Geschichte der deutschnationalen Burschenschaften
Sie berufen sich auf 1848, obwohl sie da noch gar nicht gegründet waren: über Wurzeln und Ideologie der österreichischen Burschenschaften.
Österreichs Burschenschaften: Ihre Rituale wirken reichlich anachronistisch. Organisiert sind sie als Männerbünde, sie verherrlichen Wertvorstellungen, die anscheinend völlig aus der Zeit gefallen sind wie Ehre und Vaterland, haben seltsame Trinkund Fechtgewohnheiten, fühlen sich als Elite und werden von der Mehrheit der übrigen Studenten abgelehnt, immer wenn die Mitgliederzahlen sinken, werden sie totgesagt – und leben dennoch, seit 150 Jahren.
Verhaltenskodizes und Werte haben sich seit den Anfängen wenig geändert. Totgesagte leben länger: Sie machen derzeit ständig von sich reden, besetzen Abgeordnetensitze, Regierungssessel, Vorzimmer in den Ministerien und sind eng mit der Regierungspartei FPÖ verbunden. Ihre Geschichte ist auch ein Teil der Geschichte Österreichs.
Fragt man sie nach ihrer Herkunft, berufen sie sich auf die bürgerliche Revolution von 1848, nach Meinung namhafter Historiker eine mehr als waghalsige Argumentation. Studenten aus der „Akademischen Legion“verschanzten sich damals an der Seite von Arbeitern hinter den Barrikaden. Doch die Wiener Burschenschaften waren noch gar nicht gegründet. Freilich spiegeln sich in den liberalen und deutschnationalen Forderungen der 1848er zentrale Anliegen der frühen deutschen Burschenschaften, die erste von ihnen wurde 1815 in Jena gegründet, Studenten kämpften gegen die napoleonischen Besatzer und für ein Ende der deutschen Kleinstaaterei. Doch die demokratisch-jakobinische Strömung in den Burschenschaften gab nach der Niederlage der Revolution von 1848 den Geist auf und kehrte nie wieder zurück.
Doch die Entwicklung in Deutschland und Österreich verlief zunächst anders: Die deutschen Burschenschaften entwickelten eine bornierte und antisemitisch gefärbte Volkstümelei, schuld waren ihre geistigen Ziehväter. Am legendären Wartburgfest 1817 kam es zu einer Bücherverbrennung. In Österreich verhinderte Metternichs Polizeiapparat jede Betätigung.
Erst 1859 kam es zu einer Gründungswelle von Burschenschaften. Das hängt damit zusammen, dass der Obrigkeitsstaat hierzulande durch die militärischen Niederlagen von 1859 geschwächt war und die Zügel etwas lockern musste, und zweitens hat der deutsche, kultisch verehrte Dichter Friedrich Schiller seinen Anteil daran. Sein 100. Geburtstag wurde nämlich auch in Wien mit Fackelzug und Begeisterung begangen, und genau an Schillers Geburtstag, am 10. November 1859, konstituierte sich eine burschenschaftliche Vereinigung, die den Namen Olympia annahm und als älteste deutsche Burschenschaft in Österreich gilt.
Nun setzte eine rasante Gründungswelle ein, bis 1875 waren es bereits 50 Korporationen, alle ausgesprochen deutschnational, sie legten sich altdeutsch-germanische Namen wie Teutonia, Arminia, Marcomannia, Alemannia oder Germania zu und suchten Kontakt mit den Schwesterorganisationen in Deutschland. Immer intensiver blickten sie über die Grenzen, betonten das völkische Gesamtdeutschtum, zu dem sie auch die Österreicher zählten. Der Schwung von 1848 mit seinen demokratisch-bürgerlichen Idealen war ihnen inzwischen fremd. Viele von ihnen existieren bis heute, ihre nationale Einstellung blieb unverändert.
Anlehnung an das deutsche Kaiserreich
Österreichs Burschenschaften, gekränkt über den „Ausschluss aus Deutschland“, gerieten in eine konflikthafte Situation zur Habsburgerdynastie, nicht weil sie Demokraten wurden, sondern weil sie sich zunehmend dem erstarkenden protestantischen preußischen Rivalen der Habsburger zuwandten: Die Anlehnung an das 1871 gegründete Deutsche Kaiserreich führt zur ideologischen Verhärtung. Zunehmend lehnt man den Vielvölkerstaat mit seinen konkurrierenden Nationen ab, ebenso die „Romkirche“, die „Judenpresse“, fanatisch wird das eigene „Deutschtum“betont, typisch für die Bewohner eines Grenzlandes im deutschen Sprachraum.
Schon in der Frühzeit waren Begriffe wie „Bastardisierung“, „Völkerkrankheit“, „ausrotten mit Stumpf und Stiel“bei Burschenschaften üblich. An diesen biologistisch grundierten Nationalismus und an dieses Erbe der Gründerzeit schlossen sich die Burschenschaften der Universität Wien im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts an. Unter dem Einfluss Georg von Schönerers avancierten sie zu Pionieren des Rassenantisemitismus auf Hochschulboden. Neben Juden werden auch slawische und italienische Studierende als „volksfremd“bekämpft,
Wenn wir einer dieser bebänderten Horden begegneten, wichen wir weise um die Ecke.
Stefan Zweig „Die Welt von Gestern“
nicht selten mit physischer Gewalt, aber auch linke Organisationen und katholische Verbände zählen zu den Gegnern. Das „Schlimmste und Gefährlichste des deutschen Geistes“sah der Schriftsteller Stefan Zweig in „diesen bebänderten Horden“.
In der Zwischenkriegszeit waren Österreichs Schlagende radikaler als die deutschen. Es kam zu regelmäßigen Gewaltexzessen an der Wiener Universität. Das eine Lager, die katholischen Korporierten, wurde vom autoritären Ständestaat begünstigt und nahm wichtige Positionen ein, die völkischen Burschenschafter hingegen standen im Lager der Nationalsozialisten, bereits vor dem Anschluss von 1938 hatten sie die „neue Zeit“an den Hochschulen mit ihrer Wühlarbeit vorbereitet. Viele deutschnationale Burschenschafter avancierten so zu Pionieren des Antisemitismus an den Universitäten. Auch wenn die Burschenschaften selbst in der NS-Zeit aufgelöst wurden: „Die Kombination aus unbedingtem Anschlusswunsch und Antisemitismus führt sie dann auch relativ geschlossen in die Reihen des Nationalsozialismus“, so Rechtsextremismus-Experte Bernhard Weidinger.
In der Phase der Entnazifizierung nach 1945 war an ein Burschenschafterleben nicht zu denken. Der erste Festkommers fand in Graz 1951 statt, die Verbandszeitschrift – sie trug den Namen „Die Aula“– wurde gegründet, sie existiert bis heute und ist heftig umstritten. Ein Jahr danach wurde bereits wieder die erste Mensur gefochten, man trat gesellschaftlich wieder auf, im Konzerthaus fand der erste WKR-/Wiener-Korporationsring-Ball im Februar 1953 statt.
Überlebt haben die Burschenschaften trotz personeller Auszehrung auch die Jahre, in denen die 68er-Generation die Meinungsführerschaft innehatte. Schon ab 1960 kam ihre Aufwärtsentwicklung zum Stillstand. Den Rückgang in den 1970er-Jahren führten sie auf „die dauernden Angriffe, insbesonders der Linksparteien“zurück. In den Armen der FPÖ fanden sie hingegen Aufnahme. Burschenschafter sind in allen Landesparteien der FPÖ stark vertreten.
Die konstitutiven, in der Frühphase ausgebildeten Merkmale der Burschenschaften blieben zwei Jahrhunderte lang erhalten: Das deutschchristliche Ethos mit Aversionen gegen Ausländer, Nichtchristen, Slawen, Juden insbesondere; die militante Einsatzbereitschaft für die nationale Idee und die romantisierende Verklärung des Vaterlands; das Mensur-Ritual, das als äußerlicher Akt der Tapferkeit Zeugnis ablegen soll von Opferbereitschaft für den Männerbund und quasi aristokratischem Elitedenken; das patriarchalische Leitbild, das Frauen von der Wissenschaft und der „Weltbühne“ausschließt und sie stattdessen anleitet, im häuslichen Kreise „Freude und Frohsinn um sich zu verbreiten“.