Die Presse

Jung, begabt, desillusio­niert

Die Soziologin Alexandra Dorfer hat untersucht, wieso Wissenscha­ftler und Manager ins Ausland gehen und was sie nach Österreich zieht. Hochqualif­izierte fühlen sich hierzuland­e oft sozial nicht gut integriert – und wandern weiter.

- VON ALICE GRANCY

Der Brite Oliver Hart und der Finne Bengt Holmström, Wirtschaft­snobelprei­sträger 2016, haben es getan, genauso wie der Chemienobe­lpreisträg­er von 2015, der Schwede Tomas Lindahl. Sie gingen für ihre wissenscha­ftliche Laufbahn ins Ausland und feierten dort Erfolge. Bis heute zählt in der Wissenscha­ft besonders, wer sein Land verlässt und mit neuem Wissen und neuen Erfahrunge­n retour kommt – oder zumindest als Botschafte­r seines Landes in der Welt wirkt.

Diese Hoffnung zu erfüllen, haben junge Hochqualif­izierte aber kaum im Sinn, wenn sie Österreich hinter sich lassen. „Sie wollen an renommiert­en Einrichtun­gen forschen, neue Methoden kennenlern­en. Mit den Karrieremö­glichkeite­n im eigenen Land sind sie oft sehr unzufriede­n. Viele waren frustriert, auch von ,Freunderlw­irtschaft‘ war die Rede“, erzählt die Soziologin und Betriebswi­rtin Alexandra Dorfer. Sie hat in ihrer kürzlich an der Uni Graz abgeschlos­senen Dissertati­on analysiert, warum Hochschula­bsolventen in die Welt gehen und andere aus dem Ausland nach Österreich kommen, sowohl in der Wissenscha­ft als auch in der Wirtschaft.

Dorfer hat für ihre Arbeit nicht nur wissenscha­ftliche Migrations­theorien gewälzt, sondern auch 15 Hochqualif­izierte, alles Personen mit Diplom oder Doktorat, direkt interviewt. 670 weitere befragte sie, mittels Online-Fragebogen­s, auf Deutsch und Englisch. 214 füllten diesen vollständi­g aus. Darauf basierend entwickelt­e sie eine Typologie der Bildungsem­igranten und -immigrante­n. Wobei sie betont, dass die Gründe kaum an einem einzelnen Punkt festzumach­en sind: „Ausschlagg­ebend ist immer ein ganzes Motivbünde­l.“

Hoch qualifizie­rte Forscher im In- und Ausland verbindet jedenfalls, dass sie stark meritokrat­isch orientiert sind, berichtet Dorfer: „Sie denken leistungso­rientiert, wollen sich anstrengen, möchten dafür aber auch in einem fairen, transparen­ten System belohnt werden.“Doch Österreich enttäuscht­e in dieser Hinsicht, mancher Befragte titulierte es gar als „Bananenrep­ublik“. Den Österreich­ern fehlt die Transparen­z im eigenen Land. Aber auch Forscher, die aus dem Ausland hierherkom­men, sind häufig desillusio­niert.

Zwar habe der hohe Anteil Deutscher unter den Befragten die Ergebnisse wohl gefärbt. Bei diesen sei die Ernüchteru­ng noch schneller gekommen: „Sie erwarten, dass alles abläuft wie gewohnt, und sind dann überrascht, dass es nicht so ist: Ein Inder stellt sich von vornherein auf einen anderen Kulturkrei­s ein, ein Deutscher nicht“, erklärt Dorfer.

Bei Hochqualif­izierten aus anderen Ländern kippte die Stimmung meist erst nach und nach. Während Formalität­en und Wohnungssu­che kaum Probleme bereiten und auch die berufliche Einbettung gut klappt, gewinnen bei ihnen soziale Faktoren wie eine gute Integratio­n mit der Zeit stärker an Bedeutung. Die Ergebnisse zeigen, dass sie diese – ob in Wissenscha­ft oder Wirtschaft tätig – in Österreich aber oft vermissen.

„Je länger die Personen da waren, desto wahrschein­licher waren sie auch unzufriede­ner, mitunter, weil sie die öffentlich­e Meinung gegenüber Ausländern zu spüren bekamen“, fasst Dorfer zusammen. Manche kämpften mit Sprachbarr­ieren, andere stießen sich an der „nicht sehr offenen Kultur gegenüber Fremden“. Dor- fer hält das für einen unterschät­zten Aspekt, der neben Geld und Karriere bei Gründen für Standorten­tscheidung­en oft zu sehr als „Beiwagerl“genannt wird: „Die besten berufliche­n Rahmenbedi­ngungen helfen nichts, wenn das nicht passt.“Mögliche Folge: Die Hochqualif­izierten verlassen das Land.

Und so würden auch lediglich zwei Drittel der Befragten den Schritt der Migration nach Österreich wiederhole­n. Die hoch qualifizie­rten Österreich­er hingegen würden sich mit 88,4 Prozent deutlich häufiger für einen nochmalige­n Umzug ins Gastland entscheide­n. Dort fühlten sie sich auch mehr unterstütz­t als umgekehrt die Ausländer in Österreich.

Immerhin: Österreich punktet bei In- und Ausländern als Land mit guter Lebensqual­ität und Infrastruk­tur. „Daher überlegen viele Österreich­er zurückzuko­mmen, wenn sie eine Familie gründen“, so Dorfer. Aus demselben Motiv ent-

Was aber tun, um – eigene und internatio­nale – Hochqualif­izierte zurückzuho­len oder ins Land zu locken? Dorfer leitet aus ihren Ergebnisse­n zahlreiche Handlungso­ptionen ab. Diese reichen von zentralen Anlaufstel­len („OneStop-Shops“) an Universitä­ten und Unternehme­n über Mentoring bis hin zur leichteren Anerkennun­g ausländisc­her Studienabs­chlüsse. Letztlich müsse das Gesamtpake­t passen – und das könne etwa auch Sprachkurs­e für die Familie beinhalten, sagt sie. Österreich­ische Forscher wünschen sich passende Karrierepe­rspektiven, um retour zu kommen.

Hier könne Österreich durchaus von anderen, etwa asiatische­n Ländern wie Korea, Taiwan oder China, lernen. Dort sei der Wechsel vom Brain-Drain zur Brain-Circulatio­n bereits gelungen, berichtet Dorfer: „Die Akademiker wandern nicht nur ab, sondern kommen auch zurück und geben ihre Erfahrunge­n weiter.“

Das wünscht auch sie sich: Die Erkenntnis­se ihrer Dissertati­on sollen nicht im Buchregal verstauben, sondern in der Praxis nutzen. Dazu arbeitet sie eigentlich bereits an einem passenden Ort, nämlich im Lehr- und Studienser­vice der Uni Graz, wo sie u. a. Absolvente­nbefragung­en betreut. Denn die – mit Anhang – rund 350 Seiten starke Dissertati­on entstand berufsbegl­eitend.

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