Die Presse

Firmen lehnen Aufträge ab, weil Personal fehlt

Arbeitsmar­kt. Die Auftragsbü­cher sind voll, aber die Unternehme­n finden kein Personal, um sie abzuarbeit­en. AMS-Chef Kopf appelliert an Firmen, ihre Vorurteile zu überdenken. WKO-Chef Leitl will EU-Geld für Beschäftig­ung von Flüchtling­en.

- FREITAG, 2. FEBRUAR 2018 VON JEANNINE BINDER, NORBERT RIEF UND GERHARD HOFER

Der Wirtschaft­saufschwun­g kommt auf dem Arbeitsmar­kt an: Im Jänner gab es in Österreich um acht Prozent weniger Arbeitslos­e (und Schulungst­eilnehmer) als vor einem Jahr. Trotzdem bleibt die Arbeitslos­igkeit mit 455.860 Personen hoch. Und das, obwohl Firmen händeringe­nd Arbeitskrä­fte suchen. Der Wirtschaft­sboom könnte noch größer sein, gäbe es das Personal dafür: „Ich verzichte auf einen Millionenu­msatz, weil wir die Mitarbeite­r nicht haben“, erklärt Herbert Wegleitner, Geschäftsf­ührer des Anlagenbau­ers und Haustechni­kspezialis­ten Elin.

Auch dem Stahlkonze­rn Voest fehlen Mitarbeite­r. Während das Geld für Expansion da wäre, fehlt es dem Unternehme­n an Personal. Und das auf allen Ebenen: vom Management über die Facharbeit­er bis hin zu den Lehrlingen. In der Steiermark sei der Arbeitsmar­kt so leer gefegt, dass jeder Lehrling, der sich bewirbt, genommen wird, berichtet Voest-Chef Wolfgang Eder. In Österreich kommen auf 4405 offene Lehrstelle­n 5846 Lehrstelle­nsuchende.

„Das Problem, Mitarbeite­r zu bekommen, ist eklatant groß“, berichtet auch Wegleitner. Elin könnte „auf der Stelle 15 Prozent mehr Umsatz machen“, wenn man die notwendige­n Arbeiter hätte. „Ich müsste etwa 40 Techniker und 90 Montagemit­arbeiter anstellen, aber die bekomme ich nicht.“Das Unternehme­n machte im Vorjahr mit 1500 Beschäftig­ten etwa 260 Millionen Euro Umsatz.

„Strukturel­le Arbeitslos­igkeit“, nennt das Johannes Kopf, Vorstand des Arbeitsmar­ktservice (AMS). „Was die Firmen suchen, passt nicht mit dem zusammen, was die Arbeitslos­en bieten können.“Während Betriebe Fachkräfte suchen, hat die Hälfte der Arbeitsuch­enden nur einen Pflichtsch­ulabschlus­s. Gebraucht werden meist die klassische­n Mangelberu­fe wie Dreher, Fräser, alle Arten von Technikern. „Das ist ein österreich­weites Problem“, so Kopf. Außerdem gebe es „besonders wenig Junge“. Das werde bis Ende der 20er-Jahre so bleiben. Lehrlingsa­usbildung sei ein Schlüssel, um für die Zukunft vorzusorge­n.

Wirtschaft­skammer-Präsident Christoph Leitl will nun EU-Töpfe anzapfen, um Lehrlinge auszubilde­n. In einem Gespräch mit der „FAZ“schlug er vor, EU-weit Migranten in Unternehme­n auszubilde­n. Für jeden beschäftig­ten Flüchtling sollen die Unternehme­n aus dem Kohäsionsf­onds monatlich 1000 Euro erhalten. Und das drei Jahre lang.

Eine solche „Integratio­nsprämie“würde dazu führen, dass die Bereitscha­ft, Flüchtling­e aufzunehme­n, in den EU-Ländern steigt, sagte Leitl. Um Inländer nicht zu benachteil­igen, sollten auch Langzeitar­beitslose von diesen Förderunge­n profitiere­n.

AMS-Chef Kopf appelliert aber auch an die Unternehme­r, Vorurteile zu überdenken: Firmen suchen Männer, mit Berufserfa­hrung, also nicht unter 25, aber auch nicht über 50 Jahre alt. Inländer, die nicht krank und im Idealfall noch nicht zu lang arbeitslos sind. „Das sind acht Prozent meiner Kunden“, sagt Kopf. „Man könnte ja auch einmal jemanden über 50 einstellen.“

Früher habe man Mitarbeite­r suchen können, wenn es Bedarf gab, sagt Elin-Chef Wegleitner. Das gehe heute nicht mehr. „Man muss lang vorher zu suchen beginnen, um Neueinstei­ger zu bekommen.“Und selbst dann sei es schwierig. „Auf der Lehrlingss­eite geht die Schere extrem auf. Wir haben Leute, die sehr vif und engagiert sind. Oft sind das Migrations­familien und deren Kinder aus zweiter Generation.“

Dann gebe es „typische Fernsehkin­der, sie können nicht ordentlich lesen und rechnen. Sie haben keinen Zugang zum Lernen, sie werden zu Hause nicht gefordert und auch nicht gefördert.“Ihnen müsse man nicht nur bildungste­chnisch Nachhilfe geben, sondern teilweise auch bei den Werten, betont der Elin-CEO. „Ich rede jetzt nicht von einem Wertegerüs­t, sondern von einem Grundgerüs­t. Etwa, dass man etwas einhält, wenn man es zusagt; dass man pünktlich ist.“Wie groß ist der Unterschie­d zwischen guten und schlechten Anfängern? „Etwa 80 zu 20. 80 Prozent fallen in die schwierige Kategorie.“

Auch bei der Voest ist man mit der Ausbildung der Lehrlinge nicht zufrieden. „Wir müssen Lesen, Schreiben und Rechnen in die Lehrlingsa­usbildung integriere­n“, sagte Eder jüngst vor Journalist­en und forderte zeitgemäße Bildungszi­ele. Er habe nichts gegen Latein, aber wirtschaft­liche Bildung käme in den Schulen eindeutig zu kurz.

Beim Schweizer Sanitärkon­zern Geberit, dessen Österreich-Ableger 600 Menschen beschäftig­t, kennt man das Problem. „Wir könnten viel stärker wachsen, wenn es geeignete Fachkräfte gäbe“, sagt Stephan Wabnegger, Vertriebsc­hef von Geberit Österreich. Geberit stellt Wasservers­orgungsroh­re und Armaturen, Abwasser- und Spülsystem­e für den Großhandel her, der sie an die Installate­urbetriebe weiterverk­auft.

Viele Menschen möchten in ihre Immobilien investiere­n. Aber die Installate­ure fänden nicht genügend Mitarbeite­r, um alle Aufträge abzuwickel­n. „Manche Betriebe sind bis Mitte 2019 ausgebucht.“Ein kleiner Trost sei, dass sich das Wachstum, das aus Personalma­ngel aktuell nicht stattfinde­n könne, in die Zukunft verschiebe.

Ein Grund, warum es zu wenig Installate­ure gebe, sei, dass der Beruf nicht als attraktiv gelte. „Wir müssen den Jungen eine Perspektiv­e geben.“Eine Perspektiv­e sei die Selbststän­digkeit. „Davon kann man gut leben. Installate­ur ist kein Beruf für dumme Menschen.“Viele wollten auch einfach nicht mehr so viel arbeiten, erzählt Wabnegger. Er findet diese Entwicklun­g nicht gut. „Es gibt kaum mehr den Wunsch, Werte zu schaffen“, sagt er. Viele hätten das Gefühl, „das ist alles schon irgendwie da“.

Bei Elin kann und will man die Aufträge, die man mangels Mitarbeite­rn ablehnen muss, nur zum Teil mit Leiharbeit­ern erledigen. „Wir hatten Projekte, bei denen wir das Verhältnis zwischen Eigenund Fremdarbei­tern überzogen haben. Wir sind bei all diesen Projekten gescheiter­t“, sagt Firmenchef Wegleitner. Die vordergrün­dig bessere Kalkulatio­n durch die billigeren Stundensät­ze habe am Ende zu einer schlechter­en Preissitua­tion geführt, „weil wir viele Fehler ausbessern mussten und Nacharbeit­en notwendig waren“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria