Nur im All sind die Hässlichen böse
Kino. Im Film „Wunder“über einen Buben mit fehlgebildetem Gesicht wird „Star Wars“zum einigenden Mythos und Julia Roberts zur Supermama: originell – aber auch selbstgerecht.
Wie das Gesicht unter dem kugelrunden Astronauten-Helm ausschaut, bleibt zu Beginn von „Wunder“ein Geheimnis. Man sieht einen scheinbar ganz normalen Buben, wie er ganz normalen Kinderaktivitäten nachgeht, auf dem Bett hüpft, draußen umhertollt, mit „Star Wars“Figuren spielt. Er träume von einem Leben im Weltraum, sagt er. Nicht ungewöhnlich für ein Kind in seinem Alter. Das All, schwerelos und unendlich, war schon immer der beste aller imaginärer Zufluchtsorte. Dort oben würde man vielleicht auf fremdartige Kreaturen treffen. Alles, was anders ist, anders ausschaut als man selbst, würde Anteilnahme und Neugier, nicht Abwehr und Misstrauen wecken. Nicht einmal das entstellte Gesicht des Zehnjährigen, das sichtbar wird, als er schließlich die Kopfbedeckung abnimmt.
In der Sternenkrieger-Saga, die Auggie (überzeugend: Jacob Trembley) so verehrt, trugen immer nur die verklemmten Bösewichte ein Antlitz wie seines. Oberschurke Darth Vader versteckte es die meiste Zeit hinter einer Maske; der Schuft aus den letzten Fortsetzungen zeigte es bloß Eingeweihten. Innere Verdorbenheit wurde in „Star Wars“immer ganz mittelalterlich als wesensverwandt mit äußerer Missbildung dargestellt.
Das gehörte schon länger korrigiert. Auch weil es Kinder wie Auggie gibt, die unter dem Treacher-Collins-Syndrom leiden. Einem seltenen Gendefekt, der seine angeborene Gesichtsfehlbildung erklärt. Die Re- ferenz auf „Star Wars“ist ergo mehr als Schleichwerbung. Die Rechteinhaber der erfolgreichen Marke übten für ihre jahrelange Diskreditierung von Deformierten tätige Reue, indem sie „Wunder“nicht nur ihren Segen erteilten, sondern mit dem stark behaarten Chewbacca sogar einen Botschafter aus „Star Wars“schickten: Der zottelige Steuermann des Rasenden Falken absolviert als halluzinierter Freund Auggies in „Wunder“mehrere Gastauftritte.
So wird die Weltraum-Oper als einender Pop-Mythos idealisiert. Man kann das mit kulturkritischer Skepsis sehen, sollte aber nicht miesepetrig werden. Vor allem angesichts der originellen ersten Hälfte des Films. Wie das Fantastische immer nur als Tagtraum aufblitzt, bedingt durch die Demütigungen, die Auggie erleidet, ist authentisch und schön. Nah dran an dem Ineinander von Wahrnehmen und Fantasieren im kindlichen Bewusstsein.
Die Zwickmühle der Erziehungsberechtigten, die die Gefühle ihres Sohnes nicht von anderen verletzt sehen möchten, ihn aber gleichzeitig nicht wie ein Ungeheuer daheim verstecken wollen, wird sehr einfühlsam geschildert. Genauso der Übergang des Buben in die leidige Wirklichkeit außerhalb der eigenen vier Wände – seine Eltern schicken ihn dann nämlich doch auf eine Schule. Man fühlt sich an Traumata aus der eigenen Pausenhof-Biografie erinnert, als schon die falschen Schuhe ausreichen konn- ten, um sich in der Klassenhierarchie als Außenseiter zu qualifizieren.
Auggie wird gleich nach seiner Einweisung in die Bildungsmühle gemieden und gehänselt. In der Kantine verdrückt er einsam sein Pausenbrot. Die Klassenkameraden glauben, er sei verseucht. Schikanen gehören zum Alltag – bis ein interessanter Wendepunkt eintritt: Seine Mitschüler beginnen sich für das Andere an Auggie zu begeistern. Weil die Differenz stets größere Neugier weckt als die Gleichheit unter Gleichen. In einem Land, das derzeit von einem Präsidenten regiert wird, der den Hass auf die Normabweichung wieder salonfähig gemacht hat, ist das eine subversive Botschaft. Die Kinder von heute erscheinen als Kontrastbild zur Geisteshaltung der meisten Trump-Wähler. Lieber aufnehmen statt einmauern, lautet das Motto.
Das Problem ist nur, dass dieselbe Weltanschauung in den Familienszenen zu extremer Langeweile führt. Julia Roberts spielt die Mutter, Owen Wilson den Vater. Wirkliche Charaktere verkörpern die Stars nicht. Mama ist warmherzig. Papa ein lässiger Typ. Warum also streiten? Anders als der raue Wind, der in den Schulhofszenen herrscht, schaltet der Film bei der Innenansicht in die Familie ganz auf Verklärung und Weichzeichner um, ohne jegliche Spannungsmomente oder Figurenentwicklungen. In der zweiten Hälfte wird der Film immer biederer und selbstgerechter. So viel Freundlichkeit erzeugt irgendwann Zuckerschocks. Und wirkt obendrein gönnerhaft.