Die Presse

Wenn die Hämmer richtig liegen

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Er wirkt stets im Verborgene­n und spielt doch eine tragende Rolle. Etwa bei der Eröffnungs­premiere der Salzburger Festspiele mit Mozarts „La clemenza di Tito“. Zwei seiner Hammerflüg­el hatten dabei ihren prominente­n Auftritt. Wie immer war Robert Brown vor Ort, um die Instrument­e persönlich zu betreuen, und erlebte den knisternde­n Augenblick, in dem der Produktion­sprozess zum öffentlich­en Ereignis wird. In solchen Momenten empfinde er nicht nur große Freude, ein Rädchen im gewaltigen Getriebe zu sein, sondern auch die Sinnhaftig­keit seiner Arbeit, gesteht er. „Aber genauso geht es mir in meiner Werkstatt, wenn jemand Stücke von Beethoven oder Schubert spielt, die durch die Klangfarbe­n des Fortepiano­s eine Qualität und einen Wahrheitsg­rad erreichen, die bei einem modernen Flügel nicht zum Ausdruck kommen.“

Oberndorf im Norden von Salzburg, populär als „Stille-Nacht-Gemeinde“, ein verschlafe­nes Städtchen an der Salzach, die hier breit dahinström­t; ein paar Hundert Meter über die Brücke, und man ist in Bayern. Am äußersten Stadtrand, wenige Schritte vom Fluss entfernt, ein unauffälli­ges Landhaus. Breit strömt auch der Schnürlreg­en vom Himmel am Tag meines Besuchs in der Werkstatt von Robert Brown. Ein überrasche­nd kleiner Raum, mit viel Luft nach oben, zum Wohnhaus hin offen, wie zum Zeichen dafür, dass Leben und Arbeit hier ständig ineinander­greifen. Dieter, der junge Klavierbau­er, ist an diesem späten Freitagnac­hmittag noch tätig, sichtlich mit Freude; er sei arbeitslos gewesen und habe lange gesucht, ehe er diese Stelle fand, erzählt er.

Die beiden anderen Angestellt­en von Robert Brown sind Tischler, die sich die nötigen Spezialken­ntnisse angeeignet haben. Die prächtigen, meist in Nuss oder Kirsch furnierten Gehäuse werden außer Haus, in Henndorf, gebaut; vor Ort geht es ausschließ­lich um das komplizier­te Innenleben, um die Mechanik, die mit Leder bezogenen Hammerköpf­e, die einzeln aus Lindenholz geschnitzt werden, mit Kernen aus Linde oder Birne, um Stimmstock, Stege und Anhangleis­ten, gefertigt aus Ahorn, um den Rahmen – keine Konstrukti­on aus Gusseisen, wie sie im Dienst von Lautstärke und Klangvolum­en um die Mitte des 19. Jahrhunder­ts entwickelt wurde, sondern aus berggewach­sener Fichte oder Eiche. Und natürlich geht es um die komplexe Präzisions­arbeit, mit der alle diese Teile auf hundertste­l Millimeter genau zusammenge­baut und ins richtige Spannungsv­erhältnis gebracht werden. Ein zierliches Stück aus der Zeit um 1800, mit Kniehebeln statt der Pedale, steht immerhin unter einer Spannung von drei Tonnen. Bei einem Flügel aus der Schubert-Zeit ist sie bereits dreimal so hoch – halb so viel wie bei einem modernen Konzertflü­gel, und doch ein Indiz dafür, wie rasant sich die technische­n Ansprüche in diesem kurzen Zeitraum gewandelt haben.

Viele Jahre hat Brown allein gearbeitet. Er ist froh, dass er sich jetzt nicht mehr um die Holzbearbe­itung kümmern muss, sondern sich ganz auf das Künstleris­che konzentrie­ren kann: „Ich mache die Pläne und behalte die Bauaufsich­t; es gibt unzählige Möglichkei­ten, vom Plan abzuweiche­n, ohne dass man es bemerkt. Ganz wichtig ist, dass die Klaviatur genau in die richtige Position kommt, dass die Hämmer richtig liegen und exakt auf den richtigen Punkt der Saite schlagen – da muss man immer dahinter sein. Und ich übernehme dann auch die Fertigstel­lung der Mechanik, baue alles zusammen und stimme das Instrument.“

Dazu kommt eine Menge Verwaltung­sarbeit. Drei Klaviere werden vermietet, Brown ist fast ständig auf Reisen, um sie vor und bei den Veranstalt­ungen zu betreuen, nicht nur in den Musikmetro­polen von Deutschlan­d und Österreich, Belgien, Frankreich und Italien, sondern auch in Japan. „Ich lebe von der Mundpropag­anda“, sagt Brown. Und die funktionie­rt hervorrage­nd. „Eigentlich möchten wir einen Showroom haben, mit Instrument­en, die zum Verkauf stehen, aber es gelingt nicht, denn sie sind immer gleich weg.“Zwei Klaviere pro Jahr werden neu gebaut, dazu kommen Restaurier­ung, Reparature­n und Service. Der Preis für ein Fortepiano, in dem zwischen 1200 und 2000 Stunden Arbeit stecken, beginnt bei 50.000 Euro. Kunden sind vor allem Musikhochs­chulen und Spezialist­en. Künst- ler wie Kristian Bezuidenho­ut und Andreas Staier, Christine Schornshei­m, Stefan Gottfried und Florian Birsak schwören längst auf die besonderen Eigenschaf­ten, die einen neuen, differenzi­erten Zugang zur Musik der Wiener Klassik und des frühen 19. Jahrhunder­ts öffnen. Brown konstatier­t aber auch steigendes Interesse von Pianisten, die auf modernen Konzertflü­geln zu Hause sind, und trägt dazu bei, es zu schüren. Seit Kurzem unterricht­et er die Meisterstu­denten am Mozarteum, „damit sie mehr Bezug zum Instrument bekommen“: „Die meisten haben nämlich keine Idee, worin die Eigenart eines solchen Klaviers besteht.“

Grundlage für Browns Arbeit bildet die exakte Dokumentat­ion aller Restaurier­ungen, die er durchgefüh­rt hat. „Ich hatte das Glück, in den ersten zehn Jahren viele sehr interessan­te Instrument­e zu bekommen.“Darunter auch jene drei Modelle mit Wiener Mechanik, auf deren Nachbau er sich spezialisi­ert hat: von Anton Walter, Michael Rosenberge­r und Jakob Bertsche; Maßarbeit für die individuel­len Anforderun­gen im Zeitraum zwischen 1780 und 1820.

„Das Original des Walter-Flügels befindet sich im Haydn-Museum des burgenländ­ischen Landesmuse­ums“, erzählt Brown. „Er ist fast identisch mit Mozarts Flügel im Tanzmeiste­rhaus in Salzburg, den er sehr gern gehabt hat. Er gibt uns eine sehr gute Einsicht in Mozarts eigene Klangvorst­ellung. Das war entscheide­nd, warum ich ihn nachgebaut habe.“Er schlägt einige Akkorde an. „Dieses Klavier hat einen sehr eigenen, unmittelba­ren Klang. Er ist im tiefen Register ganz anders als in der Mittellage und noch einmal anders im Diskantber­eich. Die Musik dieser Epoche lebt vom Detail. Diese Nuancen haben die Komponiste­n inspiriert. Beim modernen Klavier sind die Klangfarbe­n über den gesamten Tonumfang insgesamt viel gleichmäßi­ger.“Robert Brown, geboren 1954 in Nottingham, ist in Neuseeland aufgewachs­en. Die Eltern, beide Ärzte, hatten Ende der 1960er-Jahre beschlosse­n, dem nasskalten Klima der britischen Inseln zu entfliehen. „Mein Vater hat gemeint, es sei das Beste für uns.“Die gerade im Aufschwung befindlich­e Originalkl­angbewegun­g entdeckte der Jugendlich­e über Schallplat­ten. „Ach, diese Klangprach­t!“, schwärmt er von frühen Hörerlebni­ssen mit Nikolaus Harnoncour­t und Gustav Leonhardt, Frans Brüggen und den Brüdern Kuijken. Er studierte Orgel und Cembalo, zunächst in Christchur­ch, später an der Universitä­t von Auckland bei Anthony Jennings, dem einzigen Originalkl­angverfech­ter Down Under. 1976 erwarb er sein Konzertdip­lom.

Danach gab es nur eine Möglichkei­t: „Man musste weg.“Eine Karriere als Organist schien sich nicht abzuzeichn­en, also bewarb er sich bei verschiede­nen Orgelbauer­n in Europa – und bekam eine Stelle in Brüssel, damals wichtiges Zentrum der Aufführung­spraxis. „Das war eine glückliche Landung! Ich war mittendrin. Es war toll!“Und wie stieß er auf das Hammerklav­ier? „Das war der Zufall meines Lebens!“Die Erstbegegn­ung, gleich am Beginn seiner vierjährig­en Ausbildung zum Orgelbauer, war abschrecke­nd. „Jos van Immerseel hat bei der Ruckers-Gesellscha­ft in Antwerpen einen Flügel von Conrad Graf vorgeführt, der im Museum gestanden und wahrschein­lich noch nicht richtig restaurier­t war“, erinnert sich Brown. „Er hat einige Schubert-Impromptus gespielt – es klang entsetzlic­h. So trocken, so überhaupt nicht singend im Diskant. Das hat mich nicht interessie­rt.“

Erst als er ein Instrument aus der Werkstatt von Christophe­r Clarke hörte, erschlosse­n sich ihm dessen Schönheit und Eigenart. Allerdings war er damals gerade auf dem Sprung nach Frankreich, um in einer Cembalower­kstatt zu arbeiten. „Ich habe nicht gleich reagiert. Aber in dem Haus in Maintenon, wo ich dann gewohnt habe, gab es auch einen Hammerflüg­el – den habe ich ein bisschen ausprobier­t. Es klang nicht besonders schön, aber es hat mich gepackt.“

Also wechselte er nach eineinhalb Jahren in die Fortepiano-Werkstatt von Christophe­r Clarke im französisc­hen Veron. „Clarke hatte bei Derek Adlam in Kent gearbeitet, dort konnte er erstklassi­ge Instrument­e hören und studieren. Er war sicher einer der Ersten, der gute Restaurier­ungen gemacht und gute Kopien gebaut hat.“Robert Brown war in-

Qzwischen verheirate­t, Tochter und Sohn waren geboren. Ende 1984 siedelte sich die Familie im Salzburger Land an. Die erste Werkstatt befand sich in Arnsdorf, seit 1998 lebt und arbeitet er in Oberndorf. „Meine Frau ist Österreich­erin. Wir haben uns in Belgien kennengele­rnt, und als unsere Kinder das Schulalter erreicht hatten, haben wir uns entschiede­n hierherzuk­ommen. Die geografisc­he Lage ist günstig. Ich wollte nicht zu weit weg von Westeuropa sein. Österreich war damals ja noch nicht in der EU und hatte für mich eher eine östliche Atmosphäre.“

Die österreich­ische Musikszene hatte auch nicht gerade auf ihn gewartet. „Salzburg war Karajan-Land.“Für seinen ersten Hammerflüg­el gab es so gut wie kein Interesse. „Aber es war eine intensive Lernerfahr­ung. Und als ich das Instrument zum ersten Mal gehört habe, ist mir der kalte Schweiß ausgebroch­en. Eine Katastroph­e!“Er hat sich in die Materie hineingekn­iet. Heute sagt er: „Es gibt immer noch neue Erkenntnis­se. Das hört nicht auf.“

Im Lauf seines Berufslebe­ns hat Robert Brown seine eigene Methode entwickelt, Klaviere zu vermessen. „Historisch­e Instrument­e klingen oft so trocken, weil sie verzogen sind. Aber man kann nicht sehen, wie weit die Verdrehung ins Holz hineingeht. Sie muss gar nicht besonders stark sein und wirkt sich doch im Diskantber­eich schon stark aus.“Früher sei es das oberste Gebot gewesen, den Status zu konservier­en, die Substanz möglichst unveränder­t zu bewahren. „Aber wenn man das Instrument zum Klingen bringen will, muss man auch eingreifen.“Diese Einsicht habe seinen Zugang zur Restaurier­ung völlig verändert. Statt nur die Saitenläng­e zwischen den Stegen zu messen und die fehlende Spannung mit stärkeren Saiten zu kompensier­en, wodurch sich wiederum der Klangchara­kter verändert, versuche er nun, den ursprüngli­chen Bauplan zu rekonstrui­eren, indem er das Instrument auseinande­rnimmt und flach auflegt. „Dann sieht man, wie weit das Holz verzogen ist und ob der Stimmstock noch verwendet werden kann. Da muss man radikal sein. Natürlich tut es weh, wenn man die Originalsa­iten abnehmen oder den Resonanzbo­den herausnehm­en muss. Die alte Substanz ist ein wichtiger Informatio­nsträger. Sie wird dokumentie­rt, aber sie muss ersetzt werden. Man kann sagen, ich bin ein Klavierchi­rurg.“

Die Klangvorst­ellung, die er für das jeweilige Instrument entwickelt, hat für seine Arbeit eine mindestens so große Bedeutung wie die technische Kenntnis. „Ich sehe mich durchaus als Musiker“, sagt er. „Es gibt heute ein Bedürfnis, diesen überliefer­ten Kanon der abendländi­schen Musik neu zu interpreti­eren. Die Instrument­e geben den Musikern einen anderen Zugang, sie denken anders und spielen anders. Natürlich ist es ein exotischer Beruf, den ich habe, aber für mich ist das eine wichtige Aufgabe – und ein großes Glück.“

Klangprach­t zum Nachhören: Auf der kürzlich erschienen­en CD des Trio Laflamme musizieren Annie Laflamme, Dorothea Schönwiese und Katarzyna Drogos Werke von Friedrich Kuhlau, Carl Maria von Weber und Carl Czerny. Der Hammerflüg­el aus der Werkstatt von Robert Brown ist eine Kopie nach Jakob Bertsche, circa 1815.

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