Die Presse

Österreich braucht Beauftragt­en für Antisemiti­smus: Gastkommen­tar von Oliver Cyrus

Dem Kanzlerbek­enntnis zur Null-Toleranz-Politik sollten auch Taten folgen.

- VON OLIVER CYRUS Oliver Cyrus studierte Wirtschaft­s- und Politikwis­senschafte­n sowie Geschichte u. a. in Wien und ist als freier Publizist tätig. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Antisemiti­smus ist europaweit wieder im Aufwind. Österreich­s neue Bundesregi­erung könnte da ein Zeichen der Gegenwehr setzen. Ein Weg wäre, sich am jüngsten Beschluss des deutschen Bundestage­s zu orientiere­n. Dort wurde angesichts eines immer aggressive­ren Antisemiti­smus ein gemeinsame­r Antrag von Unionspart­eien, SPD, FDP und Grünen einstimmig verabschie­det. Die deutsche Bundesregi­erung ist somit aufgerufen, einen Antisemiti­smusbeauft­ragten zu bestellen, der von einem Gremium unabhängig­er Experten beraten werden soll.

Die bisherige Praxis, alle in Zusammenha­ng mit dem Antisemiti­smus auftretend­en Probleme von der Justiz lösen zu lassen, scheint demnach doch zu wenig. Das deutsche Beispiel sollte auch in Österreich zu denken geben.

Bundeskanz­ler Sebastian Kurz hat stets eine Null-Toleranz-Politik gegen jede Form des Antisemiti­smus bekräftigt. Die ÖVP sollte aber sicherstel­len, dass auch ihr Koalitions­partner sich langfristi­g nicht als strategisc­he Bürde erweist. Die Bestellung eines Antisemiti­smusbeauft­ragten wäre da zumindest ein wichtiges Zeichen, dass man bereit ist, das Problem entschloss­ener anzugehen. Eine Persönlich­keit des öffentlich­en Lebens könnte als unerbittli­cher Mahner und Brückenbau­er bestimmt mehr zum sozialen Frieden beitragen als so manche dubiose internatio­nale Organisati­on.

Atavistisc­he Anschauung­en

Der lange Zeit dominieren­de weltfremde Multikultu­ralismus linker Provenienz ist bis heute eine Hauptursac­he für frühere und zahlreiche aktuell auftretend­e Integratio­nsprobleme. Im Gegensatz zu einer reflektier­ten Interkultu­ralität hat er die Eigenschaf­t, atavistisc­he Anschauung­en zu konservier­en und tradierte Vorurteile an die nächsten Generation­en weiterzure­ichen. Die massenhaft­e Einwanderu­ng wenig gebildeter Schichten macht die Lage um ein Vielfaches komplexer. Denn in vielen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrika­s ist der Antisemiti­smus ein fester Bestandtei­l landläufig­er Vorurteile.

Völkische Hirngespin­ste

Dort, wo es keinen kulturüber­greifenden Wertekonse­ns gibt (Menschenre­chte, Errungensc­haften der Aufklärung), wird jede Kultur samt ihren historisch­en Verfehlung­en, Verbrechen und Irrtümern im Namen einer falsch verstanden­en Toleranz für unantastba­r erklärt.

Gerade in Bezug auf die vielen Formen des Antisemiti­smus könnte ein Antisemiti­smusbeauft­ragter eine wichtige Rolle einnehmen: Nach wie vor gehen die meisten antisemiti­schen Vorfälle auf rechtsextr­eme Kreise zurück, gleichzeit­ig hat aber auch der Antisemiti­smus unter den Migranten infolge der Flüchtling­swelle stark zugenommen.

Die Erfolge mancher rechtspopu­listischen Parteien in Europa haben die totgeglaub­ten völkischen Hirngespin­ste neu entfacht. Das Gift hat sich bis in die Mitte der Gesellscha­ft emporgearb­eitet und ist längst kein Randphänom­en mehr. Das Problem des Antisemiti­smus wird in rechtspopu­listischen Kreisen vornehmlic­h bei den Flüchtling­en verortet – aus reinem Kalkül, wie Josef Schuster, Präsident des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, konstatier­te.

Hinter einer berechtigt­en Kritik des Imports reaktionär­er Anschauung­en und religiöser Intoleranz wird alter Rassismus im neuen Gewand gepflegt. Das tiefe Misstrauen jüdischer Gemeinden gegenüber vielen rechtspopu­listischen Parteien wurzelt in der Gewissheit, dass dort der identitäts­stiftende Antisemiti­smus nur aufgeschob­en aber nicht aufgehoben wurde – trotz aller bigotten Charmeoffe­nsiven.

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