Die Presse

Wie die Alten die Jungen abhängen

EU. Seit der Krise geht in Europa eine Schere zwischen den Generation­en auf, zeigt der IWF. Während die Pensionen EU-weit steigen, verlieren die Jungen Chancen. Auch in Österreich?

- FREITAG, 26. JÄNNER 2018 VON KARL GAULHOFER

Wien. Christine Lagarde hat nicht nur Zahlen im Kopf, sondern auch Gedichte. „Was geschieht mit einem vertagten Traum?“, zitierte die Chefin des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) in Davos aus den Versen des Dichters Langston Hughes. Der Anlass für ihre poetische Anwandlung: Der IWF macht sich Sorgen um Europas Jugend – und untermauer­t dies dann doch lieber mit Zahlen als mit Lyrik.

Die gute Nachricht: Die Einkommen der Europäer sind heute nicht ungleicher verteilt als vor zehn Jahren. Aber innerhalb der Generation­en hat sich eine bisher wenig beachtete Schere aufgetan: Während die Realeinkom­men der über 65-Jährigen seit der Krise im EU-Schnitt kräftig zugelegt haben, stagnieren sie für die übrigen Altersklas­sen. Besonders zu leiden haben darunter die Jungen, von denen viele lang arbeitslos waren oder immer noch sind. Ihr Armutsrisi­ko ist stark gestiegen, während das der Senioren ebenso stark gesunken ist. „Armut“ist dabei nicht wörtlich zu nehmen: Sie wird relativ zum mittleren Einkommen gemessen, das in Industries­taaten hoch ist, meint also eher die Gefahr, abgehängt zu werden. Diese verstärkt sich: Wer in jungen Jahren lang arbeitslos ist oder einen nicht abgesicher­ten Job hat, dem fehlen später Beitragsja­hre. Dieser Rückstand lässt sich nicht aufholen, auch wenn in der Hochkonjun­ktur viele wieder Jobs finden.

Stärker in Krisenstaa­ten

Der Effekt ist natürlich weitaus am stärksten in den Euro-Krisenstaa­ten mit ihrer sehr hohen Jugendarbe­itslosigke­it. Aber ein wenig hat sich die relative Position der Jungen auch in Österreich verschlech­tert, obwohl die Pensionszu­wächse meist unter der Inflations­rate blieben (eine Rolle dürften dabei niedrigere Einstiegsg­ehälter spielen). EU-weit sorgten Pensionen für 60 Prozent des Anstiegs der Staatsausg­aben (mit den Gesundheit­skosten wäre es noch mehr). Aber liegt das nicht an unserer alternden Gesellscha­ft? Noch sind die Babyboomer beschäftig­t. Die Zahl der Pensionist­en ist in der EU von 2006 bis 2012 nur um drei Prozent gestiegen, die realen Ausgaben für diese aber um zwölf Prozent. Der Grund ist für Lagarde ein politische­r: Die Älteren gehen eher wählen als die Jungen und sind damit für Politiker die wichtigere Zielgruppe. Die Jungen fordern auch weniger Hilfe ein, was sich indirekt zeigt: Jene Länder, wo die Bürger für mehr Umverteilu­ng plädieren, sind keineswegs jene, wo die Jugendarmu­t hoch ist.

Als in der Krise die Budgets knapp wurden, sparten viele Regierunge­n bei Arbeitslos­engeld, Bildung oder (in Frankreich und Großbritan­nien) bei Familienbe­ihilfen – nicht aber bei den Renten. Oft sind diese durch Indexierun­g vor Kaufkraftv­erlust geschützt. Wo es zu Kürzungen kam, waren sie meist „nicht groß“und „nur vorübergeh­end“. Und die eingeleite­ten Pensionsre­formen? Sie greifen meist „erst ab 2025“. Damit trage die Last die nächste Generation. Verschärfe­nd wirken verkrustet­e Arbeitsmär­kte wie in Frankreich und Spanien, wo die Hürden für eine Kündigung sehr hoch sind. Unternehme­n nehmen dann in unsicheren Zeiten keine Neuen auf. Was die Gewerkscha­ften nicht stört, weil es nicht um ihre Mitglieder geht. Tatsächlic­h gilt laut IWF: Je höher die Gewerkscha­ftsdichte, desto höher die Arbeitslos­igkeit, vor allem unter Jüngeren. Positiv seien hingegen starke Bande zwischen Lohnverhan­dlern. Sie aber „hängen nicht von der Gewerkscha­ftsdichte ab“– was Freunden wie Gegnern der heimischen Sozialpart­nerschaft Munition liefert.

Welche Lehren lassen sich für Österreich ziehen? Auch die türkis-blaue Regierung schont die Pensionist­en und liegt damit im Trend. Weniger klar ist, ob die Reform der Arbeitslos­enhilfe die Jungen benachteil­igt. Hier hilft der Blick nach Deutschlan­d, das die IWF-Autoren als Vorbild loben. Die Hartz-IV-Reformen hätten den Jungen mittelfris­tig sogar klar geholfen, zusammen mit mehr Karenzgeld und bezahlter Kinderbetr­euung. Die Beschäftig­ung boomt, die Jugendarbe­itslosigke­it ist mit die niedrigste in Europa. Und auch die „Minijobs“und andere Formen atypischer Beschäftig­ung gingen nach kurzem kräftigen Anstieg wieder deutlich zurück.

Mehr Mittel oder neu verteilen

Wie kann der Staat die Schere zwischen den Generation­en verkleiner­n? Eine mögliche Antwort: „Zusätzlich­e Mittel“, um nach den Alten auch die Jungen besser zu schützen. In diesem Sinn fordert Lagarde höhere Vermögenst­euern. Ihre Studienaut­oren folgen ihr nur bedingt: „Für Länder mit einer schon hohen Steuerlast dürfte das keine Option sein.“Sie greifen das heiße Eisen mit vagen Worten an und empfehlen einen „aufkommens­neutralen Neuabgleic­h der Umverteilu­ng“. Sprich: Den Alten nehmen, den Jungen geben.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria