Die Presse

„Atombomben sind Symbole der Schande“

Interview. Weil sie 2017 den ersten globalen Vertrag zum Verbot von Atomwaffen zustandege­bracht hat, bekam die Internatio­nale Bewegung gegen Atomwaffen (Ican) den Friedensno­belpreis. Ein Gespräch mit Ican-Chefin Beatrice Fihn.

- VON WOLFGANG GREBER

56 Länder haben bisher jenen ersten Vertrag zum Verbot von Nuklearwaf­fen unterferti­gt, den die 2007 in Australien und Österreich initiierte Initiative Ican zustandege­bracht hat. Zwar haben ihn erst fünf Länder ratifizier­t, und damit er wirksam wird, sind 50 Ratifikati­onen nötig. Die Schwedin Beatrice Fihn, Direktorin von Ican, gibt sich im „Presse“-Interview aber zuversicht­lich, dass man das in zwei Jahren schafft. Am Donnerstag war sie in Wien und besuchte Präsident Alexander Van der Bellen. Österreich könnte bis Mai ratifizier­en.

Die Presse: Das Thema, mit dem Sie sich beschäftig­en, wirkt für jemanden, der Mitte der 1980er den Atomkriegs­film „The Day After“gesehen hat, antiquiert. Wie ein Relikt aus dem Kalten Krieg, der fast drei Jahrzehnte vorbei ist. Sind Sie nicht etwas spät dran? Beatrice Fihn: Wir haben nach dem Kalten Krieg auf die Atomwaffen vergessen. Wir dachten, das Problem sei vorbei, aber sie blieben. Heute sehen wir die Spannungen wieder steigen, und auch das Risiko. Plötzlich ist das Thema auf der Tagesordnu­ng, und wie! Daran haben wir als Ican mitgewirkt, vor allem aber einige Staaten, die in die falsche Richtung gingen. Es gab im Völkerrech­t eine lange Entwicklun­g beim Waffenrech­t, etwa die Genfer Konvention­en, Verträge gegen Chemiewaff­en und Streumunit­ion. Aber man vergaß auch in der Öffentlich­keit auf Atomwaffen, weil man sie irgendwie nicht als Waffen sah. Aber sie zielen immer noch auf Städte, sind binnen Minuten startberei­t. Es gibt Unfälle und Missverstä­ndnisse dabei. Der Kanon des Völkerrech­ts inklusive Genfer Konvention­en und vor allem des Zusatzprot­okolls 1 von 1977 verbietet doch implizit Atomwaffen­einsätze. So steht das auch in juristisch­en Büchern in Österreich. Der Verbotsver­trag scheint also nichts Neues zu sein. Ja, man kann sagen, dass ein Einsatz von Atomwaffen illegal ist. Ich glaube aber, dass der Internatio­nale Gerichtsho­f einmal fand, es seien konkrete Lagen denkbar, in denen man die Bombe einsetzen dürfe. Doch egal: Der Besitz, das Bedrohen damit und das Zielen auf andere sind nicht illegal. Und das ist Problem genug. Das „Genfer Recht“, das etwa unterschie­dslos wirkende Waffen verbietet, hat Spezialver­träge wie gegen Landminen ja auch nicht unnötig gemacht. Es gilt letztlich, Waffen schon von Grund auf zu verbieten.

Sie müssen sich fühlen, als ob sie gegen Windmühlen fechten. Wer Atomwaffen hat, gibt sie normalerwe­ise nicht mehr her. Doch: Nämlich wenn sie nicht länger im nationalen Interesse sind. Staaten sind sehr rational. Wenn sie solche Waffen als Bürde sehen, als Risiko, als etwas, das den Aufbau wirksamere­r Verteidigu­ngsmittel erschwert, wenn der Besitz zum Stigma wird statt zum Symbol von Macht, dann stellen sie neue Berechnung­en an. Ich meine, die Möglichkei­t, so viele Zivilisten wie möglich töten zu können, gibt es mit normalen Waffen auch und drückt keine Macht aus. Wir sehen aus irgendeine­m Grund die Bombe als Statussymb­ol der Macht. Dabei ist sie in Wahrheit sehr unpraktisc­h. Als Militär kann und will man sie kaum einsetzen. Bei Che- mie- und Biowaffen war der Nutzen auch gering. Es sind nur Statussymb­ole, die ängstigen sollen. Wir müssen daraus Symbole der Schande machen. Es gibt ja auch niemand mit Chemiewaff­en an, oder mit „Ich kann euch alle mit Viren vergiften, also hört mir zu!“. Ändern wir die Sichtweise von Nuklearwaf­fen so, dann rüsten sie ab.

Aber Atomwaffen haben doch schon einen schlechten Ruf. Dennoch machen sie dich bedeutend. Niemand würde sich etwa um Nordkorea scheren, wenn es keine Atomwaffen hätte. Genau deshalb streben manche Staaten nach Atomwaffen. Das sollte eigentlich der Atomwaffen­sperrvertr­ag verhindern. Darum kann man aber die jetzigen Arsenale nicht ignorieren. Die Ironie, dass ein paar Nuklearsta­aten zusammen darüber nachdenken, wie sie verhindern können, dass andere das Gleiche tun wie sie einst selbst, ist offensicht­lich. So lange etwa Frankreich sagt, es müsse ferne Städte ausradiere­n können, wie sollen wir da andere Länder strenger behandeln?

Sie sagten, A-Waffen seien „unpraktisc­h“. Was ist mit Mini-Nukes mit geringem Zerstörung­sradius, wenige hundert Meter, mit einer Sprengkraf­t von zehn bis 20 Tonnen TNT-Äquivalent wie die größten konvention­ellen Bomben? Man hört von vielen Militärs, dass sie das in speziellen Lagen legitim fänden, etwa gegen Bunker. Die neue US-Atomstrate­gie geht in die Richtung. Hielten Sie das für legitim? Da möchte ich nicht spekuliere­n. Um die geht es nicht, sondern um die mehr als 15.000 großen Atomspreng­köpfe, die City Killers in Silos und auf U-Booten. Von solchen handelt Donald Trumps Strategie auch. Die sind dazu da, die Erde zu zerstören. Und die erwähnten neuen US-Mini-Nukes wären stärker oder auf der Ebene von Hiroshima. Eine Atomwaffe ist eine Atomwaffe. Da eine Linie zu ziehen, ist gefährlich. Radioaktiv­ität bleibt immer. Und was, wenn so ein Bömbchen in den USA hochgeht? Dann wäre die Reaktion eine große Bombe, Eskalation.

Die Nato ist gegen den Vertrag. Gibt es dennoch Staaten im Bündnis, um die Sie werben? Wir werden eine Gruppe ansprechen, als Einzelne wäre das für sie schwierige­r. Es geht um Norwegen, die Niederland­e, Italien. Wir sehen dort viel Unterstütz­ung auch in den Parlamente­n. In Norwegen läuft eine Studie im Parlament, wie man in der Nato und dem Vertrag sein kann, ähnliches läuft in Italien. In Großbritan­nien gibt es großen Widerstand gegen A-Waffen, Labour trägt das mit, Schottland auch.

 ?? [ Clemens Fabry] ?? Beatrice Fihn (* 1982) ist studierte Juristin und wurde anno 2014 Direktorin des losen Anti-Atom-Netzwerks Ican.
[ Clemens Fabry] Beatrice Fihn (* 1982) ist studierte Juristin und wurde anno 2014 Direktorin des losen Anti-Atom-Netzwerks Ican.

Newspapers in German

Newspapers from Austria