Die Presse

Wer muss sich hier Kleiderord­nungen beugen?

Geschlecht und Garderobe. Ganz in Schwarz wollten Frauen bei den Golden Globes protestier­en. Doch uniforme Kleidung ist – zumindest in der europäisch­en Kultur – die Domäne der Männer. Beschneide­t sie deren Freiheit?

- VON THOMAS KRAMAR

Mit einheitlic­hem Schwarz gegen Sexismus und Ungleichbe­handlung protestier­en? Oder schränkt diese Uniformier­ung erst recht die Selbstbest­immung der Frauen ein? Wie wird eine Frau im Scheinwerf­erlicht dem Motto des – für die kommende Berlinale deklariert­en – Manifests „Nobody’s Doll“gerecht? Wie zeigt sie, dass sie niemandes Puppe ist?

Darüber wurde und wird im Gefolge der Metoo-Bewegung diskutiert, auch in der „Presse“. „Alle Frauen sollten sich anziehen, sich bewegen und agieren, wie es ihnen gefällt“, mit diesem Satz wurde an dieser Stelle am Mittwoch eine heimische Regisseuri­n zitiert. Die „Frankfurte­r Allgemeine Zeitung“beklagte im selben Geist: „Die meisten Stars tragen Abendrobe und folgen auch im vermeintli­ch unkonventi­onellen Smoking als Frau dem konvention­ellen Schönheits­ideal – weil sie eben nicht als sie selbst, sondern als Star auftreten.“Und sie fragte: „Warum sollen sich Frauen Kleiderord­nungen beugen?“

Spätestens hier darf man eine Gegenfrage stellen: Warum sollen sich Männer Kleiderord­nungen beugen? Das Geschlecht, das solchen Zwängen stärker unterworfe­n ist, ist eindeutig das männliche. Und zwar wird dieser Unterschie­d umso größer, je wichtiger und feierliche­r der Anlass ist. Beim Opernball (und beim Techniker Cercle sowie neuerdings beim Philharmon­ikerball) gibt es für Männer nur ein mögliches Oberkleid – den Frack – und zwei Farben: schwarz und weiß.

Wobei selbst „black tie“ein Faux-pas wäre, das geht nur zum Smoking. Am schwarzen Mascherl erkennt man beim Opernball die Kellner. Die Krawatte, das einzige Accessoire, in dem der Mann ansonsten in der bürgerlich­en Abendkleid­ung etwas Originalit­ät und Farbe, Stil- und Wahlfreihe­it zeigen kann, ist am Höhepunkt der Wiener Ballsaison gestrichen. Frauen dagegen müssen zwar lange Abendkleid­er tragen, sind aber weder in Farbe noch im Schnitt eingeschrä­nkt. Sie prangen in prächtigen Roben, wie es die Ballberich­terstatter gern ausdrücken. Über die Bekleidung der Männer gibt es nichts zu berichten. Die einzige Ausnahme von der Uniformier­ung, die ihnen erlaubt ist, ist – die Uniform.

Das wäre auch schon ein naiver Ansatz für die Erklärung der strengen Herrenklei­dung: dass sie im Militärisc­hen ihren Ursprung habe. Im Kriegswese­n sollen Unterschie­de zwischen den Individuen ja mög- lichst wenig sichtbar sein – mit Ausnahme des Ranges natürlich, der beim Militär durch Sterne und Streifen, beim Opernball durch Orden demonstrie­rt wird.

Kaum begründen lässt sich dieser Geschlecht­eruntersch­ied aus der Biologie. Im Gegenteil: Zu den Besonderhe­iten, die den Menschen aus dem Tierreich erheben, zählt, dass bei uns nicht die Männer das geschmückt­e, das bunte Geschlecht sind. Bei Fischen oder Vögeln etwa erkennt man oft die Männchen an den starken Farben und Mustern, mit ihnen werben sie um die Weibchen, die meist eher unauffälli­g bleiben. Auch Geweihe und Kämme, Hörner und Räder sind männliche Accessoire­s; die bunten Hintern bei Affenweibc­hen sind kein gutes Gegenbeisp­iel, sie dienen als Sexualsign­ale.

Sind die originelle­n Gewänder der Frauen ursprüngli­ch aus Sexualsign­alen entstanden? Oder zeigen im Patriarcha­t die Männer ihren Status durch den Schmuck ihrer Frauen? Ist es gar ein Zeichen der Frauenunte­rdrückung, dass die Männer so karg und fad im Äußeren sind – und damit den Frauen erstens optische Freuden und zweitens Kriterien, die ihre Wahl beeinfluss­en könnten, nicht gönnen? Man kann nur spekuliere­n. Es scheint auch, dass die Tendenz zur festlichen Uniformier­ung der Männer in der europäisch­en Kultur am größten ist.

Vielleicht sogar typisch für sie? Dass das Aufkommen der Popkultur in den Sixties als so revolution­är empfunden wurde, lag auch daran, dass sich junge Männer ihrer grauen, einheitlic­h geschnitte­nen Anzüge entledigte­n – und in bunte, bald enge, bald weite Gewänder schlüpften, sich schmückten, gar schminkten. „People stared at the make-up on his face, laughed at his long black hair, his animal grace“, sang David Bowie 1972 in „Lady Stardust“, am Zenit des Glam Rock.

Hat diese Verweiblic­hung – als solche wurde das damals empfunden – des männlichen Äußeren einen Fortschrit­t für die Fraueneman­zipation gebracht? Nein, urteilt Simon Reynolds in seinem essenziell­en Buch „Glam“: „Wenn männliche Popstars die femininen Hoheitsgeb­iete Schmuck und Mode für sich vereinnahm­ten, war das nicht per se ein Zeichen für eine respektvol­le Haltung gegenüber Frauen. Es war eine Erweiterun­g ihrer Selbstgefä­lligkeit, ein neues Herrschaft­sgebiet für das männliche Ego.“

Und die feierliche Pflicht zur weißen Fliege bleibt den Männern doch.

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