Es fehlt die ausgewogene Erinnerung
Gastkommentar. Vor 75 Jahren kapitulierte die 6. Armee in Stalingrad.
Vor 75 Jahren, am 2. Februar 1943, kapitulierte die 6. Armee unter Generalfeldmarschall Paulus in Stalingrad. Am 29. Jänner 1943, vier Tage vor der Kapitulation, wurde dort mein Vater gefangen genommen und ins Lager Nr. 98 des NKWD der UdSSR in Kapustin Jar eingeliefert.
Dort starb er am 3. April 1943 an Auszehrung. Dieses Wissen verdanke ich dem Grazer Professor Stefan Karner, der den Personalakt meines Vaters in russischen Archiven entdeckte. In einem Brief der Dokumentationsstelle Österreichischer Kriegsgefangener und Internierter in der Sowjetunion an meine Mutter wurde im August 1994 nach mehr als 50 Jahren der Ungewissheit Klarheit über das Schicksal meines bis dahin als vermisst geltenden Vaters geschaffen.
Mein Vater war Hilfschauffeur und einer von gut 120.000 in Stalingrad in Gefangenschaft geratenen Wehrmachtssoldaten. Nur rund 6000 konnten nach 1945 in die Heimat zurückkehren. Über 200.000 Gefallene auf deutscher und mehr als 250.000 Soldaten auf russischer Seite forderte die Schlacht um Stalingrad. Zudem waren über 300.000 Ziviltote zu beklagen. Ich halte es für richtig, 75 Jahre danach auch dieser immens vielen Opfer auf beiden Seiten der Fronten zu gedenken. Es gibt nicht nur Überlebende und betroffene Angehörige der Opfer des Holocaust, sondern auch Überlebende und trauernde Angehörige der Schlacht von Stalingrad.
Niemals dürfen die Verbrechen des Nazi-Regimes vergessen werden. Aber dies muss auch für alle Verbrechen der kommunistischen Regimes gelten. Diese Ausgewogenheit in der Erinnerung an Opfer totalitärer Regimes fehlt mir heute.