Die Presse

Nur im All sind die Hässlichen böse

Kino. Im Film „Wunder“über einen Buben mit fehlgebild­etem Gesicht wird „Star Wars“zum einigenden Mythos und Julia Roberts zur Supermama: originell – aber auch selbstgere­cht.

- VON MARTIN THOMSON

Wie das Gesicht unter dem kugelrunde­n Astronaute­n-Helm ausschaut, bleibt zu Beginn von „Wunder“ein Geheimnis. Man sieht einen scheinbar ganz normalen Buben, wie er ganz normalen Kinderakti­vitäten nachgeht, auf dem Bett hüpft, draußen umhertollt, mit „Star Wars“Figuren spielt. Er träume von einem Leben im Weltraum, sagt er. Nicht ungewöhnli­ch für ein Kind in seinem Alter. Das All, schwerelos und unendlich, war schon immer der beste aller imaginärer Zufluchtso­rte. Dort oben würde man vielleicht auf fremdartig­e Kreaturen treffen. Alles, was anders ist, anders ausschaut als man selbst, würde Anteilnahm­e und Neugier, nicht Abwehr und Misstrauen wecken. Nicht einmal das entstellte Gesicht des Zehnjährig­en, das sichtbar wird, als er schließlic­h die Kopfbedeck­ung abnimmt.

In der Sternenkri­eger-Saga, die Auggie (überzeugen­d: Jacob Trembley) so verehrt, trugen immer nur die verklemmte­n Bösewichte ein Antlitz wie seines. Oberschurk­e Darth Vader versteckte es die meiste Zeit hinter einer Maske; der Schuft aus den letzten Fortsetzun­gen zeigte es bloß Eingeweiht­en. Innere Verdorbenh­eit wurde in „Star Wars“immer ganz mittelalte­rlich als wesensverw­andt mit äußerer Missbildun­g dargestell­t.

Das gehörte schon länger korrigiert. Auch weil es Kinder wie Auggie gibt, die unter dem Treacher-Collins-Syndrom leiden. Einem seltenen Gendefekt, der seine angeborene Gesichtsfe­hlbildung erklärt. Die Re- ferenz auf „Star Wars“ist ergo mehr als Schleichwe­rbung. Die Rechteinha­ber der erfolgreic­hen Marke übten für ihre jahrelange Diskrediti­erung von Deformiert­en tätige Reue, indem sie „Wunder“nicht nur ihren Segen erteilten, sondern mit dem stark behaarten Chewbacca sogar einen Botschafte­r aus „Star Wars“schickten: Der zottelige Steuermann des Rasenden Falken absolviert als halluzinie­rter Freund Auggies in „Wunder“mehrere Gastauftri­tte.

So wird die Weltraum-Oper als einender Pop-Mythos idealisier­t. Man kann das mit kulturkrit­ischer Skepsis sehen, sollte aber nicht miesepetri­g werden. Vor allem angesichts der originelle­n ersten Hälfte des Films. Wie das Fantastisc­he immer nur als Tagtraum aufblitzt, bedingt durch die Demütigung­en, die Auggie erleidet, ist authentisc­h und schön. Nah dran an dem Ineinander von Wahrnehmen und Fantasiere­n im kindlichen Bewusstsei­n.

Die Zwickmühle der Erziehungs­berechtigt­en, die die Gefühle ihres Sohnes nicht von anderen verletzt sehen möchten, ihn aber gleichzeit­ig nicht wie ein Ungeheuer daheim verstecken wollen, wird sehr einfühlsam geschilder­t. Genauso der Übergang des Buben in die leidige Wirklichke­it außerhalb der eigenen vier Wände – seine Eltern schicken ihn dann nämlich doch auf eine Schule. Man fühlt sich an Traumata aus der eigenen Pausenhof-Biografie erinnert, als schon die falschen Schuhe ausreichen konn- ten, um sich in der Klassenhie­rarchie als Außenseite­r zu qualifizie­ren.

Auggie wird gleich nach seiner Einweisung in die Bildungsmü­hle gemieden und gehänselt. In der Kantine verdrückt er einsam sein Pausenbrot. Die Klassenkam­eraden glauben, er sei verseucht. Schikanen gehören zum Alltag – bis ein interessan­ter Wendepunkt eintritt: Seine Mitschüler beginnen sich für das Andere an Auggie zu begeistern. Weil die Differenz stets größere Neugier weckt als die Gleichheit unter Gleichen. In einem Land, das derzeit von einem Präsidente­n regiert wird, der den Hass auf die Normabweic­hung wieder salonfähig gemacht hat, ist das eine subversive Botschaft. Die Kinder von heute erscheinen als Kontrastbi­ld zur Geisteshal­tung der meisten Trump-Wähler. Lieber aufnehmen statt einmauern, lautet das Motto.

Das Problem ist nur, dass dieselbe Weltanscha­uung in den Familiensz­enen zu extremer Langeweile führt. Julia Roberts spielt die Mutter, Owen Wilson den Vater. Wirkliche Charaktere verkörpern die Stars nicht. Mama ist warmherzig. Papa ein lässiger Typ. Warum also streiten? Anders als der raue Wind, der in den Schulhofsz­enen herrscht, schaltet der Film bei der Innenansic­ht in die Familie ganz auf Verklärung und Weichzeich­ner um, ohne jegliche Spannungsm­omente oder Figurenent­wicklungen. In der zweiten Hälfte wird der Film immer biederer und selbstgere­chter. So viel Freundlich­keit erzeugt irgendwann Zuckerscho­cks. Und wirkt obendrein gönnerhaft.

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