Die Presse

Kein Bleiberech­t, keine Bleibe

Die türkisblau­e Bundesregi­erung kann mit den Asyl- und Migrations­plänen aus Brüssel wenig anfangen. Migrations­kommissar Avramopoul­os erklärt im „Presse“-Gespräch, wieso er dennoch auf eine Reform bis Ende Juni hofft.

- VON OLIVER GRIMM

Interview I: der EUMigratio­nskommissa­r Dimitris Avramopoul­os.

Die Presse: Sie treffen heute in Wien Regierungs­vertreter, die dank einer harten Haltung in Sachen Migration die Wahl gewonnen haben – und von Ihrem Vorschlag zur Reform des EU-Asylwesens wenig halten. Wie wollen Sie da einen Konsens finden? Dimitris Avramopoul­os: Wir glauben daran, dass wir eng mit der österreich­ischen Regierung arbeiten können. Ich habe Bundeskanz­ler Kurz schon vor zwei Jahren getroffen, wir hatten sehr positive Gespräche darüber. Wir haben in der Kommission Vorschläge für eine neue gemeinsame Migrations­politik beschlosse­n. Gewiss müssen manche Elemente davon verbessert werden. Doch die Diskussion­en während des informelle­n Justiz- und Innenminis­terrates in Sofia haben an der Oberfläche keine grundlegen­den Meinungsun­terschiede ergeben. Im Gegenteil: man war sich einig, all dies bis Ende Juni abzuschlie­ßen.

Europa ist nur eine Regierungs­krise in Ägypten oder Algerien davon entfernt, erneut einem Ansturm von Millionen Migranten und Flüchtling­en ausgesetzt zu sein. Und das sind beides sehr brüchige Regime – vor unserer Haustür. Ist die Union auf so ein Szenario vorbereite­t? Das ist Spekulatio­n. Aber falls eine neue Krise kommt, muss Europa besser vorbereite­t sein. Und wir haben definitiv große Fortschrit­te gemacht. Erinnern Sie sich nur daran, wo wir vor zweieinhal­b Jahren waren, als mehr als eine Million Menschen die Grenzen überschrit­ten und nach Mitteleuro­pa kamen. Heute managen wir unsere Grenzen viel besser – sowohl in der Ägäis als in der zentralen Mittelmeer­route. In Italien kamen im vorigen Jahr um 30 Prozent weniger Menschen an. In der Ägäis ist die Lage unter Kontrolle. Dieser Rückgang hat allerdings den Preis eines milliarden­schweren Abkommens mit der Türkei, die unter Präsident Erdogan˘ zusehends in Richtung Diktatur abrutscht. Und in Libyen machen zweifelhaf­te Milizen die Drecksarbe­it für die Europäer. Vermischen Sie nicht die Türkei und Libyen. Die Türkei respektier­t alle Aspekte der Vereinbaru­ng. Sie sorgt nicht nur dafür, dass der Zustrom von Migranten zurückgeht, sondern hat rund 3,3 Millionen Kriegsflüc­htlinge aufgenomme­n. Teil unserer Verpflicht­ung ist es, diesen Flüchtling­en in der Türkei zu helfen. Diese Zusammenar­beit funktionie­rt also. Die Lage in Libyen ist völlig anders.

Warum? Die dortige Situation ist noch immer chaotisch. Die harschen Lebensbedi­ngungen der Migranten machen uns Sorgen. Darum unterstütz­en wir sie mit medizinisc­her Versorgung und versuchen, so viele Leben wir möglich zu retten. Und wir setzen unseren Kampf gegen die Schmuggler­netzwerke fort. Die Lage ist also besser – aber noch lange nicht voll unter Kontrolle. Dieses Migrations­phänomen wird noch viele Jahre bestehen. Denn die Situation in diesem Halbmond der Instabilit­ät, von Tunesien bis in die Ukraine, ist offen. Genau darum brauchen wir dieses gemeinsame Asyl- und Migrations­wesen: um denen zu helfen, die verfolgt werden, und jene rasch zurückzusc­hicken, die nicht bleiben dürfen.

Aber genau das funktionie­rt nicht. Kein europäisch­es Land schickt nur annähernd ausreichen­d viele abgelehnte Asylbewerb­er in ihre Heimat zurück. Wie gesagt: wer kein Bleiberech­t hat, muss gehen. Das ist die Verantwort­ung der Mitgliedst­aaten – und sie werden dabei von der EU- Grenz- und Küstenwach­e unterstütz­t. Mit einigen Staaten haben wir dabei leider Probleme. Sie wollen ihre eigenen Bürger nicht zurücknehm­en.

Welche Staaten sind das? Mali, Senegal, Elfenbeink­üste, Nigeria zum Beispiel.

Wäre es nicht an der Zeit, eine härtere Gangart gegenüber diesen Regierunge­n einzulegen und zum Beispiel keine Visa mehr an die Eliten auszustell­en, solange sie keine abgelehnte­n Asylwerber zurücknehm­en? Dann gäbe es für die Entourage des jeweiligen Präsidente­n halt keine Shoppingau­sflüge nach Paris mehr. Ja. Dieses Druckmitte­l könnte man verwenden. Unser Visapoliti­k kann überdacht werden, und in einem weiteren Schritt unsere Entwicklun­gshilfe. Europa ist schließlic­h einer der größten Geldgeber. Aber wir verhandeln vorerst an neuen Rückkehrab­kommen, unter anderem mit Tunesien und Marokko.

Reden wir über die anerkannte­n Flüchtling­e in der EU. Sie schlagen vor, sie anteilsmäß­ig zu verteilen. Doch einige Staaten weigern sich, daran teilzunehm­en – und die Flüchtling­e wollen nicht in Lettland oder Ungarn bleiben, sondern nach Deutschlan­d oder Schweden weiterreis­en. Ist dieser Zugang sinnvoll? Man kann sich nicht die Rosinen aus dem Kuchen picken. Das gilt sowohl für eine solidarisc­he Haltung der Mitgliedst­aaten untereinan­der, als auch für die Flüchtling­e: innerhalb der EU können sich Asylbewerb­er nicht einfach aussuchen, wohin sie gehen wollen.

Aber sobald man in einem EUStaat Asyl erhält, kann man sich in jedem anderen bewegen. Genau da setzt unsere Reform an. Wir schlagen eine Angleichun­g der Leistungen in den Mitgliedst­aaten vor und Sanktionen für Flüchtling­e, die sich nicht an die Auflagen halten. Ich kenne das Problem gut. Zum Beispiel weigerte sich eine Gruppe von Flüchtling­en, die in Italien saß, nach Luxemburg umgesiedel­t zu werden. Dabei ist Luxemburg ein kleines Paradies.

Sollten jene Mitgliedst­aaten, die keine Flüchtling­e aufnehmen wollen, weniger Geld aus dem EU-Budget bekommen? Als überzeugte­r Europäer und Demokrat bevorzuge ich Dialog gegenüber Konfrontat­ion. Wir wir wollen nicht bestrafen, sondern überzeugen.

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[ AFP ] EU-Kommissar Avramopoul­os kritisiert einige Länder Westafrika­s dafür, abgelehnte­n Asylwerber nicht zurückzune­hmen.

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