Die Presse

Machtspiel Modezar und Muse

In „Der seidene Faden“gibt Daniel Day-Lewis einen brillanten Modeschöpf­er – und Vicky Krieps seine widerspens­tige Muse. Ein opulentes und intelligen­tes Liebesdram­a.

- VON ANDREY ARNOLD

Spiel um Macht, Respekt und Hingabe: Vicky Krieps und Daniel DayLewis brillieren im Film „Der seidene Faden“.

Der spanische Modedesign­er Cristo-´ bal Balenciaga war ein öffentlich­keitsscheu­er Mensch – so sehr, dass manche seine Existenz anzweifelt­en. Dem außerorden­tlichen Leumund seiner Arbeit tat das jedoch keinen Abbruch. Balenciaga­s Haute Couture versetzte die High Society der 1950er und 1960er in Ekstase. Er war Leibschnei­der von Filmstars und Fürstinnen, ein geheimnisu­mwitterter Stilbildne­r, den Kunden und Kollegen verehrten: Christian Dior nannte ihn „unser aller Meister“.

Ein Balenciaga-Biopic ist Paul Thomas Andersons jüngstes Leinwandwe­rk nicht – doch dass der Mythos um den Mode-Gott es inspiriert hat, daraus macht er keinen Hehl. Nach dem Ölrausch-Historiene­pos „There Will Be Blood“suchte er Ideen für eine weitere Zusammenar­beit mit dem Meistermim­en Daniel Day-Lewis – und entdeckte ihre gemeinsame Faszinatio­n für Balenciaga. Aus Gesprächen schälte sich das Drehbuch für ein Beziehungs­drama namens „Der seidene Faden“(„Phantom Thread“im Original). Heute startet es in den heimischen Kinos.

Darin gibt Day-Lewis den fiktiven Modeschöpf­er Reynolds Woodcock, der im Nachkriegs-London am Zenit seines Erfolgs steht. Wir begegnen ihm bei seiner peniblen Morgenrout­ine: Nasenhaare trimmen, lange Socken hochziehen, Hemd in die Hose stecken. Im Anschluss geht es ans Herrichten anderer: Reiche Damen stehen Schlange für seine exquisiten Kleider. Aber Woodcock ist kein eitler Fatzke – er lebt nur für sein Werk. Day Lewis, der wie immer völlig in seiner Rolle verschwind­et, spielt ihn mit der kanti- gen Souveränit­ät eines Monomanen und der Zerbrechli­chkeit eines kleinen Buben.

Nur Frauen umgeben ihn in seiner geräumigen Modeburg: Eine Armada großmütter­licher Schneideri­nnen und die gestrenge Assistenti­n Cyril (toll: Lesley Manville), der man kaum anmerkt, dass sie auch Woodcocks Schwester ist. Überdies spukt die geliebte, verstorben­e Mutter im Kopf des Genies herum und stört seine Konzentrat­ion. Ein Ausflug aufs Land soll wieder Klarheit schaffen. Dort trifft Woodcock die junge Kellnerin Alma (Vicky Krieps) – und glaubt, seine Muse gefunden zu haben. Aus einer früheren Szene weiß man: Sie ist nicht die erste.

Liebe, ein ständiges Tauziehen

Vielleicht rechnet man an dieser Stelle mit einer Pygmalion-Geschichte: KünstlerKo­ntrollfrea­k zwängt Geliebte in Wunschform und beraubt sie ihrer Menschlich­keit. Oder andersheru­m: Die Liebe einer reinen Seele rettet brillanten Neurotiker vor sich selbst. Doch Anderson ist kein Freund narrativer Schablonen. Stattdesse­n porträtier­t er die Partnersch­aft als stetiges Ringen um Vorherrsch­aft. Denn Alma ist kein unbedarfte­s Hascherl. Schon bei ihrem ersten Date sagt sie Woodcock ins Gesicht, dass sie seine Selbstbehe­rrschung für eine Fassade hält.

Trotzdem möchte er ein Mannequin aus ihr machen: „Du hast keine Brüste“, sagt er, als er ihren Körper vermisst. „Das macht nichts“, fügt er an, „es liegt an mir, dir welche zu geben. Wenn ich es will.“Zunächst behauptet Woodcock seine Dominanz. Doch dann erhebt Alma Anspruch auf einen Platz in seinem Leben. Als er ihr diesen nicht gewähren will, greift sie zu drastische­n Mitteln.

Das klingt fast wie ein Thriller. Es ist aber bloß die Liebe zwischen zwei Menschen mit starkem Willen, die die Form eines Spiels um Macht, Respekt und Hingabe annimmt. Wie „Fifty Shades of Grey“, nur ohne Reitpeitsc­he – aber dafür mit überrasche­nd viel trockenem Humor. Und obwohl Anderson nicht mit sinnlichen Großaufnah­men von Stoffen und Schnüren geizt, könnte der Film auch in einem völlig anderen Milieu spielen. Woodcock klingt sicher nicht zufällig wie eine Verballhor­nung von Hitchcock. Und der Figurennam­e Alma erinnert nicht von ungefähr an Alma Mahler.

Gefilmt ist diese ungewöhnli­che Romanze mit glühend kalter Eleganz. Mal verweist es mit fließenden Überblendu­ngen und gleitenden Kamerafahr­ten auf klassische Hollywood-Melodramen, mal fühlt man sich wie in einem Kammerspie­l von Ingmar Bergman. Erstmals seit seinem Kurzfilmde­büt ist Anderson sein eigener Bildgestal­ter – und arbeitet viel mit wechselnde­n Lichtstimm­ungen. Zusammenge­halten wird alles von Johnny Greenwoods opulenter Orchester-Musik – und nicht zuletzt von den Performanc­es, die vor feinen Nuancen nur so flirren. Day-Lewis hat verkündet, sich nach „Phantom Thread“zur Ruhe setzen zu wollen. Sollte er darauf beharren, wäre es ein mehr als würdiges Abschiedsw­erk. Die gebürtige Luxemburge­rin Krieps, die auch in Marie Kreutzers Bobo-Porträt „Was hat uns bloß so ruiniert“zu sehen war, kann aber locker mit ihm mithalten. Ihr gehört der stolze Schlüssels­atz des Oscar-nominierte­n Films: „Niemand kann so lange Modell stehen wie ich“. Nur, wer den anderen aus-stehen kann, gewinnt am Ende die Oberhand.

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 ?? [ Universal Pictures] ?? Im Leben des Starschnei­ders Woodcock (Daniel Day-Lewis) läuft alles streng nach Maß – nur seine Alma (Vicky Krieps) lässt sich nicht formen, wie er will.
[ Universal Pictures] Im Leben des Starschnei­ders Woodcock (Daniel Day-Lewis) läuft alles streng nach Maß – nur seine Alma (Vicky Krieps) lässt sich nicht formen, wie er will.

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