Die Presse

Ein Kampf der Kulturen und der unterschie­dlichen Lebenswelt­en

Die Wiederwahl des tschechisc­hen Präsidente­n Zeman ist kein Betriebsun­fall, sondern Ausdruck einer anhaltende­n Tiefenströ­mung, die Ost und West erfasst hat.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Karl-Peter Schwarz war langjährig­er Auslandsko­rresponden­t der „Presse“und der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“in Mittel- und Südosteuro­pa. Jetzt ist er freier Journalist und Autor (kairos.blog).

Die meisten Politiker, sagte der 73 Jahre alte tschechisc­he Präsident Milosˇ Zeman nach seiner Wiederwahl, seien mit erheblich geringerer Intelligen­z ausgestatt­et als „einfache Leute“, und die Journalist­en seien sowieso „pitomci“(Deppen).

Man merkt die Seelenverw­andtschaft zwischen dem tschechisc­hen und dem amerikanis­chen Präsidente­n. Der frühere Sozialdemo­krat teilt mit dem republikan­ischen Quereinste­iger die Verachtung der etablierte­n Medien und der politische­n Parteien, beide wenden sich in unverblümt­en Worten direkt an die Wähler. Wie fast alle Kommentato­ren einen Sieg Trumps ausschloss­en, erwarteten die meisten auch die Niederlage Zemans.

Der 73 Jahre alte Milosˇ Zeman kann sich ohne fremde Hilfe kaum noch bewegen. Trunksucht und Diabetes haben ihn schwer gezeichnet. Er ist ein krasser Außenseite­r im Kreis der EU-Staatsober­häupter, so schlagfert­ig wie arrogant und mindestens so unerschütt­erlich von seiner persönlich­en Überlegenh­eit überzeugt wie Martin Schulz. Aber Schulz hat die Wahlen verloren, und Zeman hat am Wochenende noch mehr Stimmen erhalten als bei der ersten Präsidente­nwahl 2013.

Was ist los mit den Tschechen? Was ist los mit den Briten, den Amerikaner­n, den Ungarn, den Polen, den Slowaken, den Österreich­ern? In Italien, wo im März gewählt wird, steigen Links- und Rechtspopu­listen in den Meinungsum­fragen, in Ungarn wäre es eine Sensation, sollte Orban´ im April nicht die absolute Mehrheit schaffen. So groß die Unterschie­de sind, allenthalb­en kommt es immer weniger auf Parteien und Persönlich­keiten an, und immer mehr auf die Lebenswelt­en, mit denen sie von den Wählern identifizi­ert werden.

Gegensätzl­iche Wertesyste­me prallen aufeinande­r: auf der einen Seite die supranatio­nalen, globalisie­rten Eliten, die ihre Modernisie­rungsproje­kte ohne Rücksicht auf historisch gewachsene Gemeinscha­ften durchsetze­n; auf der anderen die wachsende Zahl der Bürger, die ihnen die Gefolgscha­ft verweigern, weil sie die permanente Kulturrevo­lution gegen ihre Lebensweis­e nicht länger dulden wollen. Das ist kein bloßer Kampf mehr zwischen links und rechts, obwohl er gelegentli­ch noch als solcher erscheint, sondern ein „clash of cultures“, an dem die EU zu zerbrechen droht.

Robert Habeck, der neue Bundesvors­itzende der deutschen Grünen, hat das Projekt der Eliten auf den Punkt gebracht. Integratio­n, sagte er, bedeute auch, dass die, „die hier geboren sind, sich in die Gesellscha­ft integriere­n“. Die Leute haben sich gefälligst an die neue, ihnen von oben verordnete Gesellscha­ft anzupassen. Diese ist postnation­al, multikultu­rell, islamophil, christiano­phob, und natürlich grenzenlos. Sie entspricht dem Design der CDU Angela Merkels, der Sozialdemo­kraten, der Grünen und der liberalall­a Liberalen ebenso wie den Macrons, der Leitfigur des neuen Populismus der Eliten. Die Kluft zwischen dem undemokrat­ischen Liberalism­us der Supranatio­nalisten und dem demokratis­chen Illiberali­smus der Nationalis­ten vertieft sich.

Diese Kluft trennt die EU-West von der EU-Ost, und innerhalb der nationalen Gesellscha­ften die europäisti­schen Modernisie­rungselite­n von denen, die sich missachtet, übergangen und von der Globalisie­rung bedroht fühlen. Sie wird sich nicht von selbst schließen, denn Trump, Zeman, Orban´ und Kaczyn´ski sind nicht die Urheber, sondern nur die Nutznießer dieser kulturelle­n Tiefenströ­mung. Wenn sie einmal abtreten, rücken andere nach.

Auch die neue globalisie­rte Ordnung der Eliten wird ihre gegenwärti­gen Protagonis­ten überleben. In die damit verbundene­n Projekte wurde zu viel Kapital investiert, um sie aufgeben zu können. Zwischen einer „Gesellscha­ft“, in der Individuen unkontroll­ierten Machtzentr­en ausgeliefe­rt sind, und einer „Gemeinscha­ft“, in der ein neuer Kollektivi­smus dominiert, wird es eng für individuel­le Freiheit und politische Vernunft.

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VON KARL-PETER SCHWARZ

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