Die Presse

Der nullte Nerv bringt die Angst vor zuviel CO2

Was warnt uns vor Kohlendiox­id? An Zebrafisch­en fanden japanische Forscher einen Signalweg.

- VON THOMAS KRAMAR

Auch wenn es noch so oft – Klimawande­l! – im bedrohlich­en Kontext vorkommt: Kohlendiox­id (CO2) ist im Gegensatz zu Kohlenmono­xid (CO) kein Gift. Wenn ein Weinbauer im Keller im Kohlendiox­id erstickt, dann nicht, weil es ihn vergiftet, sondern weil es schwerer ist als Sauerstoff und diesen quasi von unten verdrängt.

Genau aus diesem Grund sind hohe CO2-Konzentrat­ionen gefährlich – und ist es sinnvoll, Warnvorric­htungen gegen sie zu entwickeln. Tatsächlic­h kann zuviel CO2 bei Tieren und auch bei Menschen Panikreakt­ionen auslösen, die aber zumindest bei uns (Weinkeller!) nicht sehr zuverlässi­g scheinen. Und man weiß erstaunlic­h wenig über sie. Aus Experiment­en an Mäusen lernte man, dass sie zumindest teilweise über Sensoren (namens ASIC1a) laufen, die im Grunde auf Sinken des pH-Werts (also auf steigenden Säuregrad) reagieren und direkt in der Amygdala – plakativ gesagt: dem Angstzentr­um des Hirns – aktiv sind.

Auch Fische empfinden größere Mengen an CO2 offenbar als unangenehm, verständli­cherweise: Auch sie müssen Sauerstoff atmen, und dieser wird auch im Wasser von CO2 verdrängt. So reagieren Larven von Zebrafisch­en – in der Forschung ob ihrer Durchsicht­igkeit sehr beliebt – auf Wasserregi­onen mit viel CO2, indem sie die Schwimmric­htung ändern.

Diese Reaktion ist viel langsamer als die auf eine Berührung des Kopfes, aber sie ist zuverlässi­g. Japanische Hirnforsch­er fanden nun mit teils chirurgisc­hen Methoden heraus, dass die Reaktion auf CO2 bei diesen Fischen über die Nase (respektive Riechgrube) läuft, nicht aber über den Signalweg, über den Gerüche laufen. Sondern über Chemosenso­ren, die am Nervus terminalis, auch nullter Hirnnerv genannt, sitzen (Cell Reports, 22, S. 1).

Dieser Nerv heißt nicht nur mysteriös, seine Funktion ist auch recht schlecht erforscht. Beim Menschen ist er so zart, dass er erst 1913 beschriebe­n wurde. (Erstmals entdeckt wurde er 1878 am Hirn eines Hais, von Gustav Fritsch, der ihn den „überzählig­en Nerv“nannte.) Offenbar ist er bei uns in früheren Entwicklun­gsstadien – vor der Geburt – stärker und wird danach reduziert; das könnte – nach der Haeckelsch­en Regel „Die Ontogenese rekapituli­ert die Phylogenes­e“– dafür sprechen, dass er im Lauf der Evolution zum Menschen an Bedeutung verloren hat. Ein archaische­s Relikt also? Oder vermittelt er Reize, die uns – im Gegensatz zu den meisten Geruchsemp­findungen – gar nicht bewusst werden? Uns trotzdem nützlich sind? Ein solcher Reiz wäre die CO2-Konzentrat­ion gewiss.

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