Die Presse

Können höhere Konzernste­uern Afrika retten?

Entwicklun­gshilfe. Traditione­lle Entwicklun­gshilfe und höhere Multi-Besteuerun­g reichen nicht, um Afrika aus der Armutsfall­e zu bekommen. Die Region braucht Wachstum durch mehr Investitio­nssicherhe­it – und weniger Korruption.

- E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Jährlich fließen 135 Mrd. Dollar an Entwicklun­gshilfe aus OECD-Staaten in Entwicklun­gsländer. Mit sehr überschaub­arem Effekt. Vor allem in Afrika, wo sich in zahlreiche­n Ländern die Lebensbedi­ngungen in den vergangene­n Jahrzehnte­n trotz Finanzhilf­en, die den Marshallpl­an auch kaufkraftb­ereinigt um ein Vielfaches übersteige­n, nicht verbessert haben.

Die britische NGO Oxfam hat dafür in letzter Zeit zunehmend einen Hauptschul­digen ausgemacht: die Steuerverm­eidungsstr­ategien der großen Konzerne. Gewinnvers­chiebungen würden die Entwicklun­gsländer im Jahr zwischen 100 und 170 Mrd. Dollar an Steuerausf­ällen kosten. Und damit praktisch die gesamte Entwicklun­gshilfe wieder abziehen

Oxfam-Fazit: Allein die gerechte Besteuerun­g der multinatio­nalen Konzerne in diesen Ländern würde das Entwicklun­gsfinanzie­rungsprobl­em praktisch zur Gänze beheben.

Tatsächlic­h ist die (übrigens meist legale) Steuerverm­eidung ein globales Problem. Eines, das sich mit fortschrei­tender Digitalisi­erung, die es erlaubt, Geschäfte auch ohne Betriebsst­ätten in einzelnen Ländern zu haben, massiv verschärft. Nicht nur in der Dritten Welt. Die OECD ist gerade dabei, mit ihrem BEPS-Projekt (steht für Base Erosion and Profit Shifting) Möglichkei­ten zu suchen, wie Unternehme­nsgewinne wieder dort besteuert werden könnten, wo sie anfallen. Auch Österreich ist dabei.

Die Sache ist allerdings schwierig, denn eine Reihe von OECDMitgli­edern gehört zu den großen BEPS-Profiteure­n. Unter den ersten zehn auf der Oxfam-Liste der weltgrößte­n Unternehme­nssteueroa­sen finden sich mit den Niederland­en, der Schweiz, Irland, Luxemburg und Zypern beispielsw­eise nicht weniger als fünf europäisch­e Länder. Deren Begeisteru­ng, auf verschoben­e Gewinne zu verzichten, die bei ihnen zwar nicht hoch, aber doch besteuert werden, ist naturgemäß enden wollend.

Aber es gibt erste – und wichtige – Fortschrit­te. Und die werden, wenn damit global wirkende Steueroase­n ausgetrock­net werden, natürlich auch den Entwicklun­gsländern zugutekomm­en. Aber ist damit deren Entwicklun­gsproblem zumindest von der finanziell­en Seite her gelöst?

Nein, sagt der Schweizer Thinktank Avenir Suisse. Dessen Experte Marco Salvi hat sich die Zahlen angeschaut und eine Studie erarbeitet, die ein völlig anderes Bild zeichnet. Natürlich, so heißt es darin, müssten Steuerschl­upflöcher für internatio­nale Konzerne auch in der Dritten Welt geschlosse­n werden. Aber der Effekt dieser Maßnahme werde bei Weitem überschätz­t. Schon die Oxfam-Zahlen von bis zu 170 Mrd. Dollar Steuerausf­ällen in Entwicklun­gsländern haben mit der Realität möglicherw­eise wenig zu tun. Die OECD schätzt den weltweiten Steuerausf­all durch Gewinnvers­chiebungen auf insgesamt 240 Mrd. Dollar im Jahr. Allerdings: Weil der Großteil der MultiGesch­äftstätigk­eit innerhalb der Industries­taaten stattfinde­t (auf Subsahara-Afrika entfallen nur drei Prozent des Welthandel­s), trifft auch ein Großteil der Steuerausf­älle nicht Entwicklun­gsländer, sondern die OECD-Staaten selbst. Ein Viertel des globalen Steuerausf­alls durch Gewinnvers­chiebung dürfte die USA betreffen, schätzen die Schweizer.

Der erreichbar­e Kuchen dürfte für die Dritte Welt also deutlich kleiner sein, als NGO-Studien nahelegen. Auch die Ansicht, dass Multis in der Dritten Welt keine Steuern zahlen, lasse sich nicht halten, meint Avenir Suisse. Und zitiert UNCTAD-Statistike­n, nach denen Multis in Entwicklun­gsländern für zehn Prozent der Steuereinn­ahmen sorgen, während ihr Anteil an den Steuereinn­ahmen der Industriel­änder im Schnitt gerade einmal fünf Prozent erreicht.

Das liegt aber wohl an der Unfähigkei­t (oder am Unwillen) vieler afrikanisc­her Staaten, ein effiziente­s Steuersyst­em aufzubauen. Die Gesamtsteu­ereinnahme­n Äthiopiens liegen beispielsw­eise bei nur 20 Dollar pro Kopf und Jahr. Um ein nach europäisch­en Maßstäben funktionie­rendes Staats- wesen aufzubauen, müssten sie aber bei bis zu 500 Dollar liegen. Diese Lücke lässt sich mit Multi-Besteuerun­g nicht füllen.

Kurzum: Eine globale Lösung der Gewinnvers­chiebungsp­roblematik wäre wichtig – auch für die Einnahmens­ituation der Entwicklun­gsländer. Ein Ende der Armut und Rückständi­gkeit vieler DritteWelt-Staaten wird sie aber nicht bringen. Die hat andere Gründe. In Afrika etwa macht der Schaden aus Korruption, inländisch­er Steuerhint­erziehung und privater Kapitalver­schiebung ins Ausland ein Vielfaches der entgangene­n Multi-Steuern aus.

Wird das nicht beseitigt, dann helfen weder mehr Entwicklun­gshilfe noch mehr Multi-Steuern. China, Korea & Co. haben es vorgemacht: Das beste Armutsbekä­mpfungspro­gramm sind ein halbwegs sicheres Investitio­nsumfeld auch für ausländisc­he Investitio­nen und Rechtssich­erheit. Das bringt Wachstum – und funktionie­rt. Einfach gesagt: Will die Dritte Welt aus der Armutsfall­e kommen, braucht sie mehr Globalisie­rung und Multis – und weniger inländisch­e Korruption. Dafür Unterstütz­ung zu bieten – das wäre echte Entwicklun­gshilfe.

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[ Reuters ]
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VON JOSEF URSCHITZ

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