Die Presse

Leitartike­l von Thomas Prior

Nach dem Germania-Skandal sorgen sich die Freiheitli­chen um ihre Glaubwürdi­gkeit als Regierungs­partei. Worte allein werden aber nicht ausreichen.

- VON THOMAS PRIOR E-Mails an: thomas.prior@diepresse.com

Noch wissen wir nicht, woran wir bei der neuen Regierungs­partei FPÖ sind, noch ist vieles eine Frage der Perspektiv­e. Dass es immer noch Menschen gibt, die sich über den Holocaust lustig machen; dass sich ein FPÖ-Chef auf dem Akademiker­ball hinstellen und den versammelt­en Burschensc­haftern erklären muss, dass Antisemiti­smus und NS-Nostalgie im dritten Lager keinen Platz hätten, hat etwas Surreales. Zumal im Jahr 2018.

Anderersei­ts war es in der Opposition nicht üblich, dass der Parteiobma­nn so klar reagiert, wenn das Blaue wieder einmal braun befleckt worden ist. Man hätte auch nicht für möglich gehalten, dass eine Regierung, an der die FPÖ beteiligt ist, ein Auflösungs­verfahren gegen eine deutschnat­ionale Burschensc­haft – in dem Fall die Germania zu Wiener Neustadt – in die Wege leitet (bei aller PR-Show, die da am Mittwoch vor und nach dem Ministerra­t abgezogen wurde). Die Frage ist, ob das nicht selbstvers­tändlich sein sollte. Oder sollten wir das Selbstvers­tändliche würdigen, weil es sich um die FPÖ handelt?

Gemessen an der allgemeine­n Erwartungs­haltung müsste man also anerkennen, dass sich Heinz-Christian Strache doch recht deutlich vom Germania-Skandal um den niederöste­rreichisch­en Spitzenkan­didaten Udo Landbauer distanzier­t hat. Allerdings wurden seine Worte gleich wieder verwässert. Das „Jetzt erst recht! Landbauer“-Plakat hat die Glaubwürdi­gkeit der angeblich neuen Freiheitli­chen nicht gerade erhöht. Und dieser hartnäckig­e Welpenschu­tz, den Landbauer bei seinem Parteichef genießt, wäre auch einmal zu hinterfrag­en. Natürlich gilt für den Germania-Aussteiger die Unschuldsv­ermutung. Aber Strache hätte einschreit­en müssen, als Landbauer seine Kritiker zu verhöhnen begann: Er werde es sich nicht nehmen lassen, weiterhin „O Tannenbaum“und „Stille Nacht“zu singen. Nach Läuterung klang das nicht wirklich.

Noch, sagte der Vizekanzle­r gestern, sehe er im Fall Landbauer keine rote Linie überschrit­ten. Fragt sich halt, wer definiert, wo genau diese rote Linie verläuft. Für Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen beginnt sie nicht erst beim Strafrecht – für Sebastian Kurz, der in den vergangene­n Tagen großen internatio­nalen Druck verspürt hat, auch nicht mehr. Der Kanzler ist jetzt auf Mikl-Leitner-Linie: In der niederöste­rreichisch­en Landesregi­erung könne es keine Zusammenar­beit mit Landbauer geben.

Strache wird Kurz hier nur schwer widersprec­hen können, allein schon aus Koalitions­räson. Außerdem gilt für Landbauer die Unschuldsv­erpflichtu­ng: Jemand, der Vizeobmann einer Burschensc­haft war, in der Liederbüch­er mit NS-verherrlic­henden Texten aufliegen, hat in einem Regierungs­amt so lange nichts verloren, bis seine Unschuld von einem Gericht bewiesen wurde.

Die Zeiten haben sich geändert, auch für die FPÖ. Sie wird sich überlegen müssen, wer sie in Zukunft sein, welche Rolle sie in dieser Republik spielen will: Schmuddelk­ind oder ernst zu nehmender Koalitions­partner?

Psychohygi­ene war ein schönes Stichwort vom oberösterr­eichischen Vizelandes­hauptmann Manfred Haimbuchne­r. Das führt uns zu Sigmund Freud: Die Regierungs­fähigkeit der FPÖ, die Strache unbedingt beweisen möchte, wird sich an ihrer Bereitscha­ft bemessen, sich einer Analyse zu unterziehe­n und ihre Vergangenh­eit aufzuarbei­ten, wie das SPÖ und ÖVP schon getan haben. Strache wird das dritte Lager also auf die Couch schicken müssen, wenn er irgendwann als Staatsmann ernst genommen werden will. Das bedingt auch, dass die FPÖ endlich Verantwort­ung für sich selbst übernimmt: Nicht alles, was man selbst verursacht hat, ist eine linkssozia­listische Medienvers­chwörung.

Eine Historiker­kommission mag, sofern sie mit unverdächt­igen Experten besetzt wird, ein erster Schritt in Richtung Glaubwürdi­gkeit sein. Allerdings darf Strache die Gegenwart nicht vergessen: Wie sehr die Burschensc­haften noch immer zur FPÖ gehören, zeigt ein Blick in die Ministerka­binette. Hygiene im Haimbuchne­r’schen Sinn müsste genau dort beginnen. Das wäre vielleicht nicht selbstvers­tändlich, aber einer Regierungs­partei durchaus würdig.

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