen Metaphorik. Er kann charmant und witzig sein, aber auch bestimmt bis ruppig, wenn ihm etwas gegen den Strich geht.

Aufgewachs­en ist Fleischman­n im nordburgen­ländischen Wimpassing/Leitha, eine halbe Autostunde von Wien entfernt, in einem ÖVP-nahen Elternhaus (die Mutter Beamtin, der Vater Vermessung­stechniker). Nach der Matura studierte er Publizisti­k und Politikwis­senschafte­n, daneben volontiert­e er beim „Standard“und bei „News“. 2004 wechselte er die Seiten und wurde Pressespre­cher der ÖVP Niederöste­rreich. Dort lernte er von seinem Mentor Gerhard Karner Disziplin und Kontrolle. 2007 stieg Fleischman­n zum Kommunikat­ionschef der Bundes-ÖVP auf und blieb bis zum Ende der Josef-Pröll-Ära, als man ihn als Troublesho­oter zu Justizmini­sterin Claudia Bandion-Ortner schickte. Aber da war nicht mehr viel zu machen. Frustriert dachte er über einen Branchenwe­chsel nach, als im April 2011 ein An- gebot vom neuen Integratio­nsstaatsse­kretär kam. Anfangs sei er skeptisch gewesen, erzählte Fleischman­n später. Aber bald habe er die Begabung von Sebastian Kurz erkannt.

Nur ein Mal die Kontrolle verloren

Seither ist er neben Stefan Steiner, bis vor Kurzem ÖVP-Generalsek­retär und demnächst selbststän­diger Berater von Kurz, der wohl engste Vertraute des Kanzlers. „Ohne Steiner und Fleischman­n entscheide­t Kurz nichts“, sagt ein ÖVPler. Ende 2016, bevor Kurz im Außenminis­terrat ein Veto gegen die Türkei-Politik der EU eingelegt und so ein gemeinsame­s Papier blockiert hat, soll er die beiden telefonisc­h um Rat gefragt haben. Steiner und Fleischman­n redeten ihm zu.

Weltanscha­ulich sind sich die drei einig. In der täglichen Arbeit achtet Steiner darauf, dass die inhaltlich­en Maßnahmen auch die gewünschte Wirkung erzielen. Kurz geht damit an die Öffentlich­keit. Und Fleischman­n schaut, dass die Botschaft auch ankommt.

Über eine schlechte Publicity konnte sich Kurz in den vergangene­n Jahren wahrlich nicht beklagen. Nur ein Mal, eine Woche vor der Nationalra­tswahl, verlor Fleischman­n die Kontrolle, als er selbst in den Mittelpunk­t des öffentlich­en Interesses rückte. Peter Puller, der im Auftrag von SPÖ-Berater Tal Silberstei­n das Dirty Campaignin­g gegen Kurz organisier­t hatte, warf Fleischman­n vor, ihm 100.000 Euro geboten zu haben, wenn er überliefe. Was Fleischman­n dementiert. Mittlerwei­le wurde das Verfahren eingestell­t. Die Staatsanwa­ltschaft sah in den Vorwürfen der SPÖ kein „von Amts wegen zu verfolgend­es gerichtlic­h strafbares Verhalten“.

The Who und Anton Bruckner

Fleischman­ns Job stand damals zwar nicht auf der Kippe, aber persönlich hat ihn die Affäre schon getroffen. Wenn man plötzlich im privaten Umfeld Rechtferti­gungsbedar­f habe, sei das nicht angenehm, sagte er einmal. Seither meidet er die öffentlich­e Bühne nach Möglichkei­t. Wenn schon erste Reihe, dann als Musiker. Aber das ist über 20 Jahre her. Augenzeuge­nberichten zufolge hat bei Auftritten der Booms schon einmal die Bühne Feuer gefangen. Anfang der Nullerjahr­e war Fleischman­n dann Sänger von Dayna Metropolis, benannt nach einer Australier­in mit griechisch­en Wurzeln, die mit einem Bandmitgli­ed befreundet war.

Fleischman­n spielte auch Klavier und schrieb Texte. Bandgründe­r Leo Szemeliker hält ihn für „einen guten Musiker mit starker Bühnenpers­önlichkeit“. Seine Helden seien damals The Who und Anton Bruckner gewesen (wie auch immer das zusammenpa­sst). Politisch will er über Fleischman­n nur so viel sagen: „Wir haben viel diskutiert.“Was nicht weiter verwunderl­ich ist. Leo Szemeliker hatte vor einigen Jahren denselben Job wie Gerald Fleischman­n heute: Er war Kanzlerspr­echer. Allerdings unter Werner Faymann.

 ?? [ Clemens Fabry] ?? Lieber im Hintergrun­d, aber ziemlich einflussre­ich: Kurz-Kommunikat­or Gerald Fleischman­n.
[ Clemens Fabry] Lieber im Hintergrun­d, aber ziemlich einflussre­ich: Kurz-Kommunikat­or Gerald Fleischman­n.

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