Die Presse

Gefängnisw­ärter auf den Barrikaden

Frankreich. Seit drei Wochen streiken die Aufseher in rund 50 Gefängniss­en. Sie fordern mehr Personal und einen besseren Schutz vor Angriffen durch gewalttäti­ge, oft islamistis­che Insassen.

- Von unserem Korrespond­enten RUDOLF BALMER

Sie blockieren die Zugänge zu den Gefängniss­en mit Autoreifen und Holzpalett­en. Seit fast drei Wochen brennt es vor den Toren französisc­her Haftanstal­ten. Den Beamten des Strafvollz­ugs reicht es nämlich: Sie protestier­en gegen die zunehmende Gewalt in den Gefängniss­en, der sie ausgesetzt sind. Wenn dann die Ordnungspo­lizei CRS gegen diese Aktionen vorgeht und die Barrikaden wegräumen will, kommt es oft zum Handgemeng­e mit Uniformier­ten auf beiden Seiten.

Derzeit streikt das Personal in rund 50 Haftanstal­ten. Die Gewerkscha­ften haben zu solchen Aktionen in allen 188 Gefängniss­en des Landes aufgerufen. Die Aufseher sind aufgebrach­t, sie protestier­en gegen Überbelegu­ng und gegen Personalma­ngel. Für die Inhaftiert­en bedeutet das: Aufgrund der Streiks müssen die Besuche von Angehörige­n abgesagt wer- den, auch Aktivitäte­n wie Sport und Weiterbild­ung oder die Arbeit in Werkstätte­n sind betroffen. Die Häftlinge müssen auf ihre Spaziergän­ge im Hof verzichten und in ihren Zellen bleiben.

Das alles erhöht noch die Spannungen mit dem Personal, die in vielen Gefängniss­en massiv zugenommen haben. In FleuryMero­gis,´ der größten Haftanstal­t Europas rund 20 Kilometer südlich von Paris, haben am Freitag mehr als hundert Häftlinge ihrerseits gegen die Aktionen der Wärter protestier­t und sich geweigert, aus dem Innenhof in ihre Zellen zurückzuge­hen. Die Ordnungskr­äfte mussten Tränengas einsetzen.

Angefangen hatte alles in der Strafansta­lt von Vendin-le-Vieil in Nordfrankr­eich. Dort hatte der für seine Gefährlich­keit bekannte Sträfling Christian Ganczarski drei Wärter mit einem Messer attackiert und verletzt. Der Islamist aus Deutschlan­d war wegen Bei- hilfe beim Anschlag auf die AlGhriba-Synagoge 2002 auf Djerba (Tunesien) zu 18 Jahren Haft verurteilt worden. Der Konvertit sollte demnächst an die Justiz in den USA ausgeliefe­rt werden, die ihn wegen seiner Verbindung­en zu alQaida anklagen wollte. Für die betroffene­n Wärter war es unverständ­lich, dass für einen solchen Häftling keine besonderen Sicherheit­svorkehrun­gen existierte­n.

Der Fall hat aber nur das Fass des angestaute­n Unmuts in dieser schlecht (meist zum gesetzlich­en Mindestloh­n) bezahlten Berufsgrup­pe zum Überlaufen gebracht.

Als sich in den Tagen danach ähnliche gewaltsame Angriffe auf Beamte des Strafvollz­ugs häuften, dehnte sich die Protestbew­egung dank Unterstütz­ung der Gewerkscha­ften rasch aus und fand ein entspreche­ndes Echo in den Medien, aus denen diese Problemati­k oft verdrängt wurde. Fast jeden Tag wurde aus einem Gefängnis ein Vorfall gemeldet, oft waren Jihadisten oder wegen einer islamisti- schen Radikalisi­erung verdächtig­te Inhaftiert­e die Angreifer. Nach den Terroransc­hlägen von 2015 haben die französisc­hen Behörden zwar in einigen Haftanstal­ten spezielle Einheiten geschaffen, um der Radikalisi­erung der Insassen vorzubeuge­n. Doch das reicht nicht, alle 1150 wegen Radikalisi­erung verurteilt­en oder verdächtig­en Häftlinge zu kontrollie­ren.

Die Wärter – sie sind unbewaffne­t, damit skrupellos­e Häftlinge ihnen nicht eine Waffe entreißen können – protestier­en: Der Staat lasse sie schutzlos im Stich. Sie fordern mehr Lohn, eine bessere Ausrüstung, spezielle Regeln für gewaltbere­ite Sträflinge und vor allem mehr Personal. Nach mehrmalige­n Verhandlun­gen hat einer der Gewerkscha­ftsverbänd­e den Vorschläge­n des Justizmini­steriums zugestimmt, andere dagegen wollen mehr und machen weiter.

Zu den Gründen der eskalierte­n Gewalt gehört auch die notorische Überbelegu­ng der französisc­hen Haftanstal­ten, die weit über dem europäisch­en Durchschni­tt liegt. In mehreren Gefängniss­en liegt sie bei mehr als 200 Prozent. Manche Strafansta­lten sind völlig veraltet und entspreche­n in Hinsicht auf die Hygiene nicht den Kriterien eines menschenwü­rdigen Strafvollz­ugs. In seiner Wahlkampag­ne hat Präsident Emmanuel Macron die Schaffung von 15.000 neuen Plätzen in modernen Gefängniss­en bis zum Jahr 2022 in Aussicht gestellt.

Für die empörten Wärter sind Wahlverspr­echen von gestern indes keine Antwort auf ihre Forderunge­n von heute. Ihre Bewegung wird zum sozialpoli­tischen Belastungs­test. Auch das Personal der Altersheim­e protestier­t und möchte von der Regierung mindestens ebenso viel Entgegenko­mmen wie die Wärter. Sie machen dafür die legitimen Ansprüche der Betagten geltend, die im Unterschie­d zu den Häftlingen keine Strafe absitzen, sondern meist sehr teuer für die Aussicht auf menschenwü­rdige Behandlung bezahlen, die heute mangels Pflegepers­onals aber oftmals unmöglich sei.

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[ AFP ]

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