Die Gefahren der Italien-Wahl
Analyse. Ein Sieg der EU-Skeptiker in Italien könnte die Eurozone destabilisieren, befürchten viele in Brüssel. Riskanter sind aber die großzügigen Versprechen aller Parteien.
Brüssel blickt wieder einmal besorgt in Richtung Süden: Am 4. März wird in Italien ein neues Parlament gewählt – und vieles deutet darauf hin, dass der Patient Europas (so eine seit Jahren beliebte Bezeichnung in internationalen Medien) bald auf noch wackligeren Beinen stehen könnte. Neue politische Instabilität in der hoch verschuldeten drittgrößten Euro-Volkswirtschaft drohe die gesamte Eurozone zu gefährden, warnt etwa der deutsche EU-Thinktank Centrum für Europäische Politik (CEP): „Es besteht die Gefahr, dass Italien zum zweiten Griechenland wird.“
Italien hat also wieder ein Glaubwürdigkeitsproblem. Investoren befürchten den Sieg euroskeptischer Parteien, die Wirtschaftsreformen ablehnen. Das Horrorszenario: Bei einer Machtübernahme der EU-Skeptiker oder bei unklaren Mehrheitsverhältnissen wächst die Unsicherheit an den Märkten, die Zinsen italienischer Staatsanleihen stei- gen. Italien mit seiner Rekord-Staatsverschuldung von 134 Prozent des BIP kann weder Schulden zurückzahlen noch sich am Markt neues Geld leihen – und wird zahlungsunfähig. Die Folgen für den Euro wären katastrophal. Wegen Italiens Größe wäre ein Rettungspaket wie für Griechenland schwer vorstellbar. Möglicherweise müsste die Europäische Zentralbank wieder eingreifen und noch mehr italienische Staatsanleihen kaufen, obwohl sie eigentlich ihren Stimulus zurückfahren wollte. Die Glaubwürdigkeit des Euro wäre stark beschädigt.
Fraglich ist, ob dieses Worst-Case-Szenario wirklich eintreten wird – obwohl vieles auf turbulente Zeiten hindeutet: In Umfragen führt der Mitte-Rechts-Block, der neben Silvio Berlusconis Forza Italia die EU-kritische Lega Nord sowie die rechtspopulistische Fratelli d’ Italia umfasst. Stärkste Einzelpartei ist die fundamentaloppositionelle euroskeptische Fünf-Sterne-Bewegung. Erst seit Kurzem ist sie „notfalls bereit“, mit Vertretern der verhassten „Parteienkaste“Allianzen einzugehen. Eine regierungsfähige Mehrheit zeichnet sich aber in Umfragen nicht ab.
Trotz weit verbreiteter EU-Skepsis unter den Italienern (nur 37 Prozent haben eine „positive Einstellung“zur Union) braucht sich Brüssel vom Anti-Europa-Label der Umfragen-Sieger nicht wirklich zu fürchten: Mit steigenden Chancen auf Regierungsbeteiligung werden sogar die lautstärksten EUFeinde zahm. So haben sich die Fünf Sterne unter ihrem Anführer Luigi Di Maio von der Idee eines Euro-Referendums verabschiedet, kein Wort wird mehr über das Dual-Währungssystem von Euro und Lira verloren. Heute sieht Di Maio „im Euro keine Gefahr für Italiens Wirtschaft“. Sogar die Euro-feindliche Lega nennt inzwischen ein Euro-Refe- rendum „Blödsinn“. Die stärkste Verwandlung machte aber Ex-Premier Silvio Berlusconi durch, der lange mit Tiraden gegen den „teutonischen Stabilitätspakt“punktete. Bei einem „Rehabilitationsbesuch“in Brüssel versicherte Berlusconi sogar, im Falle eines Wahlsieges die Drei-Prozent-Defizitgrenze einzuhalten. Der Imagewandel zum Pro-Europäer geht auf EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani zurück. Berlusconi wünscht sich den loyalen Forza-Italia-Politiker als Premier, er selbst darf wegen seiner Justizprobleme nicht kandidieren.
Für Stirnrunzeln in Brüssel sollten eher die großzügigen Wahlversprechen der Parteien sorgen: Berlusconi verspricht eine FlatTax, die Fünf-Sterne-Bewegung ein Mindesteinkommen, die Linksdemokraten Gratisfernsehen. Laut Schätzung der Zeitung „La Repubblica“summieren sich die bisher versprochenen Wahlgeschenke auf 200 Milliarden Euro, also zwölf Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Ausgabenkürzungen plant derzeit keine der großen Parteien.
Ökonomen sind sich einig: Italien, das unter hoher Arbeitslosigkeit und langsamem Wachstum leidet, braucht Strukturreformen. Um Investoren anzulocken, muss etwa die Bürokratie schlanker und die schwerfällige Justiz reformiert werden. Dies wird nach dem 4. März wohl nicht passieren. Wahrscheinlichstes Szenario ist eine langwierige Regierungsbildung, mit einer breiten Koalition als Kompromiss. Experten des Londoner Think Tank Center for European Reform (CER) befürchten dennoch keine neue Eurokrise: „Die Angst vor Instabilität und den Folgen auf den Märkten wird einen Kompromiss forcieren“, schreibt Experte Luigi Scazzieri. „Italien weiß, wie man Krisen aussitzt.“In anderen Worten: Italien bleibt wohl noch längere Zeit der chronisch kränkelnde, aber nicht wirklich gefährdete Patient Europas.