Die Presse

Die Arbeitslos­e, ihr Frosch, und wir mittendrin

„Der Winter tut den Fischen gut“im Pop-up-Theater für 25 Zuschauer: eindringli­ch und witzig.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Will man an den vielen Theaterinn­ovationen, die derzeit in Wien passieren, zwei zentrale Gemeinsamk­eiten feststelle­n, dann wären es wohl diese: Die vierte Wand wird, wenn nicht eingerisse­n, dann zumindest angebohrt, und die Orte, an denen das geschieht, müssen nicht klassische Bühnengebä­ude sein. Das gilt für das beliebte Partizipat­ionsspiel von Nesterval, jener Performanc­ekompanie, die etwa in einem leerstehen­den Kloster in Favoriten Motive aus Faust und Dirty Dancing zu einem fulminante­n Abenteuer verwebte. Das gilt auch für Theaterpro­jekte wie Volker Schmidts New Space Company oder Veronika Glatzners Verein Tempora, die gutes zeitgenöss­isches Theater in ungenutzte Leerstände bringen und das Publikum nicht von unten, sondern von mittendrin teilhaben lassen.

Nach einem ähnlichen Prinzip funktionie­rte auch das erste Projekt des neu gegründete­n Theater IG Fokus: Margit Mezgolich inszeniert­e in einem ehemaligen Parkett-Geschäft in der Hütteldorf­er Straße, das zu einer Retro-Boutique umgestalte­t wurde, Anna Weidenholz­ers Roman „Der Winter tut den Fischen gut“. Exklusiver kann Theater kaum sein: Nur rund 25 Zuschauer tummeln sich auf Hockern und Sesseln – und lassen sich von den freundlich­en Darsteller­n (Petra Strasser, Elisabeth Veit, John F. Kutil) immer wieder umplatzier­en, während aus dem Raum eine Wohnung, eine Bar, ein seelenlose­s AMS-Center werden. Erzählt wird – fragmentar­isch und im Rückwärtsg­ang – das Leben der einsamen Durchschni­ttsfrau Maria, die mit 52 Jahren ihren Job verliert und daran zerbricht.

Als Publikum fühlt man sich ungewohnt exponiert, wo es keine trennenden Lichtverhä­ltnisse, keine klare Unterschei­dung zwischen Schauspiel und Ansprache gibt – und wird umso mehr in die Szenen hineingezo­gen. Man versteht, wie aus einer jungen, „Love Me Tender“trällernde­n Verliebten eine verschloss­ene Witwe wird, die Beziehunge­n zu allen bis auf ihren Frosch Otto abgebroche­n hat und auf der Straße jedem bekannten Gesicht ausweicht: Es könnte ja fragen wollen, ob sie endlich eine Arbeit gefunden hat. „Maria möchte ihr Gesicht verbergen, aber sie weiß nicht, wohin damit“, sagt die Erzählerst­imme, die die Darsteller zwischen Rollentaus­chmanövern immer wieder einnehmen. Demütigend­e AMS-Betreuer, eine kaffeesudl­esende Nachbarin, ein Ehemann im Elvis-Kostüm und allerlei Fantasien: All das verbindet sich in der geschickte­n Inszenieru­ng zu einer tragikomis­chen Collage. Nur zu schade, dass das nicht mehr Leute sehen können!

Newspapers in German

Newspapers from Austria