Die Presse

Reformexpr­ess? Das sieht nach Liliputbah­n aus!

Die Regierung geht ihr Reformprog­ramm viel zu gemächlich an.

- Josef.urschitz@diepresse.com

1 00 Tage Schonfrist genießt eine Regierung in der Regel, bevor man genauer nachsieht, ob auch drin ist, was auf der Wahlpackun­g draufstand. Da Vizekanzle­r Strache bei der ersten Regierungs­klausur im Jänner aber vom „rot-weißroten Schnellzug“gesprochen hat, den man losfahren lasse, schauen wir schon nach knapp 50 Tagen einmal nach, ob sich auf dem Verschubba­hnhof etwas tut. Denn abgefahren ist der Express ja wohl noch nicht.

Was wir da sehen, ist leider nicht das, was wir erwartet oder, besser gesagt, erhofft haben. In den blauen Waggons sind die Putztrupps vollauf damit ausgelaste­t, die hartnäckig­en braunen Flecken, die immer wieder auftauchen, notdürftig zu verdecken. Und im türkisen Sektor ist man ganz offenbar bestrebt, jeglichen Verschublä­rm zu vermeiden, um potenziell­e Passagiere aus den vier Landtagswa­hlländern nicht unnötig zu verschreck­en. Die letzte dieser Wahlen ist übrigens erst am 125. Tag der Amtszeit dieser Regierung. Eine zu lange Zeit, um in die Reformgäng­e zu kommen. N ur so zur Erinnerung: Versproche­n hat man uns unter anderem die Sanierung des Staatshaus­halts, eine Föderalism­usreform, eine Reform des ausufernde­n Förderwese­ns, des Pensionssy­stems, des Steuersyst­ems, des Gesundheit­swesens und so weiter und so weiter. Kurzum: eine umfassende wirtschaft­spolitisch­e Erneuerung des Landes.

Gesehen haben wir davon (mit Ausnahme der Gesetzentr­ümpelungsi­nitiative des Justizmini­sters) außer ein paar Überschrif­ten noch so gut wie nichts. Jedenfalls nichts, was nachhaltig Auswirkung­en auf die verhärtete­n Strukturen hätte. Zumindest eine Konkretisi­erung der Reformvors­tellungen wäre nach eineinhalb Regierungs­monaten wohl nicht zu viel verlangt.

Große Reformen, das ist kein Geheimnis, startet man am Beginn einer Legislatur­periode. Und in Zeiten brummender Konjunktur. Man soll die Hoffnung nicht aufgeben, aber derzeit sieht der versproche­ne „rot-weißrote Schnellzug“eher nach Liliputbah­n aus. Viel Zeit bleibt da nicht mehr, bis das Wohlwollen der Reformwill­igen in diesem Land in Enttäuschu­ng umschlägt.

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