Können höhere Konzernsteuern Afrika retten?
Entwicklungshilfe. Traditionelle Entwicklungshilfe und höhere Multi-Besteuerung reichen nicht, um Afrika aus der Armutsfalle zu bekommen. Die Region braucht Wachstum durch mehr Investitionssicherheit – und weniger Korruption.
Jährlich fließen 135 Mrd. Dollar an Entwicklungshilfe aus OECD-Staaten in Entwicklungsländer. Mit sehr überschaubarem Effekt. Vor allem in Afrika, wo sich in zahlreichen Ländern die Lebensbedingungen in den vergangenen Jahrzehnten trotz Finanzhilfen, die den Marshallplan auch kaufkraftbereinigt um ein Vielfaches übersteigen, nicht verbessert haben.
Die britische NGO Oxfam hat dafür in letzter Zeit zunehmend einen Hauptschuldigen ausgemacht: die Steuervermeidungsstrategien der großen Konzerne. Gewinnverschiebungen würden die Entwicklungsländer im Jahr zwischen 100 und 170 Mrd. Dollar an Steuerausfällen kosten. Und damit praktisch die gesamte Entwicklungshilfe wieder abziehen
Oxfam-Fazit: Allein die gerechte Besteuerung der multinationalen Konzerne in diesen Ländern würde das Entwicklungsfinanzierungsproblem praktisch zur Gänze beheben.
Tatsächlich ist die (übrigens meist legale) Steuervermeidung ein globales Problem. Eines, das sich mit fortschreitender Digitalisierung, die es erlaubt, Geschäfte auch ohne Betriebsstätten in einzelnen Ländern zu haben, massiv verschärft. Nicht nur in der Dritten Welt. Die OECD ist gerade dabei, mit ihrem BEPS-Projekt (steht für Base Erosion and Profit Shifting) Möglichkeiten zu suchen, wie Unternehmensgewinne wieder dort besteuert werden könnten, wo sie anfallen. Auch Österreich ist dabei.
Die Sache ist allerdings schwierig, denn eine Reihe von OECDMitgliedern gehört zu den großen BEPS-Profiteuren. Unter den ersten zehn auf der Oxfam-Liste der weltgrößten Unternehmenssteueroasen finden sich mit den Niederlanden, der Schweiz, Irland, Luxemburg und Zypern beispielsweise nicht weniger als fünf europäische Länder. Deren Begeisterung, auf verschobene Gewinne zu verzichten, die bei ihnen zwar nicht hoch, aber doch besteuert werden, ist naturgemäß enden wollend.
Aber es gibt erste – und wichtige – Fortschritte. Und die werden, wenn damit global wirkende Steueroasen ausgetrocknet werden, natürlich auch den Entwicklungsländern zugutekommen. Aber ist damit deren Entwicklungsproblem zumindest von der finanziellen Seite her gelöst?
Nein, sagt der Schweizer Thinktank Avenir Suisse. Dessen Experte Marco Salvi hat sich die Zahlen angeschaut und eine Studie erarbeitet, die ein völlig anderes Bild zeichnet. Natürlich, so heißt es darin, müssten Steuerschlupflöcher für internationale Konzerne auch in der Dritten Welt geschlossen werden. Aber der Effekt dieser Maßnahme werde bei Weitem überschätzt. Schon die Oxfam-Zahlen von bis zu 170 Mrd. Dollar Steuerausfällen in Entwicklungsländern haben mit der Realität möglicherweise wenig zu tun. Die OECD schätzt den weltweiten Steuerausfall durch Gewinnverschiebungen auf insgesamt 240 Mrd. Dollar im Jahr. Allerdings: Weil der Großteil der MultiGeschäftstätigkeit innerhalb der Industriestaaten stattfindet (auf Subsahara-Afrika entfallen nur drei Prozent des Welthandels), trifft auch ein Großteil der Steuerausfälle nicht Entwicklungsländer, sondern die OECD-Staaten selbst. Ein Viertel des globalen Steuerausfalls durch Gewinnverschiebung dürfte die USA betreffen, schätzen die Schweizer.
Der erreichbare Kuchen dürfte für die Dritte Welt also deutlich kleiner sein, als NGO-Studien nahelegen. Auch die Ansicht, dass Multis in der Dritten Welt keine Steuern zahlen, lasse sich nicht halten, meint Avenir Suisse. Und zitiert UNCTAD-Statistiken, nach denen Multis in Entwicklungsländern für zehn Prozent der Steuereinnahmen sorgen, während ihr Anteil an den Steuereinnahmen der Industrieländer im Schnitt gerade einmal fünf Prozent erreicht.
Das liegt aber wohl an der Unfähigkeit (oder am Unwillen) vieler afrikanischer Staaten, ein effizientes Steuersystem aufzubauen. Die Gesamtsteuereinnahmen Äthiopiens liegen beispielsweise bei nur 20 Dollar pro Kopf und Jahr. Um ein nach europäischen Maßstäben funktionierendes Staats- wesen aufzubauen, müssten sie aber bei bis zu 500 Dollar liegen. Diese Lücke lässt sich mit Multi-Besteuerung nicht füllen.
Kurzum: Eine globale Lösung der Gewinnverschiebungsproblematik wäre wichtig – auch für die Einnahmensituation der Entwicklungsländer. Ein Ende der Armut und Rückständigkeit vieler DritteWelt-Staaten wird sie aber nicht bringen. Die hat andere Gründe. In Afrika etwa macht der Schaden aus Korruption, inländischer Steuerhinterziehung und privater Kapitalverschiebung ins Ausland ein Vielfaches der entgangenen Multi-Steuern aus.
Wird das nicht beseitigt, dann helfen weder mehr Entwicklungshilfe noch mehr Multi-Steuern. China, Korea & Co. haben es vorgemacht: Das beste Armutsbekämpfungsprogramm sind ein halbwegs sicheres Investitionsumfeld auch für ausländische Investitionen und Rechtssicherheit. Das bringt Wachstum – und funktioniert. Einfach gesagt: Will die Dritte Welt aus der Armutsfalle kommen, braucht sie mehr Globalisierung und Multis – und weniger inländische Korruption. Dafür Unterstützung zu bieten – das wäre echte Entwicklungshilfe.