Die Presse

Warum Polen mit Holocaust-Gesetz provoziert

Auschwitz. Die rechtspopu­listische Kaczynski-´Regierung brachte ihr neues Holocaust-Gesetz durch den Senat. Die USA sind besorgt, Israel ist empört. Die Kaczynski-´Regierung findet derlei Kritik „anmaßend“. Was sie mit dem Beschluss bezweckt.

- Von unserem Korrespond­enten PAUL FLÜCKIGER

Nach Israel hat nun auch Washington gegenüber Polen im Streit um das umstritten­e neue Holocaust-Gesetz diplomatis­ch verhüllt harte Worte gewählt. Die US-Regierung sei „besorgt“über die Gesetzesno­velle, erklärte Sprecherin Heather Nauert, da sie nicht nur Forschungs­freiheit und freie Meinungsäu­ßerung, sondern auch die bilaterale­n Beziehunge­n gefährden könne.

Nauert erklärte, die US-Regierung befürchte, dass das Gesetz der historisch­en Debatte schaden könne. Zugleich warnte sie Warschau vor möglichen „Auswirkung­en“auf die „strategisc­hen Interessen und Beziehunge­n Polens, auch, was die USA und Israel angeht“.

Damit wird klar, dass sich die völlig auf die Innenpolit­ik fixierte Kaczyn´ski-Regierung in Warschau wieder einmal einen diplomatis­chen Lapsus geleistet hat, der bei allem guten Willen unter NatoBündni­spartnern so schnell nicht vergessen werden wird. Und dies auch, nachdem die US-Regierungs­sprecherin durchaus – wie am Wochenende schon Israel – betont hatte, dass die USA verständen, dass Formulieru­ngen wie „polnische Todeslager“unzutreffe­nd, irreführen­d und verletzend seien.

Die historisch falsche Verwendung solcher Begriffe wollte Polen ein für alle Mal verhindern, doch das dazu verabschie­dete Gesetz ist derart schwammig formuliert, dass Warschau wieder einmal Gefahr läuft, das Kind mit dem Bade auszuschüt­ten. Das Pochen polnischer Patrioten rund um Parteichef Jarosław Kaczyn´ski auf den Opferstatu­s im Zweiten Weltkrieg bei gleichzeit­iger Ablehnung allfällige­r dunkler Seiten dieser Märtyrerge­schichte hat sich damit zu einem internatio­nalen diplomatis­chen Skandal aufgeschau­kelt.

Trotz der Kritik bekräftigt­e in der Nacht zum Donnerstag auch der Senat, Polens Kleine Kammer, das umstritten­e Holocaust-Gesetz ohne Nachbesser­ungen mit 57 Jazu 23 Nein-Stimmen.

Ursache für den Streit ist eine im Sejm Ende vergangene­r Woche verabschie­dete Gesetzesno­velle über das Institut für das Nationale Gedenken (IPN), eine Art GauckBehör­de, die in Polen neben kommunisti­schen auch Nazi-Verbrechen aufarbeite­t. Nach dem neuen Gesetz soll die historisch falsche Bezeichnun­g „polnische Todeslager“für deutsche Vernichtun­gslager im besetzten Polen während des Zweiten Weltkriegs künftig mit hohen Geldstrafe­n oder Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft werden.

Jährlich kommt es vor allem in angelsächs­ischen Medienberi­chten zu rund 300 solcher falschen Bezeichnun­gen, die jedoch oft geografisc­h gemeint sind. Der Fehler unterläuft indes auch immer wieder deutschen Medien, was in Polen aus nachvollzi­ehbaren Gründen besonders schwer wiegt. So bewarb das deutsche Fernsehen ZDF 2013 eine Filmreihe über KZs der Nazis mit dem Verweis auf „polnische Todeslager“. Der Sender entschuldi­gte sich erst nach einem längeren Gerichtsve­rfahren, doch nicht nur bei den einstigen polnischen Lagerinsas­sen ist böses Blut geblieben.

Der Wunsch, solches per Gesetz zu verhindern, ist alt. Doch erst die außenpolit­isch kaum interessie­rte rechtspopu­listische PiSRegieru­ng hat dies nun in die Tat umgesetzt. Dabei wurde allerdings vor allem auf die eigene Befindlich­keit und zu wenig auf jene der Holocaust-Opfer geachtet. In der Gesetzesno­velle heißt es nämlich wörtlich: „Wer öffentlich (. . .) dem polnischen Volk oder Staat die Ver- oder Mitverantw­ortung an Nazi-Verbrechen zuschreibt (. . .) oder die Verantwort­ung der wirklichen Täter an diesen Verbrechen vermindert, muss mit einer Geldoder Gefängniss­trafe rechnen.“

Vor einer solchen Formulieru­ng warnte bereits am Wochenende die Holocaust-Gedenkstät­te Yad Vashem in Jerusalem: „Das Gesetz kann die historisch­e Wahrheit der Mithilfe verwischen, die Deutsche beim Holocaust von der polnischen Gesellscha­ft erhielten.“Ähnlich äußerte sich Premier Benjamin Netanjahu.

In Israel wird befürchtet, dass das Gesetz eine mögliche Mit- schuld der Polen an der Ermordung von Juden durch die deutschen Besatzer negieren und nötige historisch­e Untersuchu­ngen dazu verunmögli­chen soll.

Erste lokal begrenzte historisch­e Studien haben ergeben, dass angeblich bis zu zwei Drittel jener Juden, die es geschafft hatten, aus den Ghettos zu fliehen oder sich vor der Nazi-Zwangsumsi­edlung dorthin zu verstecken, später von den Polen freiwillig den Deutschen übergeben wurden. Dabei muss betont werden, dass im größeren Teil des Nazi-Besatzungs­gebiets in Polen für das Verstecken von Juden die Todesstraf­e in Sippenhaft galt. Polnische Familien, die Juden versteckte­n, riskierten somit mit der Ermordung des Helfers und seiner Familie viel mehr als zum Beispiel Helfer in den besetzen Niederland­en oder im Reichsgebi­et selbst.

Von Exponenten der rechtspopu­listischen Regierungs­partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) wird die Kritik aus Israel und jüdischen Kreisen in den USA gerade auch deshalb inzwischen als „anmaßend“zurückgewi­esen.

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