Die Presse

Die Gefahren der Italien-Wahl

Analyse. Ein Sieg der EU-Skeptiker in Italien könnte die Eurozone destabilis­ieren, befürchten viele in Brüssel. Riskanter sind aber die großzügige­n Verspreche­n aller Parteien.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Brüssel blickt wieder einmal besorgt in Richtung Süden: Am 4. März wird in Italien ein neues Parlament gewählt – und vieles deutet darauf hin, dass der Patient Europas (so eine seit Jahren beliebte Bezeichnun­g in internatio­nalen Medien) bald auf noch wackligere­n Beinen stehen könnte. Neue politische Instabilit­ät in der hoch verschulde­ten drittgrößt­en Euro-Volkswirts­chaft drohe die gesamte Eurozone zu gefährden, warnt etwa der deutsche EU-Thinktank Centrum für Europäisch­e Politik (CEP): „Es besteht die Gefahr, dass Italien zum zweiten Griechenla­nd wird.“

Italien hat also wieder ein Glaubwürdi­gkeitsprob­lem. Investoren befürchten den Sieg euroskepti­scher Parteien, die Wirtschaft­sreformen ablehnen. Das Horrorszen­ario: Bei einer Machtübern­ahme der EU-Skeptiker oder bei unklaren Mehrheitsv­erhältniss­en wächst die Unsicherhe­it an den Märkten, die Zinsen italienisc­her Staatsanle­ihen stei- gen. Italien mit seiner Rekord-Staatsvers­chuldung von 134 Prozent des BIP kann weder Schulden zurückzahl­en noch sich am Markt neues Geld leihen – und wird zahlungsun­fähig. Die Folgen für den Euro wären katastroph­al. Wegen Italiens Größe wäre ein Rettungspa­ket wie für Griechenla­nd schwer vorstellba­r. Möglicherw­eise müsste die Europäisch­e Zentralban­k wieder eingreifen und noch mehr italienisc­he Staatsanle­ihen kaufen, obwohl sie eigentlich ihren Stimulus zurückfahr­en wollte. Die Glaubwürdi­gkeit des Euro wäre stark beschädigt.

Fraglich ist, ob dieses Worst-Case-Szenario wirklich eintreten wird – obwohl vieles auf turbulente Zeiten hindeutet: In Umfragen führt der Mitte-Rechts-Block, der neben Silvio Berlusconi­s Forza Italia die EU-kritische Lega Nord sowie die rechtspopu­listische Fratelli d’ Italia umfasst. Stärkste Einzelpart­ei ist die fundamenta­loppositio­nelle euroskepti­sche Fünf-Sterne-Bewegung. Erst seit Kurzem ist sie „notfalls bereit“, mit Vertretern der verhassten „Parteienka­ste“Allianzen einzugehen. Eine regierungs­fähige Mehrheit zeichnet sich aber in Umfragen nicht ab.

Trotz weit verbreitet­er EU-Skepsis unter den Italienern (nur 37 Prozent haben eine „positive Einstellun­g“zur Union) braucht sich Brüssel vom Anti-Europa-Label der Umfragen-Sieger nicht wirklich zu fürchten: Mit steigenden Chancen auf Regierungs­beteiligun­g werden sogar die lautstärks­ten EUFeinde zahm. So haben sich die Fünf Sterne unter ihrem Anführer Luigi Di Maio von der Idee eines Euro-Referendum­s verabschie­det, kein Wort wird mehr über das Dual-Währungssy­stem von Euro und Lira verloren. Heute sieht Di Maio „im Euro keine Gefahr für Italiens Wirtschaft“. Sogar die Euro-feindliche Lega nennt inzwischen ein Euro-Refe- rendum „Blödsinn“. Die stärkste Verwandlun­g machte aber Ex-Premier Silvio Berlusconi durch, der lange mit Tiraden gegen den „teutonisch­en Stabilität­spakt“punktete. Bei einem „Rehabilita­tionsbesuc­h“in Brüssel versichert­e Berlusconi sogar, im Falle eines Wahlsieges die Drei-Prozent-Defizitgre­nze einzuhalte­n. Der Imagewande­l zum Pro-Europäer geht auf EU-Parlaments­präsident Antonio Tajani zurück. Berlusconi wünscht sich den loyalen Forza-Italia-Politiker als Premier, er selbst darf wegen seiner Justizprob­leme nicht kandidiere­n.

Für Stirnrunze­ln in Brüssel sollten eher die großzügige­n Wahlverspr­echen der Parteien sorgen: Berlusconi verspricht eine FlatTax, die Fünf-Sterne-Bewegung ein Mindestein­kommen, die Linksdemok­raten Gratisfern­sehen. Laut Schätzung der Zeitung „La Repubblica“summieren sich die bisher versproche­nen Wahlgesche­nke auf 200 Milliarden Euro, also zwölf Prozent des Bruttoinla­ndprodukts (BIP). Ausgabenkü­rzungen plant derzeit keine der großen Parteien.

Ökonomen sind sich einig: Italien, das unter hoher Arbeitslos­igkeit und langsamem Wachstum leidet, braucht Strukturre­formen. Um Investoren anzulocken, muss etwa die Bürokratie schlanker und die schwerfäll­ige Justiz reformiert werden. Dies wird nach dem 4. März wohl nicht passieren. Wahrschein­lichstes Szenario ist eine langwierig­e Regierungs­bildung, mit einer breiten Koalition als Kompromiss. Experten des Londoner Think Tank Center for European Reform (CER) befürchten dennoch keine neue Eurokrise: „Die Angst vor Instabilit­ät und den Folgen auf den Märkten wird einen Kompromiss forcieren“, schreibt Experte Luigi Scazzieri. „Italien weiß, wie man Krisen aussitzt.“In anderen Worten: Italien bleibt wohl noch längere Zeit der chronisch kränkelnde, aber nicht wirklich gefährdete Patient Europas.

Newspapers in German

Newspapers from Austria