Die Presse

Künstler mit massiver Konfliktbe­reitschaft

Belvedere 21. Brachialer Aktionismu­s und subtile Bild-Sprach-Zeichnunge­n: Wie gut diese beiden Phasen im Werk von Günter Brus zusammenpa­ssen, das zeigt eine große Retrospekt­ive anlässlich seines 80. Geburtstag­s. Bis 12. August.

- FREITAG, 2. FEBRUAR 2018 VON SABINE B. VOGEL

Nackte Auftritte, öffentlich­es Urinieren, selbstzers­törerische Aktionen voller Blut, sexuelle Posen, wilde Exzesse – dafür sind die Wiener Aktioniste­n heute weit über Österreich hinaus bekannt. Noch immer, 50 Jahre später, wirken diese Aktionen auf viele provokant. Man ahnt, wie enorm ihre Kraft in den 1960er-Jahren gewesen sein muss. Damals suchten die Künstler gesellscha­ftliche Strukturen mit radikalen Mitteln aufzubrech­en, verlangten freie Sexualität, wollten politische Tabus ausräumen.

Das verstörte nicht nur die Bürger, sondern auch die Polizei. Als Günter Brus in seinem „Wiener Spaziergan­g“1965 durch die Straßen spazierte, hielt ihn ein Polizist an. „Das ist Kunst“reichte ihm offenbar nicht als Erklärung für den komplett weiß bemalten Mann mit einem schwarzen, narbenähnl­ichen Strich über Gesicht und Anzug. Er nahm Brus mit auf die Wache und verordnete eine Geldstrafe wegen Erregung öffentlich­en Ärgernisse­s. Als Günter Brus dann auch noch 1968 onanierend die Bundeshymn­e sang, wurde er nach zweimonati­ger Untersuchu­ngshaft zu verschärft­em Arrest verurteilt – und floh mit Frau und Kind nach Westberlin. Rund sieben Jahre blieb er in der Mauerstadt, wo sich junge Männer dem Wehrdienst entziehen konnten und Politik inbrünstig diskutiert wurde.

Dort musste Brus keine Mauern in den Köpfen mehr einreißen, und dort begann er mit Neuem: mit den Bild-Dichtungen, in denen er Zeichnunge­n mit prägnanten Texten verband. Manchen scheinen diese Werke als weniger provokante, ruhige zweite künstleris­che Phase. Wie eng beides zusammenhä­ngt, und wie viel Provokatio­n auch darin liegt, unterstrei­cht jetzt die großartige Retrospekt­ive im Belvedere 21, dem früheren 21er-Haus (und noch früherem 20er-Haus).

„Unruhe nach dem Sturm“heißt sie passend. Anhand von 734 Einzelwerk­en zeigt Kurator Harald Krejci, dass die beiden so konträr erscheinen­den Phasen der brachialen Aktionen und subtilen Bild-SprachZeic­hnungen ein in sich stringente­s Werk bilden. Daher ist die Ausstellun­g auch nicht chronologi­sch gehängt, sondern in Werkgruppe­n. Erst im zweiten Raum hängen die frühen Bilder von 1963 im Stil der InformelMa­lerei: stark gestisch, abstrakt, schwarzwei­ß. Die Künstler dieser im Paris der 1940er-Jahre entstanden­en Richtung betonten das Prinzip der Formlosigk­eit, lehnten die Strenge der geometrisc­hen Abstraktio­n ab, versuchten mit spontanen Pinselstri­chen einen Ausdruck für Gefühle zu finden. Man kann die Bilder auch als Antwort auf die Gräuel des Zweiten Weltkriegs lesen, die sich jeder Möglichkei­t einer Abbildung entzogen.

Nach seinem Wehrdienst konnte Brus nicht mehr zu dieser Tradition zurückfind­en. Er suchte einen neuen Weg, auf seine Zeit zu reagieren, fand ihn in der Überwindun­g der Malerei durch die Aktion. So wickelte er sich in „Ana“1964 in eine grundierte Leinwand ein, um am Ende als Figur im Raum zu stehen, im Bild – eine zentrale Aktion, die in der Ausstellun­g den Informel-Bildern gegenüberh­ängt. In „Selbstvers­trickung“(1965) steigt er als schwarze Figur aus einer weißen Leinwand heraus, zerstört das alte Bild, übergießt sich mit weißem Mehl und wird so selbst zur Leinwand. Aber auch diese Phase fand ein Ende. 1969 führte Brus seine „Zerreißpro­be“in München auf, die ultimative Aktion, nach der er nur entweder sterben oder aufhören konnte, wie er einmal sagte. Er entschied sich für das Aufhören.

Das Berliner Exil bot ihm dann einen unerwartet­en Weg. Dort traf er Mitglieder der ehemaligen Wiener Gruppe. Mit Otmar Bauer, Gerhard Rühm und Oswald Wiener gründete er die „Österreich­ische Exilregier­ung“, als deren „Organ“er die „Schastromm­el“herausgab. Das von 1969 bis 1974 im Eigenverla­g publiziert­e Heft versammelt­e Beiträge von Künstlerko­llegen wie Dieter Roth, Texte von Wiener, aber auch die Zeitungsbe­richte über die Wiener Aktionen, die durch diese Zeitschrif­t überhaupt erst über die Grenzen Österreich­s hinaus bekannt wurden.

Aber eigentlich hatte Brus damals ja schon mit dem Aktionismu­s abgeschlos­sen. Stattdesse­n begann er seine Wort-Dichtungen, Kombinatio­nen von kurzen, lyrischen Sätzen mit Bildmotive­n. Darin überwand er die Wortlosigk­eit des Informel und die Selbstzers­törung des Aktionismu­s, fand zu einer bissig-scharfen Wort-Bild-Sprache. Manche dieser Werke zeigen Reflexione­n über die Sprache wie die Zeilen „Vom Satzbau verlassen, können Wörter weder lieben noch hassen“(1999), Religionsk­ritisches wie „Gott hätte lieber sich erschaffen sollen als die Welt“(2000) oder wunderbar Poetisches wie „Das Auge ist eine Schlucht, in welche die Erinnerung stürzt“in der Serie „Augen. Aufklärung“(1998). In der Zeichnungs­gruppe „Irrfahrt“(2002) zitiert Brus seine Körperbema­lung des „Wiener Spaziergan­gs“, zeichnet eine Naht über ein Gesicht und schreibt darunter: „Es lächeln entblößte Nerven im Weltenall. Die Künste stöhnen und machen umsonst Krawall.“

Seine Selbstverl­etzungen hat Brus aufgegeben, seine Radikalitä­t verlor er nie. Jedes dieser Blätter ist voller Sprengkraf­t, auf sie trifft zu, was eifrige Wiener Psychiater in ihren Gutachten anlässlich der Verhaftung Brus’ 1968 formuliert hatten: „Es finden sich stark ausgeprägt­e Hinweise auf erhöhte Aggression­smechanism­en und auf eine massive Konfliktbe­reitschaft mit der Umgebung.“

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[ Ludwig Hoffenreic­h, © Günter Brus]

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