Kein Bleiberecht, keine Bleibe
Die türkisblaue Bundesregierung kann mit den Asyl- und Migrationsplänen aus Brüssel wenig anfangen. Migrationskommissar Avramopoulos erklärt im „Presse“-Gespräch, wieso er dennoch auf eine Reform bis Ende Juni hofft.
Interview I: der EUMigrationskommissar Dimitris Avramopoulos.
Die Presse: Sie treffen heute in Wien Regierungsvertreter, die dank einer harten Haltung in Sachen Migration die Wahl gewonnen haben – und von Ihrem Vorschlag zur Reform des EU-Asylwesens wenig halten. Wie wollen Sie da einen Konsens finden? Dimitris Avramopoulos: Wir glauben daran, dass wir eng mit der österreichischen Regierung arbeiten können. Ich habe Bundeskanzler Kurz schon vor zwei Jahren getroffen, wir hatten sehr positive Gespräche darüber. Wir haben in der Kommission Vorschläge für eine neue gemeinsame Migrationspolitik beschlossen. Gewiss müssen manche Elemente davon verbessert werden. Doch die Diskussionen während des informellen Justiz- und Innenministerrates in Sofia haben an der Oberfläche keine grundlegenden Meinungsunterschiede ergeben. Im Gegenteil: man war sich einig, all dies bis Ende Juni abzuschließen.
Europa ist nur eine Regierungskrise in Ägypten oder Algerien davon entfernt, erneut einem Ansturm von Millionen Migranten und Flüchtlingen ausgesetzt zu sein. Und das sind beides sehr brüchige Regime – vor unserer Haustür. Ist die Union auf so ein Szenario vorbereitet? Das ist Spekulation. Aber falls eine neue Krise kommt, muss Europa besser vorbereitet sein. Und wir haben definitiv große Fortschritte gemacht. Erinnern Sie sich nur daran, wo wir vor zweieinhalb Jahren waren, als mehr als eine Million Menschen die Grenzen überschritten und nach Mitteleuropa kamen. Heute managen wir unsere Grenzen viel besser – sowohl in der Ägäis als in der zentralen Mittelmeerroute. In Italien kamen im vorigen Jahr um 30 Prozent weniger Menschen an. In der Ägäis ist die Lage unter Kontrolle. Dieser Rückgang hat allerdings den Preis eines milliardenschweren Abkommens mit der Türkei, die unter Präsident Erdogan˘ zusehends in Richtung Diktatur abrutscht. Und in Libyen machen zweifelhafte Milizen die Drecksarbeit für die Europäer. Vermischen Sie nicht die Türkei und Libyen. Die Türkei respektiert alle Aspekte der Vereinbarung. Sie sorgt nicht nur dafür, dass der Zustrom von Migranten zurückgeht, sondern hat rund 3,3 Millionen Kriegsflüchtlinge aufgenommen. Teil unserer Verpflichtung ist es, diesen Flüchtlingen in der Türkei zu helfen. Diese Zusammenarbeit funktioniert also. Die Lage in Libyen ist völlig anders.
Warum? Die dortige Situation ist noch immer chaotisch. Die harschen Lebensbedingungen der Migranten machen uns Sorgen. Darum unterstützen wir sie mit medizinischer Versorgung und versuchen, so viele Leben wir möglich zu retten. Und wir setzen unseren Kampf gegen die Schmugglernetzwerke fort. Die Lage ist also besser – aber noch lange nicht voll unter Kontrolle. Dieses Migrationsphänomen wird noch viele Jahre bestehen. Denn die Situation in diesem Halbmond der Instabilität, von Tunesien bis in die Ukraine, ist offen. Genau darum brauchen wir dieses gemeinsame Asyl- und Migrationswesen: um denen zu helfen, die verfolgt werden, und jene rasch zurückzuschicken, die nicht bleiben dürfen.
Aber genau das funktioniert nicht. Kein europäisches Land schickt nur annähernd ausreichend viele abgelehnte Asylbewerber in ihre Heimat zurück. Wie gesagt: wer kein Bleiberecht hat, muss gehen. Das ist die Verantwortung der Mitgliedstaaten – und sie werden dabei von der EU- Grenz- und Küstenwache unterstützt. Mit einigen Staaten haben wir dabei leider Probleme. Sie wollen ihre eigenen Bürger nicht zurücknehmen.
Welche Staaten sind das? Mali, Senegal, Elfenbeinküste, Nigeria zum Beispiel.
Wäre es nicht an der Zeit, eine härtere Gangart gegenüber diesen Regierungen einzulegen und zum Beispiel keine Visa mehr an die Eliten auszustellen, solange sie keine abgelehnten Asylwerber zurücknehmen? Dann gäbe es für die Entourage des jeweiligen Präsidenten halt keine Shoppingausflüge nach Paris mehr. Ja. Dieses Druckmittel könnte man verwenden. Unser Visapolitik kann überdacht werden, und in einem weiteren Schritt unsere Entwicklungshilfe. Europa ist schließlich einer der größten Geldgeber. Aber wir verhandeln vorerst an neuen Rückkehrabkommen, unter anderem mit Tunesien und Marokko.
Reden wir über die anerkannten Flüchtlinge in der EU. Sie schlagen vor, sie anteilsmäßig zu verteilen. Doch einige Staaten weigern sich, daran teilzunehmen – und die Flüchtlinge wollen nicht in Lettland oder Ungarn bleiben, sondern nach Deutschland oder Schweden weiterreisen. Ist dieser Zugang sinnvoll? Man kann sich nicht die Rosinen aus dem Kuchen picken. Das gilt sowohl für eine solidarische Haltung der Mitgliedstaaten untereinander, als auch für die Flüchtlinge: innerhalb der EU können sich Asylbewerber nicht einfach aussuchen, wohin sie gehen wollen.
Aber sobald man in einem EUStaat Asyl erhält, kann man sich in jedem anderen bewegen. Genau da setzt unsere Reform an. Wir schlagen eine Angleichung der Leistungen in den Mitgliedstaaten vor und Sanktionen für Flüchtlinge, die sich nicht an die Auflagen halten. Ich kenne das Problem gut. Zum Beispiel weigerte sich eine Gruppe von Flüchtlingen, die in Italien saß, nach Luxemburg umgesiedelt zu werden. Dabei ist Luxemburg ein kleines Paradies.
Sollten jene Mitgliedstaaten, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, weniger Geld aus dem EU-Budget bekommen? Als überzeugter Europäer und Demokrat bevorzuge ich Dialog gegenüber Konfrontation. Wir wir wollen nicht bestrafen, sondern überzeugen.