Firmen lehnen Aufträge ab, weil Personal fehlt
Arbeitsmarkt. Die Auftragsbücher sind voll, aber die Unternehmen finden kein Personal, um sie abzuarbeiten. AMS-Chef Kopf appelliert an Firmen, ihre Vorurteile zu überdenken. WKO-Chef Leitl will EU-Geld für Beschäftigung von Flüchtlingen.
Der Wirtschaftsaufschwung kommt auf dem Arbeitsmarkt an: Im Jänner gab es in Österreich um acht Prozent weniger Arbeitslose (und Schulungsteilnehmer) als vor einem Jahr. Trotzdem bleibt die Arbeitslosigkeit mit 455.860 Personen hoch. Und das, obwohl Firmen händeringend Arbeitskräfte suchen. Der Wirtschaftsboom könnte noch größer sein, gäbe es das Personal dafür: „Ich verzichte auf einen Millionenumsatz, weil wir die Mitarbeiter nicht haben“, erklärt Herbert Wegleitner, Geschäftsführer des Anlagenbauers und Haustechnikspezialisten Elin.
Auch dem Stahlkonzern Voest fehlen Mitarbeiter. Während das Geld für Expansion da wäre, fehlt es dem Unternehmen an Personal. Und das auf allen Ebenen: vom Management über die Facharbeiter bis hin zu den Lehrlingen. In der Steiermark sei der Arbeitsmarkt so leer gefegt, dass jeder Lehrling, der sich bewirbt, genommen wird, berichtet Voest-Chef Wolfgang Eder. In Österreich kommen auf 4405 offene Lehrstellen 5846 Lehrstellensuchende.
„Das Problem, Mitarbeiter zu bekommen, ist eklatant groß“, berichtet auch Wegleitner. Elin könnte „auf der Stelle 15 Prozent mehr Umsatz machen“, wenn man die notwendigen Arbeiter hätte. „Ich müsste etwa 40 Techniker und 90 Montagemitarbeiter anstellen, aber die bekomme ich nicht.“Das Unternehmen machte im Vorjahr mit 1500 Beschäftigten etwa 260 Millionen Euro Umsatz.
„Strukturelle Arbeitslosigkeit“, nennt das Johannes Kopf, Vorstand des Arbeitsmarktservice (AMS). „Was die Firmen suchen, passt nicht mit dem zusammen, was die Arbeitslosen bieten können.“Während Betriebe Fachkräfte suchen, hat die Hälfte der Arbeitsuchenden nur einen Pflichtschulabschluss. Gebraucht werden meist die klassischen Mangelberufe wie Dreher, Fräser, alle Arten von Technikern. „Das ist ein österreichweites Problem“, so Kopf. Außerdem gebe es „besonders wenig Junge“. Das werde bis Ende der 20er-Jahre so bleiben. Lehrlingsausbildung sei ein Schlüssel, um für die Zukunft vorzusorgen.
Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl will nun EU-Töpfe anzapfen, um Lehrlinge auszubilden. In einem Gespräch mit der „FAZ“schlug er vor, EU-weit Migranten in Unternehmen auszubilden. Für jeden beschäftigten Flüchtling sollen die Unternehmen aus dem Kohäsionsfonds monatlich 1000 Euro erhalten. Und das drei Jahre lang.
Eine solche „Integrationsprämie“würde dazu führen, dass die Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen, in den EU-Ländern steigt, sagte Leitl. Um Inländer nicht zu benachteiligen, sollten auch Langzeitarbeitslose von diesen Förderungen profitieren.
AMS-Chef Kopf appelliert aber auch an die Unternehmer, Vorurteile zu überdenken: Firmen suchen Männer, mit Berufserfahrung, also nicht unter 25, aber auch nicht über 50 Jahre alt. Inländer, die nicht krank und im Idealfall noch nicht zu lang arbeitslos sind. „Das sind acht Prozent meiner Kunden“, sagt Kopf. „Man könnte ja auch einmal jemanden über 50 einstellen.“
Früher habe man Mitarbeiter suchen können, wenn es Bedarf gab, sagt Elin-Chef Wegleitner. Das gehe heute nicht mehr. „Man muss lang vorher zu suchen beginnen, um Neueinsteiger zu bekommen.“Und selbst dann sei es schwierig. „Auf der Lehrlingsseite geht die Schere extrem auf. Wir haben Leute, die sehr vif und engagiert sind. Oft sind das Migrationsfamilien und deren Kinder aus zweiter Generation.“
Dann gebe es „typische Fernsehkinder, sie können nicht ordentlich lesen und rechnen. Sie haben keinen Zugang zum Lernen, sie werden zu Hause nicht gefordert und auch nicht gefördert.“Ihnen müsse man nicht nur bildungstechnisch Nachhilfe geben, sondern teilweise auch bei den Werten, betont der Elin-CEO. „Ich rede jetzt nicht von einem Wertegerüst, sondern von einem Grundgerüst. Etwa, dass man etwas einhält, wenn man es zusagt; dass man pünktlich ist.“Wie groß ist der Unterschied zwischen guten und schlechten Anfängern? „Etwa 80 zu 20. 80 Prozent fallen in die schwierige Kategorie.“
Auch bei der Voest ist man mit der Ausbildung der Lehrlinge nicht zufrieden. „Wir müssen Lesen, Schreiben und Rechnen in die Lehrlingsausbildung integrieren“, sagte Eder jüngst vor Journalisten und forderte zeitgemäße Bildungsziele. Er habe nichts gegen Latein, aber wirtschaftliche Bildung käme in den Schulen eindeutig zu kurz.
Beim Schweizer Sanitärkonzern Geberit, dessen Österreich-Ableger 600 Menschen beschäftigt, kennt man das Problem. „Wir könnten viel stärker wachsen, wenn es geeignete Fachkräfte gäbe“, sagt Stephan Wabnegger, Vertriebschef von Geberit Österreich. Geberit stellt Wasserversorgungsrohre und Armaturen, Abwasser- und Spülsysteme für den Großhandel her, der sie an die Installateurbetriebe weiterverkauft.
Viele Menschen möchten in ihre Immobilien investieren. Aber die Installateure fänden nicht genügend Mitarbeiter, um alle Aufträge abzuwickeln. „Manche Betriebe sind bis Mitte 2019 ausgebucht.“Ein kleiner Trost sei, dass sich das Wachstum, das aus Personalmangel aktuell nicht stattfinden könne, in die Zukunft verschiebe.
Ein Grund, warum es zu wenig Installateure gebe, sei, dass der Beruf nicht als attraktiv gelte. „Wir müssen den Jungen eine Perspektive geben.“Eine Perspektive sei die Selbstständigkeit. „Davon kann man gut leben. Installateur ist kein Beruf für dumme Menschen.“Viele wollten auch einfach nicht mehr so viel arbeiten, erzählt Wabnegger. Er findet diese Entwicklung nicht gut. „Es gibt kaum mehr den Wunsch, Werte zu schaffen“, sagt er. Viele hätten das Gefühl, „das ist alles schon irgendwie da“.
Bei Elin kann und will man die Aufträge, die man mangels Mitarbeitern ablehnen muss, nur zum Teil mit Leiharbeitern erledigen. „Wir hatten Projekte, bei denen wir das Verhältnis zwischen Eigenund Fremdarbeitern überzogen haben. Wir sind bei all diesen Projekten gescheitert“, sagt Firmenchef Wegleitner. Die vordergründig bessere Kalkulation durch die billigeren Stundensätze habe am Ende zu einer schlechteren Preissituation geführt, „weil wir viele Fehler ausbessern mussten und Nacharbeiten notwendig waren“.